Hans T. Siepe

Hans T. Siepe

 

Besetztes Paris, besetztes Deutschland – ein doppelter Blick von Albert Camus (Abstract)

 

Von den Texten Albert Camus’, die sich mit der deutschen Besatzung und mit der deutschen Frage beschäftigen, wurden zwei bisher von der Literaturwissenschaft vernachlässigt: Das Hörspiel Les Silences de Paris (1948/1949) und der Reisebericht Images de l’Allemagne occupée. Der erste Texte behandelt die Situation des besetzten Paris, der zweite berichtet von einem Besuch in der französischen Besatzungszone unmittelbar nach dem Waffenstillstand.

In Les Silences de Paris nutzt Camus in sehr effizienter Weise die spezifischen Möglichkeiten des Mediums Radio, um die Besatzung hörbar zu machen: Angesichts des Lärms der Flugzeuge, der Sirenen und der verlogenen Reden muss die Stimme der Wahrheit schweigen. Camus will aber nicht nur die Zeit der deutschen Besatzung als solche analysieren, sondern auch an die Wahrheit erinnern in einem historischen Kontext, in dem ehemalige Kollaborateure erneut die öffentliche Diskussion beherrschen. In Frankreich wurde das Stück schnell vergessen, in Deutschland aber zweimal inszeniert: die erste Inszenierung von 1963 unterschlägt den politischen Aspekt und hebt dafür den Bezug zur Philosophie des Absurden hervor, während die zweite von 1979 klar das Vichy-Regime anprangert.

Als Camus im Juni 1945 Deutschland besucht, erwartet er angesichts der fürchterlichen Folgen der deutschen Besatzung in Frankreich ein am Boden liegendes Land. Er trifft jedoch ein fast idyllisches Deutschland an, das sich mit größter Ungezwungenheit an die neuen Verhältnisse anpasst, ohne seine eigene Verantwortung zu akzeptieren. Dennoch plädiert Camus zwei Jahre später angesichts der internationalen Situation für den Dialog mit Deutschland und überwindet somit die Grenzen eines nationalen kulturellen Feldes.

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