Marc Maufort

Marc Maufort

 

Performing Europe’s ‚Others‘: Towards a Postcolonial Reinterpretation of the Shakespearean Canon [Europas ‚Andere‘ auf die Bühne bringen: Beiträge zu einer postkolonialen Neuinterpretation des shakespeareschen Kanons] (Abstract)

 

Dieser Aufsatz schlägt eine Neubewertung von Shakespeares Eurozentrismus im Lichte der postkolonialen Theorien von Homi K. Bhabha und W. E. B. Du Bois vor. Eine Analyse dreier in dieser Hinsicht problematisch erscheinender Stücke Shakespeares, The Merchant of Venice, Othello und The Tempest, zeigt, dass diese Texte durchaus nicht perfekt den Rassismus des elisabethanischen Zeitalters spiegeln, sondern auch einer Lesart unterzogen werden können, die der Sensibilität für postkoloniale Fragen im Europa des 21. Jahrhunderts entspricht. Der hier vorliegende Beitrag beschäftigt sich besonders mit den Konzepten der double consciousness (Du Bois), der kulturellen Hybridität und der Strategien des in-between und des mimicry (Bhabha), die die Figuren Shakespeares bestimmen. Dabei zeigt sich ein Shakespeare, der den Unterdrückungsmechanismen, denen die ‚Anderen‘ ausgesetzt sind, wesentlich mehr Aufmerksamkeit schenkt, als man zunächst vermuten würde. In The Merchant of Venice wird Shylock Opfer seiner kulturellen Hybridität, seiner Unfähigkeit, als ‚Anderer‘ zwischen zwei Kulturen die Maschinerie der venezianischen Gesellschaft korrekt zu dekodieren, deren Spielball er wird. Othello kann als tragisches Opfer des kulturellen in-between bezeichnet werden, das ihn charakterisiert. Der Mord an Desdemona, den er begeht, symbolisiert letztlich seine Weigerung, die Schattenseiten der venezianischen Gesellschaft zu akzeptieren, welche er unter Missachtung seiner eigenen kulturellen Identität verehrte. Im gleichen Sinne kann Prospero in The Tempest als metaphorische Inkarnation der Widersprüche interpretiert werden, die das koloniale Projekt seiner Zeit bestimmen. Unter Prosperos Joch muss Caliban die Qualen des kulturellen in-between erdulden, die schon Othello zu einem tragischen Ende verurteilt hatten. Zusammenfassend kann man sagen, dass dieser Beitrag die Flexibilität des shakespeareschen Textes unterstreicht: Dieser ist so vielen verschiedenen Lesarten zugänglich, wie es Epochen gibt, in denen Shakespeares dramatisches Werk bewundert wurde und wird.