Anne Graczyk

Anne Graczyk

 

Sens et fonctions de l’espace fictionnel européen dans Education Européenne (1945) de Romain Gary et L’Europe buissonnière (1949) d’Antoine Blondin: vers une approche géocentrée du texte littéraire

 

[Sinn und Funktionen des fiktionalen europäischen Raums in Education européenne (1945) von Romain Gary und L’Europe buissonnière (1949) von Antoine Blondin: Beiträge zu einer geozentrischen Herangehensweise an literarische Texte] (Abstract)

 

Romain Gary und Antoine Blondin haben beide das Europa des Zweiten Weltkriegs in die Handlung ihrer jeweiligen Erstlingsromane integriert, doch eine geokritische Analyse der Texte zeigt erhebliche Differenzen zwischen diesen beiden Autoren auf: Während Blondin Europa lediglich ‚abpaust‘ (um einen Begriff von Gilles Deleuze und Félix Guattari zu gebrauchen), lotet Gary die Leistungsfähigkeit des Europa-Begriffs aus und überschreitet den gegebenen historischen Kontext durch die Konstruktion eines ‚dritten Raums‘.

 

Literarische Texte bergen ein erhebliches Potenzial der Repräsentation und Erschaffung von Räumen, und die Geokritik als neue Möglichkeit, den Begriff des Raums in der Literatur zu erfassen, erlaubt eine Erhellung dieses Potenzials. In L’Europe buissonnière ist der Kontinent Europa Held eines historischen Moments, ohne jemals zum Gegenstand eines direkt mit der Realität verzahnten Experimentierens zu werden, während Education européenne eine kulturelle und geistige Identität Europas erahnen lässt, die über die bloße Reproduktion eines Referenten im Raum der Fiktion hinausgeht. Angesichts des Repräsentationsdefizits, an dem Europa leidet, kann man sich daher fragen, ob die Literatur nicht vielleicht ein wesentlicher Schauplatz der Formierung einer mentalen Vorstellung von Europa ist, einer Vorstellung, die durch den Akt des Lesens zu einer erlebten Identität wird. Der vorliegende Beitrag zum Sinn und zu den Funktionen des fiktionalen Raums in Education européenne (1945) von Romain Gary und L’Europe buissonière (1949) von Antoine Blondin versucht, diese Frage, deren Bedeutung sich an den aktuellen Debatten über die europäische Identität bemessen lässt, zu beantworten.