Sinnloses Blutvergießen

Sinnloses Blutvergießen


Bluttests führen nicht zu einer verlässlichen Diagnose beim Verdacht auf Herzmuskelentzündung

Teure Bluttests beim Verdacht auf Herzmuskelentzündung sind kaum aussagekräftig. Das hat der junge Mediziner Felix Mahfoud herausgefunden. Ashok Kaul, Professor für Wirtschaftspolitik, sieht das Gesundheitssystem trotz solch unnötiger Belastungen nicht am Ende. Er rät dennoch zu Sparmaßnahmen – auch, wenn sie wehtun.

Von Thorsten Mohr
 
„Machen Sie keinen Sport, wenn Sie Fieber haben. Das kann aufs Herz gehen“, lautet ein Rat, den wohl jeder schon einmal von seinem Hausarzt gehört hat. Wie recht die Mediziner damit haben, weiß auch Felix Mahfoud, Kardiologe am Uniklinikum in Homburg. Treibt man Sport, wenn man krank ist, kann eine Herzmuskelentzündung (Myokarditis) die Folge sein, die meist von Viren ausgelöst wird. Und die ist nicht nur lebensgefährlich, sie kann die Krankenkassen auch viel Geld kosten. Geld, das man einsparen könnte, wie er gemeinsam mit weiteren Medizinern jetzt herausgefunden hat.

Der Rat der Homburger Kardiologen an ihre Kollegen müsste daher lauten: „Machen Sie keine Blutuntersuchung, wenn Sie eine Herzmuskelentzündung bei einem Patienten vermuten. Das geht auf den Geldbeutel und führt nicht zur Diagnose.“ Die Blutuntersuchung kann im Extremfall über 1000 Euro pro Patient kosten. Der Mediziner und seine Kollegen untersuchten in der Studie mit 124 Patienten den Zusammenhang zwischen dem Ergebnis einer Blutuntersuchung und dem Ergebnis einer Gewebeprobe. Sie stellten fest: Es gibt gar keinen Zusammenhang.

Mahfouds Ergebnisse sind ernüchternd: Lediglich bei fünf der 124 Patienten stimmte das Ergebnis der Blutuntersuchung mit dem des Herzmuskelgewebes überein – und das ist ja der „Goldstandard“, wie er im Medizinerjargon sagt. Die Gewebeprobe ist hier also das Maß aller Dinge, deren Aussagekraft die einer Blutprobe deutlich übertrifft. „Ich würde bei Patienten mit Verdacht auf eine chronische Myokarditis keine Blutuntersuchung machen“, lautet demnach seine Schlussfolgerung. Das Geld könnten die Krankenkassen ebenso gut einsparen.

 

Ist dieses Ergebnis der Studie Wasser auf die Mühlen der Kritiker, die bereits den Abgesang auf das deutsche Gesundheitssystem anstimmen? Nein, sagt Ashok Kaul. Der Professor für Wirtschaftspolitik der Saar-Uni bescheinigt dem deutschen Gesundheitssystem ein recht passables Zeugnis. „Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass wir am Ende sind“, sagt der 37-Jährige. Etwa zehn Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts fließen ins Gesundheitssystem. Damit liegt Deutschland im Durchschnitt der Industrieländer. Es gibt auch kein Problem auf der Einnahmenseite, weiß der Ökonom. „Aber die Ausgaben für die Gesundheit wachsen stark“, sagt Ashok Kaul.

Das hat zum Beispiel damit zu tun, dass die medizinischen Geräte immer teurer werden. „Früher konnte man sich mit der gesetzlichen Krankenversicherung sehr viel mehr leisten. Heute gibt es dagegen viele Geräte, die Millionen Euro kosten und die Behandlungskosten in die Höhe treiben“, erklärt er einen Unterschied zu früher, als die zehn Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt noch reichten, um eine umfassende Versorgung auf dem damals aktuellen Stand der Medizin zu gewährleisten. „Heute ist vieles möglich, aber es ist auch teuer“, so der Wirtschaftsexperte. Er stellt die Kernfrage: „Was wollen wir uns leisten?“

Das Bruttoinlandsprodukt, die Summe aller Waren und Dienstleistungen, die eine Gesellschaft erwirtschaftet, ist ein Kuchen, den es aufzuteilen gilt, erklärt Ashok Kaul. Seiner Ansicht nach muss die Gesellschaft darüber diskutieren, welche Leistungen noch im Katalog der gesetzlichen Krankenkassen bleiben sollten, wie viel vom erwirtschafteten Kuchen wir also in die Gesundheit stecken wollen. „Den Kernkatalog, der die Grundversorgung sicherstellt, stelle ich nicht infrage. Aber die Zusatzleistungen sollte man hinterfragen“, fordert der Wissenschaftler. „Wir könnten sicher ein Drittel einsparen, aber schön wäre das nicht“, stellt er fest. Beispiel Zahnersatz: „Wir wollen ein gewisses Niveau beim Zahnersatz halten, um eine Stigmatisierung von Menschen mit schlechten Zähnen zu verhindern. Die Schweiz zum Beispiel hat das nicht, und die ist ja auch nicht arm.“ Ernsthafte gesundheitliche Schäden werde jedenfalls kaum jemand davontragen, wenn er schiefe Zähne hat.

Teure Gerätemedizin ist bei einer Blutprobe beim Verdacht auf Herzmuskelentzündung nicht nötig. Dennoch gibt es auch hier Sparpotenzial, das sieht der Ökonom genauso wie der Mediziner: „Wenn sich das Ergebnis in umfangreicheren Studien bewahrheitet, sollte man die Leistung in zwei Jahren aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen streichen“, so das Fazit des Wirtschaftsexperten Kaul.

 

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