Wilhelm Traugott Krug
„Es giebt daher gar keinen Misbrauch der Vernunft“
Rationalismus und Liberalismus im Werk Wilhelm Traugott Krugs
Der Philosoph und Theologe Wilhelm Traugott Krug (1770–1842), der von 1805 bis 1809 als Nachfolger Kants in Königsberg und ab 1809 in Leipzig Logik und Metaphysik lehrte, war ein bedeutender Vertreter des Frühliberalismus und des protestantischen Rationalismus.
Die Verbindung von Rationalismus und Liberalismus ist verwurzelt in Krugs Verständnis des Menschen als eines sinnlich-vernünftigen und freien Wesens und seiner Überzeugung, dass Freiheit und Vernunft zusammengehören. Die Freiheit hat ihre Grundlage in der Vernunft, und der Vernunftgebrauch ist angewiesen auf Gedanken- und Meinungsfreiheit. Während nach Krug dem Vernunftgebrauch keine Grenzen gesetzt werden dürfen, muss die Freiheit beschränkt werden, damit der Freiheitsgebrauch des einen nicht mit dem des anderen in einen Widerstreit gerät. Einen Missbrauch der Vernunft kann es nach Krug nicht geben, aber einen Missbrauch der Freiheit. Da die Vernunft von der Idee der Einheit bestimmt wird, können aber unberechtigte Ansprüche, die aus der echten oder vermeintlichen Rationalität von Überzeugungen, Praktiken und Gegebenheiten abgeleitet werden, zu einer Gefährdung der Freiheit werden. Solche unberechtigten Ansprüche erhoben Krug zufolge z.B. Hegel und Fichte für ihre philosophischen Systeme. Die Freiheitsgefährdung durch Rationalitätsansprüche wird bei Krug gebannt, indem er auf der Grundlage seiner Anthropologie und seines Rationalitätsverständnisses eine Theorie kultureller Pluralität entwickelt, welche die Berechtigung von Differenz und Vielfalt sicherstellt. Die Verbindung von Rationalismus, Liberalismus und Theorie kultureller Pluralität prägt Krugs vielfältige Äußerungen zu Streitfragen der Zeit, die sich aus den Differenzen und der Vielfalt in den beiden Bereichen des sozialen Lebens ergeben, die Krug – abweichend von unserem Sprachgebrauch – als Staat und Kirche bezeichnet.
Das Forschungsprojekt soll erstens wesentliche Aspekte von Krugs Werk systematisch darstellen, analysieren und interpretieren, und zwar einerseits im Blick auf die systematischen Grundlegungen in der Fundamentalphilosophie, der Rechts- und Staatstheorie und der Religionsphilosophie und andererseits im Blick auf Anwendungsfelder wie religiöse Differenzen (z.B. Judenemanzipation), Pressefreiheit und Zensur sowie die Geschlechterdifferenz und Frauenrechte. Zweitens soll durch eine umfassende Kontextualisierung von Krugs Werk ein Beitrag zur Erforschung der Christentums- und Geistesgeschichte zwischen 1790 und 1850, besonders des Spätrationalismus, geleistet werden, der deutlich über eine reine Krug-Forschung hinausgeht. Die Grenzen einer reinen Krug-Forschung sollen drittens in einem Workshop zu „Aufklärung“, „Rationalismus“ und „Liberalismus“ als Kampfbegriffen in der protestantischen Theologie überschritten werden. Da offensichtlich einige Auseinandersetzungen, an denen Krug sich beteiligte, Ähnlichkeiten mit aktuellen Debatten aufweisen, soll das Projekt viertens einen indirekten, punktuell auch einen direkten Beitrag zu ihnen leisten.
Übersicht über die Themen
A. Das Leben Wilhelm Traugott Krugs
B. Die Theoretische Grundlegung von Krugs (Praktischer) Philosophie
1. Fundamentalphilosophie, Anthropologie und Theorie kultureller Pluralität
2. Grundzüge der Staats- und Rechtsphilosophie
3. Grundzüge der Religionsphilosophie
C. Vernünftige Praxis der Freiheit angesichts von Differenzen und Pluralität nach Krug (Anwendungsfelder)
1. Religiöse Pluralität
1.1 Die nicht-christlichen Religionen
1.2 Die Judenemanzipation
1.3 Protestantismus und Katholizismus
1.4 Innerprotestantische Pluralität und Unionsfrage
2. Meinungsfreiheit und Zensur
3. Geschlechterdifferenz und Frauenrechte
4. Wahre und falsche Aufklärung
5. Wahrer und falscher Liberalismus
D. Systematische Überlegungen zu Rationalismus, Liberalismus und kultureller Pluralität
Beteiligte
Prof. i.R. Dr. Michael Hüttenhoff
Karsten Maul