Performative Denkmale? – Überlegungen zu historisch informierter Musikpraxis aus transdisziplinärer Perspektive

Dr. Silvia Bier (Forschungsinstitut für Musiktheater Thurnau/Universität Bayreuth)

Was macht den „Reiz“ des historischen Klangs aus? Das fremdartige Klangbild? Die Suche nach historischer Authentizität? Die fortdauernde Debatte um die Möglichkeiten und Grenzen historisch informierter Musikpraxis in der Gegenwart scheint sich im Spannungsfeld zwischen Rekonstruktion, Reenactment und Ereignishaftigkeit künstlerischer Performanz im Kreise zu drehen. Dabei wurde die Frage nach der Historizität als ästhetischen Parameter im Erleben ‚Alter‘ Musik in der Diskussion bisher praktisch übersehen und dadurch unterschätzt – möglicherweise, um dem Vorwurf eines ‚musealen‘ Umgangs mit einem performativen Gegenstand zu entgehen. Ein modernes Verständnis von Musealität scheint bei der Frage von Motivation und Intention historisch informierter Musikpraxis aber durchaus neue Perspektiven zu erschließen, da sie sich zwischen den Kuratierenden, dem Material und den Betrachtenden konstituiert. Diese Konstellation ist vergleichbar mit einer musikalischen Aufführung (Interpretierende, Werk und Publikum). Dem enger gefassten Denkmalbegriff ist die Historizität inhärent: Durch ihn wird etwas mit einer historischen Bedeutung belegt, die für den Umgang mit und die Rezeption des Denkmals zentral wird. Das Denkmal manifestiert sich als solches erst durch die an ihm erkannte Historizität. Hier offenbart sich eine Parallele zur Alten Musik: Auch dieses Repertoire definiert sich in der Musikpraxis seit Beginn der Alte-Musik-Bewegung über seine Historizität und dem daraus resultierenden Umgang damit. Jedoch kann es bei einem performativen Gegenstand nicht um die Rekonstruktion einer historischen Aufführung gehen, sondern vielmehr um die Frage, welche Wirkung Musik in der Gegenwart entfaltet, wenn man sie ‚historisch informiert‘ aufführt. Da sie in der Gegenwart anders rezipiert wird als in der Entstehungszeit, muss ihre spezifische Wirkung jedoch noch von etwas anderem gespeist werden als nur von einer rekonstruierten musikalischen Ästhetik: Die historische Distanz selbst – mithin die Historizität der Musik – bekommt einen ästhetischen Eigenwert. Betrachtet vor Konzepten der Theater- und der Denkmalwissenschaften ergibt sich somit eine alternative Sicht auf Motivation und Intention der Suche nach einem verlorenen Klang.

 

Silvia Bier studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Erziehungswissenschaft in Saarbrücken und Paris.  Seit Ende 2013 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin, seit 2018 Akademische Rätin a.Z. am Forschungsinstitut für Musiktheater in Thurnau. Dort forschte sie im Rahmen ihrer Promotion zur Synthese der Künste in der frühen französischen Oper. Zu ihren Schwerpunkten gehören neben dem Musik- und Tanztheater des 17. Jahrhunderts vor allem der Bereich der Aufführungspraxisforschung an der Schnittstelle von Musik- und Theaterwissenschaft. Nach einem DFG-geförderten Forschungsprojekt zu Inszenierungsstrategien in Musiktheater und Politik im Nationalsozialismus am Beispiel Nürnberg („Inszenierung von Macht und Unterhaltung – Propaganda und Musiktheater in Nürnberg 1920–1950“), wird sich ihr Post-doc-Projekt mit Musik-, Tanz- und Festkultur an kleinen Höfen im 18. Jahrhundert und musikalischer Praxis als Teil der Public history beschäftigen.