Wa(h)re Fakten
Wissensproduktionen globaler Nachrichtenagenturen, 1835-1939
Das Forschungsprojekt untersucht das moderne Nachrichtenwesen aus globaler Perspektive. Es analysiert die Entstehung eines weltweiten, kommerziellen Austauschsystems von Informationen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, das für Medienanbieter in aller Welt zur Grundlage für die Produktion und den Verkauf von Nachrichten avancierte. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von den 1830er Jahren, als mit der Agence Havas die erste Nachrichtenagentur der Welt in Paris gegründet wurde, bis zum Ende der 1930er Jahre, als mit dem Zusammenbruch des Austauschsystems der vier ersten und größten Agenturen (außer der Agence Havas waren dies die britische Agentur Reuters, das preußisch-deutsche Wolff’s Telegraphisches Bureau und die US-amerikanische Associated Press) der Wettbewerb um den globalen Nachrichtenmarkt in eine neue Phase eintrat. In der Folge entstand die bis heute bestehende Struktur global konkurrierender, voneinander unabhängiger Informationsanbieter.
Das Projekt thematisiert die Genese des modernen Journalismus, sowie der ökonomischen, technischen und arbeitspragmatischen Prämissen, auf denen er beruhte. Es eröffnet eine neue Perspektive auf die Geschichte der Globalisierung, der Presse und der Nachrichtenproduktion. Denn durch den Fokus auf Agenturen, also auf spezialisierte journalistische Dienstleistungsunternehmen, erscheint die Produktion von Nachrichten nicht länger als das Aufspüren von „stories“ durch investigative Reporter, sondern vielmehr als ein weltweit operierendes Austauschsystem, innerhalb dessen Meldungen global zirkulierten, von Agenturen, Zeitungen und Radiostationen gekauft und für lokale Anforderungen aufbereitet wurden.
Gefragt wird wie kommerzielle Medienunternehmen innerhalb eines weltweiten Vertriebssystems grenzübergreifend anerkannte Vorstellungen von Objektivität, d.h. von verbindlichen, glaubhaften und empirisch belastbaren Fakten, entwickelten. Denn ein gemeinsames Verständnis von objektiven Nachrichten erwies sich als unerlässlich, damit Meldungen von Partnerunternehmen ungeprüft übernommen und unter eigenen Namen weiterverkauft werden konnten. Die Nachrichtenagenturen agierten unter der doppelten Prämisse, sowohl kunden- und profitorientierte Waren zu produzieren als auch wahre Fakten zu liefern.