Ibrahima Sene

Die Geschichtserfahrung des deutschen Kolonialismus in der Gegenwartsliteratur (Arbeitstitel)

Die Wiederentdeckung der Kolonialzeit manifestiert sich seit Jahrzehnten in Deutschland in vielfältiger Form – zum Beispiel auch in der Gegenwartsliteratur. Auffallend ist, dass es dabei gerade nicht um eine (Re-)Konstruktion dieser gemeinsamen Vergangenheit geht: Denn die deutsche Kolonialvergangenheit ist vergleichsweise wenig präsent im öffentlichen Bewusstsein Deutschlands. Dies hat sich erst in den zurückliegenden Jahren etwas verändert: 2004 jährte sich der Beginn des von damaliger deutscher Kolonialmacht initiierten Völkermordes an den Herero und Nama zum hundertsten Mal. Insbesondere im Kontext der Entwicklung des Humboldt-Forums in Berlin wurden seitdem kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft laut, die seit 2015 eine Rückgabe von in der Kolonialzeit beschafften Gebeine ermordeter Herero und Nama forderten.

Im Zentrum des Dissertationsvorhabens steht die Frage: Wie wird die deutsche Kolonialvergangenheit in ausgewählten deutschsprachigen Gegenwartsromanen literaturästhetisch inszeniert, aufgearbeitet und interpretiert? Dabei sollen die literaturwissenschaftlichen Analysen systematisch an die jeweiligen Erinnerungsdiskurse der Zeit rückgebunden werden. Es ist dementsprechend zu untersuchen, ob die ausgewählten Texte, die chronologisch nach dem als antikolonial einzustufenden Roman Morenga (1978) von Uwe Timm stehen, die dort angelegte kritische Gedächtnisarbeit fortsetzen – oder ob sich eine Tendenz zu exotisch gefärbten Kolonialphantasien zeigt.

Ausgehend von der Überlegung, dass die Vergangenheit stets in die Gegenwart hineinwirkt, ist auch ergänzend zu bedenken: Was könnten die literarischen Relektüren der Vergangenheit für die Gegenwart bedeuten? Inwiefern geben die ausgewählten Texte Anregungen für eine öffentliche Debatte über die Verantwortung Deutschlands? Das Dissertationsvorhaben befasst sich mit der Rolle der Fiktion bzw. der deutschsprachigen gegenwärtigen Literatur in die historische Erkenntnis.

E-Mail: sene.ibrahima(at)yahoo.fr

Die Dissertation wird von Prof. Dr. Ibrahima Diagne (Université Cheikh Anta Diop, Dakar) als Erstgutachter in Kooperation mit Prof. Dr. Lüsebrink betreut und durch ein Promotionsstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) unterstützt.