Riskantes Spiel ohne Regeln

Riskantes Spiel ohne Regeln


Wirtschaftskrise
  
Drei Wissenschaftler der Saar-Uni, ein Mathematiker, ein Historiker und ein Wirtschaftsexperte, erklären die Finanzkrise aus der Sicht ihrer Disziplinen
 
Vor gut einem Jahr brach die Krise über die Welt herein. Doch wie ist sie entstanden? Welche Risiken haben die Banken falsch eingeschätzt? Ein Historiker, ein Bankbetriebswirt und ein Mathematiker erklären ihre Sicht auf die Krise.

Von Thorsten Mohr
 
Alleine im ersten Jahr der Krise brechen über 60 Banken zusammen. Abertausende Menschen verlieren ihre Arbeit. Dem vorangegangen waren eine Liberalisierung der Kapitalmärkte und der sorglose Umgang von Bankern mit Krediten. Schauplatz ist das Deutsche Reich. Die Rede ist von der Gründerkrise Anfang der 1870er Jahre. „Der Vergleich der aktuellen Krise mit der Gründerkrise ist viel naheliegender als der gerne zitierte Vergleich mit der Weltwirtschaftskrise 1929“, sagt Daniel Reupke.

Der Wirtschaftshistoriker arbeitet an der Saar-Uni an seiner Doktorarbeit über die „Kreditvergabe im 19. Jahrhundert“. Folge der historischen Krise war eine Deflation, ein Wertverlust der Waren und Dienstleistungen sowie gleichbleibende Löhne. Die Exporte blieben zwar stabil, aber es kam weniger Geld ins Land. „Daher ist es auch nicht unbedingt ein gutes Zeichen, wenn es heute heißt, dass die Exporte wieder steigen“, weiß Reupke. „Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass unsere Welt wesentlich anders funktioniert als vor anderthalb Jahrhunderten“, sagt er. Damals reagierte der Staat mit rigiden Eingriffen. Folge war „ein durchaus nachhaltiges Wachstum“, weiß Reupke. Das schaffe Vertrauen. Daher lautet seine Lehre aus der Vergangenheit: „Vertrauen ist die Grundvoraussetzung der Kreditvergabe.“

Staatliche Eingriffe hält auch Hartmut Bieg für das richtige Instrument. „Viele Leute sind sauer, weil sie denken, der Staat hilft nur einzelnen Banken wie der Hypo Real Estate (HRE). Aber der Staat muss helfen“, sagt der Professor für Bankbetriebslehre. „Investoren haben bei der HRE viele Milliarden Euro angelegt. Geht die Bank kaputt, verlieren alle ihr Geld.“ Diese Investoren sind das letzte Glied in einer langen Kette, die bei der heutigen Krise meist mit einem Immobilienkredit in den USA beginnt. Die dortigen Banken, Verursacher der Krise, verschleuderten die Kredite zu extrem niedrigen Zinsen. „In den USA kauften sich viele Leute Häuser, die sie sich eigentlich gar nicht leisten konnten“, erklärt der Bankfachmann.

Nach einer sorglosen Zeit trafen die Forderungen der Banken die amerikanischen Häuslebauer wie ein Hammerschlag. Die Banken langten mit teils kräftigen Zinssteigerungen zu. „Das waren gewaltige Belastungen, denen viele nicht standhalten konnten“, so Bieg. Die Menschen verloren ihre Häuser an die Banken, die sie zwangsversteigerten. Das Überangebot und die fehlende Käuferschicht ließen die Preise purzeln, viele Kredite konnten nicht zurückgezahlt werden.

Diese Darlehen waren aber längst nicht mehr in der Hand der Banken. Die Geldhäuser haben diese „faulen“ Kredite weiterverkauft an eigens für diesen Zweck gegründete Tochtergesellschaften in Ländern, die es mit der Bankenaufsicht nicht so genau nehmen. Diese wiederum verkauften die Kredite abermals an Investoren. Und alle wollten sie Geld verdienen. Dieses wackelige Kartenhaus wurde im Sturm der Kreditkrise weggeblasen.

Hartmut Bieg vertraut der Finanzwirtschaft dennoch: „Unser ganzes System funktioniert ja nur dadurch, dass wir Leuten Geld geben, die Zins zahlen.“ Dieses Spiel gehe aber nur dann gut, wenn alle sich an die Regeln halten. Eine schlagkräftige Bankenaufsicht sollte riskante Geschäfte nur in einem bestimmten Volumen zulassen, so Biegs Fazit.

Mit der Berechnung solcher Risiken beschäftigt sich Christian Bender. Der Mathematikprofessor an der Saar-Uni ist Experte auf dem Gebiet der Finanzmathematik. Wichtig für die Risikobewertung sind für Mathematiker vor allem die Abhängigkeiten der Kreditnehmer untereinander. Denn deren Kredite werden oft in ganzen Paketen an Investoren weiterverkauft: „In Zeiten des Immobilienbooms wurden Ausfälle der Kreditnehmer häufig durch persönliche Härten wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit verursacht. Und die Krankheit von A hat eher nichts mit der Arbeitslosigkeit von B zu tun.“ Die falsche Annahme, dass solche Abhängigkeiten auch in Zukunft gering bleiben würden, führte dazu, dass die Wahrscheinlichkeit für den massenhaften Ausfall von Kreditnehmern als nahezu vernachlässigbar angesehen worden sei, so Bender weiter. Fällt aber der Wert der Häuser wie in den USA, „war dies ein gemeinsamer Grund für die Zahlungsunfähigkeit sehr vieler Kreditnehmer. Von Rating-Agenturen als extrem sicher eingestufte Anlagen wurden zu so genannten faulen Wertpapieren“, erklärt der Mathematiker den Moment, als die Spekulationsblase platzte.

Und welche Lehre kann man daraus ziehen? „Mathematische Methoden können bei der Beurteilung von Risiken sehr nützlich sein. Man muss jedoch in jeder einzelnen Situation prüfen, ob sich ein Modell auch sinnvoll einsetzen lässt.“

Ein Fazit, das alle Experten aus dem Verlauf der Krise ziehen: Blindes Vertrauen ist nie gut, weder in der Mathematik noch im Gespräch mit dem Bankmitarbeiter. Das bringt Bankenexperte Hartmut Bieg auf den Punkt: „Wenn Sie Ihren Bankberater nicht verstehen, fragen Sie, bis er bleich wird. Und wenn er die letzte Frage kompetent beantworten kann, machen Sie's!“

 

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