01.02.2021

Langfristige Psychologie-Studie mit 4 000 Zwillingspaaren erneut mit über 5 Mio. Euro gefördert

Professor Frank Spinath sitzt an seinem Schreibtisch.
© Thorsten MohrFrank Spinath, Psychologie-Professor der Universität des Saarlandes

Wie entsteht soziale Ungleichheit? Und wie wirken dabei Gene und Umwelteinflüsse zusammen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Psychologen und Soziologen der Saar-Universität und der Uni Bielefeld seit 2014 in einem langfristigen Forschungsprojekt. Dabei werden bundesweit 4 000 Zwillingspaare in vier verschiedenen Altersstufen regelmäßig befragt und in ihrer persönlichen Entwicklung begleitet. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert die Studie jetzt erneut mit mehr als fünf Millionen Euro.

Zu Beginn der Studie wurde aus Daten der Einwohnermeldeämter eine repräsentative Stichprobe von 4 000 in Deutschland lebenden Familien mit Zwillingspaaren gewonnen. Dafür wurden je Tausend Familien mit 5-jährigen, 11-jährigen, 17-jährigen und 23-jährigen Zwillingspaaren aus allen Bevölkerungsschichten sowie aus städtischen und ländlichen Regionen ausgewählt. Parallel konnten dadurch Geschwisterpaare sowohl von der Vorschule bis zum Ende der Grundschulzeit wie auch vom Beginn der Sekundarschule bis zur Ausbildung oder zum Studium sowie auf dem weiteren Weg in den Arbeitsmarkt und die Phase der Familiengründung begleitet werden. „Die Familien werden jedes Jahr kontaktiert und im Wechsel telefonisch oder persönlich vor Ort befragt. Dabei werden nicht nur die Eltern, sondern auch Geschwister und bei älteren Zwillingen die Partner mit einbezogen“, sagt Frank Spinath, Psychologie-Professor der Universität des Saarlandes. Seit 2014 leitet er diese Langzeitstudie gemeinsam mit Soziologie-Professor Martin Diewald und Psychologie-Professor Rainer Riemann von der Universität Bielefeld.

Unter den teilnehmenden Geschwisterpaaren sind sowohl eineiige Zwillinge, die genetisch identisch sind, als auch zweieiige Zwillinge, die wie normale Geschwister im Durchschnitt nur eine genetische Ähnlichkeit von 50 Prozent aufweisen, aber zeitgleich im Familienumfeld aufwachsen. „Neben der Bedeutung genetischer Faktoren und Eigenschaften wie der individuellen Persönlichkeit interessiert uns vor allem die Umwelt, in der die Kinder und Jugendlichen aufwachsen. Dabei spielen ihre Familie und ihr Freundeskreis eine wichtige Rolle, aber auch ihr Werdegang in der Schule und das Freizeitverhalten“, erläutert Frank Spinath. Bei den regelmäßigen Befragungen konzentrieren sich die Forscher auf sechs wesentliche Bereiche, darunter der Bildungsweg und Erfolg auf dem Arbeitsmarkt, die Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen Leben, die Lebensqualität und Gesundheit sowie mögliche Verhaltensprobleme.

„Da wir in unserer Studie herausfinden wollen, wie soziale Ungleichheit entsteht, vergleichen wir auch die Bildungschancen der Kinder. Wir schauen, wie sie von den Eltern unterstützt werden, etwa durch frühes Vorlesen oder Hilfe bei den Hausaufgaben. Wir analysieren auch, welche Werte die Eltern in ihrem persönlichen Erziehungsstil vermitteln möchten. Zudem betrachten wir die finanziellen Möglichkeiten der Familien, etwa für privaten Musikunterricht, Sportvereine oder Urlaubsreisen“, erklärt Spinath. Mit Blick auf die Corona-Pandemie habe man die Fragebögen ergänzt, um beispielsweise zu erfahren, ob ein konzentriertes Arbeiten im Homeschooling überhaupt möglich ist. „Wenn die Wohnungen klein sind und sich mehrere Geschwister um ein Laptop streiten, wird das schwierig. Dann zeigt sich aber, ob die Zwillingsgeschwister die Situation unterschiedlich meistern, weil vielleicht der eine zielstrebiger ist als der andere oder sich stärker am eigenen Freundeskreis orientiert“, nennt der Psychologe als Beispiel.

Die Forscher konnten bereits beobachten, dass genetische Faktoren im Bereich der Intelligenz eine größere Rolle spielen, je älter die Kinder werden. „Familien, die unter ungünstigeren sozialen Bedingungen aufwachsen, haben bessere Chancen für einen erfolgreichen Bildungsweg, wenn das Lernen in einer strukturierten und geordneten Lernumgebung möglich ist. Wer sich leichter ablenken lässt und wenig Ehrgeiz verspürt, hat es da schwerer“, unterstreicht Frank Spinath. Das habe nicht zwingend etwas mit Intelligenz zu tun, sondern mit dem individuellen Lebensumfeld sowie mit Verhaltenseigenschaften, die teils genetischen Einflüssen unterliegen. Wie unterschiedlich Zwillinge reagieren können, zeige sich auch bei markanten Einschnitten im Leben, sowohl im positiven Sinn, etwa durch die Geburt eines Geschwisterkindes, als auch bei gravierenden Erfahrungen wie Krankheit, Tod eines Angehörigen oder die Scheidung der Eltern.

„Wenn sich Eltern trennen, sind manche Kinder möglicherweise erleichtert, weil die Streiterei ein Ende nimmt. Andere leiden sehr darunter, dass das System Familie zusammenbricht“, sagt der Professor. Dies wirke sich auch auf die Zwillinge als Geschwisterpaar aus, wobei die Zwillingsbeziehung sich sehr unterschiedlich gestalten kann: „Manche Zwillingspaare ziehen sich wie Magneten an und sind unzertrennlich, andere grenzen sich ab und wollen nicht alles mit dem anderen teilen und ständig mit diesem verglichen werden“, erklärt Frank Spinath.

Die umfangreichen Daten aus der mehrjährigen Zwillingsstudie werden der internationalen Forschung zur weiteren Auswertung frei zur Verfügung gestellt. Die Langzeitstudie wird nun in der vierten Förderrunde mit weiteren mehr als fünf Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt, rund 1,7 Millionen Euro fließen dabei an die Universität des Saarlandes. Insgesamt wurde die Studie mit rund 20 Millionen Euro gefördert. Die Befragung der Zwillingsfamilien wird vom Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH (infas) in Bonn durchgeführt.

Weitere Informationen: www.twin-life.de

Fragen beantworten:

Prof. Dr. Frank M. Spinath
Universität des Saarlandes
T: 0681/302 64079
E-Mail: f.spinath(at)mx.uni-saarland.de

Prof. Dr. Martin Diewald
Universität Bielefeld
T: 0521/106 4309
E-Mail: martin.diewald(at)uni-bielefeld.de

Prof. Dr. Rainer Riemann
Universität Bielefeld
Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft
T: 0521/106 4529
E-Mail: Rainer.Riemann(at)uni-bielefeld.de