Dogmatismus versus (Um)Bruch: computergestützte Auseinandersetzung mit Inszenierungen der Bayreuther Festspiele

Paul Simon Kranz (Hochschule für Musik Karlsruhe)

Seit Beginn der Wagnerrezension existiert eine hitzige Debatte über Richard Wagners Werke und deren Interpretation. Prominentester Hotspot dafür findet sich in Bayreuth: Das Festspielhaus bietet seit dessen Errichtung eine Bühne für Mythen, Machtkämpfe, Tabu(brüche) und Skandale. Der Seiltanz zwischen Traditionsbewahrung und Aufbruch, zwischen »Werktreue« und Modernisierung, führt zu Präzedenzfällen, Jubelstürmen und Buhrufen auf dem Grünen Hügel. Bei dem Versuch einer objektiven Betrachtung, rückt die Frage nach der Hierarchisierung von Libretto, Partitur und Regie schnell in das Zentrum der Diskussion. Während der Text des Librettos (zumindest in Bayreuth) unveränderbar zu sein scheint, sind es vor allem musikalische und szenische Interpretation, welche modelliert werden können. Vor dem Hintergrund der Leuchtturmfunktion der »Werkstatt Bayreuth« stellen sich dabei mannigfaltige Fragen: Woran orientieren sich die Inszenierungen? Wie groß sind Novellierungen? Ergeben sich durch Modernisierungen neue Deutungsperspektiven? Ist das Festspielhaus Schöpfungsort von Neuerfindungen oder wird eigentlich doch bloß immer wieder ein neuer Mantel über vorherige Interpretationen, Darstellungen und Abläufe herübergelegt?    
Die computergestützte Interpretationsforschung versucht mit innovativen Methoden Audiomaterial mithilfe von Analysesoftware zu untersuchen und so objektiveres Wissen über musikalische Interpretationen und Interpretationspraxis zu generieren. Im Rahmen des vorgestellten Promotionsprojektes werden entsprechende Verfahren auf audiovisuelles Material ausgeweitet. Mithilfe des zentralen Parameters Bewegung werden dabei anhand von Videoaufzeichnungen Inszenierungen von Richard Wagners »Die Meistersinger von Nürnberg« untersucht. Im Zentrum der Analyse stehen Fragen nach dem Wandel der Szenografie, der Rhythmisierung des Mise-en-scène, der Synchronität und Asynchronität von Musik und Szene, Modernisierungsprozessen und Hierarchien.

 

Paul Simon Kranz studierte als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung Schulmusik mit Hauptfach Klarinette sowie Politik- und Bildungswissenschaft in Frankfurt am Main und schloss ebenda ein Gesangsstudium an. 2021 erhielt er das Publikationsstipendium des Richard-Wagner-Verbandes Frankfurt und veröffentlichte die Monografie »Richard Wagner und ›das Weibliche‹« im Tectum Wissenschaftsverlag. Seit 2022 ist er als Stipendiat der BAREVA Foundation Doktorand an der Hochschule für Musik Karlsruhe. Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums der Bayreuther Festspiele, untersucht er im Rahmen des Projektes »RIWA26« den Wandel von »Meistersinger«-Inszenierungen bei den Wagner-Festspielen. Neben seiner musikwissenschaftlichen und -pädagogischen Arbeit ist er als Musiker weiterhin in diversen Produktionen und Projekten engagiert.