30.06.2020

HIPS-Forscher entschlüsseln Schritt in der Herstellung eines antibiotisch wirksamen Naturstoffes

Juniorprofessor Jesko Köhnke und sein Team haben eine neue Enzymgruppe entdeckt, die eine Aminosäure in ihr Spiegelbild verwandelt. Köhnke leitet die Nachwuchsgruppe Strukturbiologie biosynthetischer Enzyme am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS), einem Standort des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig. Gemeinsam mit seinem dreiköpfigen Team erforscht er die Biosynthese von Naturstoffen.

Bei seiner aktuellen Forschung an einem antibiotisch wirksamen Naturstoff namens Bottromycin hat der Wissenschaftler eine neue Enzymgruppe entdeckt. Bottromycin wird vom Bodenbakterium Streptomyces bottropensis zur Abwehr gegen andere Mikroorganismen hergestellt. Es wirkt gegen eine ganze Reihe von Bakterien, darunter auch multiresistente Enterococcen- oder Methicillin-resistente Staphylococcus aureus-Stämme (MRSA). Damit ist Bottromycin für eine mögliche medizinische Anwendung interessant.  Die Ergebnisse der Forschungsarbeit sind in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Nature Chemical Biology veröffentlicht.

Jesko Köhnke und seine Arbeitsgruppe wollen verstehen, wie Bottromycin auf natürlichem Weg in den Bakterien synthetisiert wird, und welche Enzyme daran beteiligt sind. Viele Schritte der Biosynthese konnten sie dabei schon nachvollziehen. Bei einem der letzten Schritte entdeckten sie etwas Ungewöhnliches: Ein Eiweißbaustein, eine Aminosäure namens Asparaginsäure, war nicht in ihrer normalen Form, sondern in der ihres Spiegelbilds in das Bottromycin-Molekül eingebaut. Ursache dafür ist die sogenannte Bottromycin-Epimerase (BotH); sie gehört zu einer Enzymfamilie, die für Spaltungsprozesse verantwortlich und an vielen Stellen des Stoffwechsels wichtig ist. Bisher war in dieser Familie aber kein Enzym bekannt, das eine Verbindung in ihr Spiegelbild verwandeln kann. Die Forscher fanden heraus, dass BotH hier wie eine Art Schraubstock agiert: Das Molekül wird so gedrückt, gedreht und verbogen, dass schließlich eine Bindung bricht und an anderer Stelle neu gebildet wird. So entsteht die spiegelverkehrte Version der Asparaginsäure im Bottromycin-Molekül.

Das Spiegelbild kann komplett andere Eigenschaften haben als das ursprüngliche Molekül. So ist die Verbindung des Duftstoffs der Zitrone das Spiegelbild des Duftstoffs der Orange. Bei der antibiotischen Wirkung von Bottromycin gibt es keine Unterschiede zwischen dem Naturstoff und einer chemisch hergestellten Variante, bei der die Asparaginsäure nicht gespiegelt ist. Warum der Wechsel von linkshändig nach rechtshändig stattfindet, ob und welche Vorteile damit einhergehen, wissen die Forscher noch nicht. Klar ist aber: Die Mikroorganismen können nur die spiegelverkehrte Variante synthetisieren.

Ein Interview mit Jesko Köhnke, in der er die Bedeutung der neuen Studie erklärt, lesen Sie hier.

Kooperationspartner der Studie:
Prof. Olga Kalinina, Leiterin der Arbeitsgruppe Wirkstoff-Bioinformatik am HIPS sowie Professorin an der medizinischen Fakultät der Universität des Saarlandes
Prof. Andriy Luzhetskyy, Leiter der Arbeitsgruppe Metabolisches Engineering von Aktinomyzeten am HIPS sowie Professor für pharmazeutische Biochemie an der Universität des Saarlandes
Dr. Andrew Truman, Leiter der Arbeitsgruppe Molecules from Nature am John Innes Center, Norwich, UK

Originalpublikation:
Asfandyar Sikandar, Laura Franz, Sebastian Adam, Javier Santos-Aberturas, Liliya Horbal, Andriy Luzhetskyy, Andrew W. Truman, Olga V. Kalinina and Jesko Koehnke: The bottromycin epimerase BotH defines a group of atypical α/β-hydrolase-fold enzymes. Nature Chemical Biology 2020, doi: 10.1038/s41589-020-0569-y
https://www.nature.com/articles/s41589-020-0569-y