Religiöse Reform, institutionelle 'Formbarkeit' und politische Spiele zwischen Frankreich und Deutschland im 15. Jahrhundert: der franziskanische Fall

Religiöse Reform, institutionelle 'Formbarkeit' und politische Spiele zwischen Frankreich und Deutschland im 15. Jahrhundert: der franziskanische Fall

Deutsch-Französischer Diskurs mit

Prof. Ludovic Viallet (Université Clermont Auvergne)

Zeit: 13. Februar 2024, 18.00 Uhr

Ort: Universität des Saarlandes, Campus B 3 1, Raum 2.18

Gastgeberin: Prof. Dr. Cristina Andenna (Geschichte)

Vortrag in deutscher Sprache

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Im 15. Jahrhundert wurde der Orden der Minderbrüder (die "Franziskaner") von verschiedenen Reformbewegungen durchzogen, deren heftige Rivalität zu einem guten Teil darauf zurückzuführen war, dass sich einige Ordensleute im Namen einer strengeren Armutspraxis für die institutionelle Autonomie entschieden. Gegenüber der Observanz sub vicariis ("unter den Vikaren") entwickelten sich insbesondere zwei große Reformströmungen, die den Bruch mit der Ordenshierarchie ablehnten: In einem Gebiet, das von Südostfrankreich über den westlichen Rand des deutschen Sprachraums bis nach Flandern reichte, handelte es sich um die Observanten "unter den Ministern" (sub ministris), die im Volksmund als "Colétans" bezeichnet wurden und in der weiten Provinz Sachsen, von der Ostsee bis nach Böhmen, um die Reformaten oder "Martinianer".

Diese beiden Bewegungen, die die Hauptkonkurrenten der Observanz sub vicariis waren – einer Observanz, die von großen italienischen Persönlichkeiten wie Johannes Kapistran (Johannes von Capestrano) angeführt wurde –, hatten wichtige Gemeinsamkeiten. Sie wurden stark von fürstlichen oder städtischen Mächten unterstützt, repräsentierten eine via media und verkörperten eine bestimmte Vorstellung von Reform, die untrennbar mit dem Widerstand gegen die Vorstellung einer vom Papst beherrschten Kirche und der Feindseligkeit gegenüber Rom verbunden war. Sie waren auch die wichtigsten "Besiegten" des Jahres 1517, als sich der Orden der Minderbrüder spaltete, im selben Jahr, in dem der Implosionsprozess der westlichen Christenheit begann.

Auf beiden Seiten des Rheins verweisen die Herausforderungen der franziskanischen Reform, einschließlich der Reform der Frauen – denn die "Colétans" leiteten ihren Namen von einer Frau ab, Colette von Corbie, der Reformatorin der Klarissen – also auf Problematiken, die weit über die Frage der Treue zu Franziskus oder Klara hinausgehen und sich in die Genese unserer Modernität einschreiben: in vielerlei Hinsicht geht es um Politik.