Dorothee Röseberg

Dorothee Röseberg

Ici la France – eine transnationale Stimme in den Gründerjahren der DDR (Abstract)

 

Trotz des Fehlens eines Raums freier öffentlicher Diskussion hat auch die DDR am Prozess der deutsch-französischen Vermittlung teilgehabt. Der Fall des ersten Schulbuches für den Französischunterricht in der DDR, Ici la France (1951/1952), zeigt die Besonderheiten des Kulturtransfers in Abhängigkeit vom politischen Kontext.

Die Autoren von Ici la France, Madeleine Belland und Georg Wintgen, hatten die DDR nach Erfahrungen der Verfolgung während des Dritten Reichs und des Engagements in der Résistance bewusst als neuen Wohnort gewählt. Ihre Ziele – die deutsch-französische Verständigung zu fördern und den Frieden zu sichern – gleichen auf den ersten Blick denen des Französischunterrichts in der BRD. Ein Vergleich westdeutscher Lehrbücher mit Ici la France zeigt jedoch, dass diese Ziele in sehr unterschiedlicher Weise angegangen werden. Ici la France verwendet vor allem nichtliterarische Texte, die sich mit politisch engagierten Persönlichkeiten befassen sowie mit historischen Ereignissen, deren Hauptakteur ‚das Volk’ ist. Während sie das Vichy-Regime und die Kolonial- und Militärpolitik der damaligen französischen Regierung anprangern, reflektieren diese Texte zugleich das Ideal eines republikanisch, revolutionär und aufklärerisch gesinnten Frankreich. In Westdeutschland dagegen benutzt man überwiegend literarische Texte, die das beruhigende Bild eines agrarischen und idyllischen Frankreich widerspiegeln. Die neueren deutsch-französischen Konflikte werden ausgespart. Da, wo das Ehepaar Wintgen-Belland die gegenseitige Verständigung auf internationale Solidarität der unteren Volksschichten und der Linksintellektuellen gründen möchten, appellieren die Autoren der BRD eher an konservative Werte. Auf diese Weise entstehen zwei unterschiedliche Versionen eines transkulturellen deutsch-französischen Feldes.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit profitierte der Französischunterricht in Ostdeutschland von relativ viel Freiheit. Im Laufe der 1950er Jahre jedoch wurde der Status des Französischen im Schulunterricht immer unsicherer, da die politische Führung nunmehr dem Russischen den Vorzug gab. Ab 1958 ist Völkerverständigung nicht mehr das Hauptziel des Unterrichts westlicher Fremdsprachen in der DDR. Von nun an predigen die Regierenden einen sozialistischen Patriotismus und setzten auf den Klassenkampf. Der Freiraum für transkulturelle Mittler wird dadurch erheblich eingeschränkt.

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