Beethovens erste Niederschriften seiner Werke: Arbeitsmanuskripte zwischen Skizze und Reinschrift

Dr. Susanne Cox (Beethovens Werkstatt, Beethoven-Haus, Bonn)

Beethovens kompositorische Arbeitsweise, angefangen bei der Skizzierung, ist gut erforscht. Man geht (vereinfacht dargestellt) davon aus, dass er in der Regel die Leitstimme skizzierte und diese dann in die ansonsten noch leere Partitur abschrieb. Im Anschluss arbeitete er die weiteren Stimmen der Partitur aus. Beethoven erstellte also kein Particell als Zwischenschritt zwischen der Skizzierung und Werkausarbeitung. Auch Skizzen in Partiturform sind nur in geringer Zahl und vor allem für die späten Streichquartette zu finden.
Für einzelne Werke verschiedener Gattungen sind allerdings zwei Werkniederschriften überliefert. Die erste Niederschrift stellt dabei ein Zwischenstadium dar: Sie ist keine Skizze mehr, aber sie entspricht auch noch nicht dem vollständig ausgearbeiteten Werk. Die zweite Niederschrift kann mitunter sogar als Reinschrift bezeichnet werden. Die frühen Niederschriften geben einen Einblick in den auf die Skizzierung folgenden Kompositionsschritt, die Werkausarbeitung. Derartige Manuskripte sind allerdings nur in geringer Anzahl erhalten geblieben. Möglicherweise hat Beethoven sie aber häufiger angefertigt, als es die Überlieferungssituation vermuten lässt. Sieghard Brandenburg vermutet, dass besonders rein geschriebenen, an Korrekturen armen Autographen frühe Niederschriften vorausgingen, von denen Beethoven die endgültige Niederschrift abgeschrieben hat.
Der Vortrag soll den frühen Niederschriften Beethovens nachgehen und folgende Fragen beantworten: Welche Merkmale haben diese Manuskripte? Welche Funktion erfüllten sie für Beethoven? Für welche Gattungen sind solche Manuskripte überliefert? Und: Kann man durch Abschreibfehler, die sich in einer Reinschrift Beethovens befinden, vermuten, dass es eine heute verschollene frühe Niederschrift gab, von der Beethoven abgeschrieben hat?

 

Studium der Musikwissenschaft mit den Nebenfächern Geschichte und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Koblenz. Magistra Artium 2012 mit einer Edition der "Lieder verschiedener Völker WoO 158" von Ludwig van Beethoven. 2012 bis 2013 wissenschaftliche Assistentin im Lektorat des G. Henle Verlags in München. Seit Juni 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt "Beethovens Werkstatt. Genetische Textkritik und Digitale Musikedition". Herausgeberin des Bands "Lieder verschiedener Völker WoO 158" der Beethoven-Gesamtausgabe (Abt. XI, Bd. 3, 2016) und von Klaviersonaten Domenico Scarlattis (Ausgewählte Klaviersonaten, Bd. 4, München: Henle 2014). Im Februar 2020 Promotion zum Thema „Das Skizzenbuch ‚Engelmann‘ – Untersuchungen zu Skizzen Beethovens aus dem Frühjahr 1823“.