Wenn dem Lehrer die Stimme versagt

Wenn dem Lehrer die Stimme versagt


Norbert Gutenberg, Professor für Sprechwissenschaft und Sprecherziehung an der Saar-Uni, empfiehlt angehenden Lehrern vorbeugende Maßnahmen

Krächzen, Fiepsen und Heiserkeit sind oft nicht nur die Symptome einer Erkältung, sondern Zeichen einer Stimmstörung. Das Problem tritt vor allem bei Menschen auf, die im Beruf viel sprechen müssen, etwa bei Lehrern, Erziehern, Pfarrern und Verkaufspersonal. Der Professor für Sprechwissenschaft und Sprecherziehung Norbert Gutenberg forscht seit 1981 an dem Thema. Er sieht vor allem in der Lehrerbildung dringenden Handlungsbedarf.


Von Irina Urig

Unruhig ist es im Klassenzimmer. Die Schüler reden miteinander, hören der jungen Lehrerin überhaupt nicht zu. Zum fünften Mal versucht sie nun schon, die Aufmerksamkeit der Klasse auf sich zu ziehen. Völlig genervt fängt sie an zu schreien, doch es kommt nur ein raues Krächzen. Nachmittags geht sie zum Arzt und wird für fünf Tage krank geschrieben. Szenen wie diese spielen sich täglich in deutschen Klassenzimmern ab. Stimmstörungen wurden früher auch als „Lehrerkrankheit“ bezeichnet. Sie treten dann auf, wenn die Stimme auf Dauer falsch belastet wird, etwa wenn der Lehrer zu lange, zu hoch oder zu laut spricht.

An der Saar-Uni nehmen alle Lehramtsstudenten im Fach Deutsch an einem Sprecheignungstest teil. Der Sprechwissenschaftler und Sprecherzieher Norbert Gutenberg und seine Mitarbeiter werten Sprechproben der Teilnehmer aus und prüfen, ob ihre Stimmen den späteren Belastungen im Lehrerberuf standhalten werden. „Bei einer Erhebung im Jahr 2002 hatten 1287 Personen an den Tests teilgenommen, bei 564 von ihnen konnten wir eine Stimmgefährdung nicht ausschließen“, erklärt der Professor. Er schätzt, dass von den gefährdeten Lehramtskandidaten später etwa 30 Prozent tatsächlich an einer Stimmstörung erkranken. „Wenn man nun davon ausgeht, dass diese 30 Prozent einmal im Jahr für mindestens fünf Arbeitstage krank geschrieben werden, fallen mindestens 6600 Unterrichtsstunden aus“, sagt Gutenberg.

Diejenigen Studenten, die er als gefährdet einstuft, lädt er zu einem persönlichen Gespräch ein und empfiehlt ihnen, entsprechende Lehrveranstaltungen in Sprecherziehung zu besuchen, die an der Saar-Uni angeboten werden. In dem Prophylaxe-Programm lernen die Studenten mithilfe von verschiedenen Übungen, ihre Stimme unter besonderen Belastungen optimal zu gebrauchen. „Beim lauten Sprechen erzeugen sie oft nur Schalldruck, das belastet die Stimme. Man kann aber auch einen Raum füllen, indem man mit der Stimme einfach mehr Klang produziert“, erklärt Norbert Gutenberg.

„Mit einer Stimmstörung kann man unter Umständen auch viel Geld verdienen, wie etwa der Sänger Joe Cocker. In der Schule aber sinkt der Lernerfolg der Schüler um etwa zehn Prozent, wenn der Lehrer zu hoch spricht oder gepresst klingt. Die Schüler hören ihm dann nicht gerne zu.“

Lehrer, deren Stimme versagt, leiden häufig auch unter der psychischen Belastung. „Stimmversagen erzeugt ein Gefühl von Ohnmacht. Das kann man vergleichen mit einer Lähmung“, erklärt Sprecherzieher Norbert Gutenberg. Bleibt eine Stimmstörung unbehandelt, können Vernarbungen oder Knötchen auf den Stimmbändern entstehen. „Ein prominentes Beispiel dafür ist der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt, der immer so knarzte und sich deshalb mehrmals Knötchen auf den Stimmbändern operativ entfernen ließ. Er hätte aber unbedingt auch eine Sprechtherapie machen müssen“, sagt Professor Gutenberg.

Für die Zukunft denkt er unter anderem über ein automatisches Erkennungsprogramm für Stimmstörungen nach. Außerdem möchte er ein langfristiges Prophylaxe-Programm starten. Allerdings fehlen ihm dafür im Moment noch die nötigen Drittmittel. Seine guten Ratschläge für Lehrer befolgt er auch selbst: „Ich mache wenig Frontalunterricht und ich habe mit dem Rauchen aufgehört. Wenn ich erkältet bin, halte ich die Klappe“, meint der Sprecherzieher.

 

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