Projektbeschreibung: Tradition

Projektbeschreibung


Nationale und Europäische Elemente in der Tradition des deutschen Privatrechts


DFG-Projekt Nr. RA 394/5-1


1.    Zusammenfassung

Im Rahmen des Projekts soll eine rechtshistorische und -wissenschaftliche Studie angefertigt werden, in welcher verdeutlicht werden soll, welche historische Traditionen konstitutiv für das Selbstverständnis des deutschen Privatrechts sind und inwieweit diese Traditionen in einen gesamteuropäischen Rahmen eingeordnet werden können.



2.    Stand der Forschung, eigene Vorarbeiten

2.1  Stand der Forschung und Problembeschreibung

Im Rahmen der seit einigen Jahren wachsenden Diskussion über die europäische Rechtsangleichung, vor allem des Privatrechts, sind gelegentlich kritische Stimmen laut geworden, welche auf die Unvergleichbarkeit von bestimmten Aspekten der nationalen Rechtsordnungen hinweisen. Eine nähere Betrachtung dieser Diskussion wirft die Frage auf, welche Rolle die historischen Traditionen und Verwurzelungen von Rechtsprinzipien und -normen in einem gegebenen Rechtssystem spielen. Hier stellen sich grundsätzliche Fragen sowohl für die Rechtsgeschichte als auch für die Rechtsvergleichung. Inwieweit konstituieren bestimmte Traditionen und bestimmte historische Verankerungen unverzichtbare Elemente für das Selbstverständnis eines gegebenen nationalen Rechtssystems? Sind solche historischen Verankerungen des nationalen Rechts kompatibel mit einer europäischen Rechtsangleichung oder stellen gerade diese nationalen historischen Traditionen ein unüberwindbares Hindernis auf dem Weg zur Schaffung etwa eines gesamteuropäischen Rechtsraums dar? Diese Fragestellung kann allerdings auch umgekehrt werden: Können historische Traditionen jenseits einer einzelnen Nation ermittelt werden, die als Grundlage für ein gesamteuropäisches Rechtsverständnis dienen könnten? Es sei hier etwa daran erinnert, dass der Amsterdamer EU-Vertrag in seiner Präambel ausdrücklich Bezug auf die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten nimmt. Derzeit wird auf mehreren Ebenen daran gearbeitet, die Grundsätze einer gesamteuropäischen Regelung des Vertragsrechts zu ermitteln. Auch hier stellt sich deshalb die Frage, ob es auch auf dem Gebiet des Privatrechts in den nationalen Rechtsordnungen gemeinsame historische Traditionen gibt, die Grundlage solcher Prinzipien sein könnten.


2.2  Aktueller Diskussionsstand

Welche Bedeutung die historische Verankerung von Rechtsprinzipien und Rechtsnormen in einer nationalen Rechtstradition jeweils spielt, hat in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit der rechtsvergleichenden Forschung aus ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten auf sich gezogen. Ich verweise etwa auf die Monographie des kanadischen Rechtsvergleichers H. P. Glenn, Legal Traditions of the World, 2nd ed. 2004, insbesondere Kapp. 1-2. Siehe von demselben auch La tradition juridique nationale, in: Revue internationale de droit comparé 2003, S. 263-278, sowie von demselben ebenfalls: Are legal traditions incommensurable?, in: American Journal of Comparative Law 49 (2001), S. 133 ff. Gegen die Möglichkeit überhaupt, unterschiedliche nationale Rechtstraditionen, die historisch anders verankert sind, zu vergleichen und anzugleichen, hat in den letzten Jahren mit Heftigkeit Pierre Legrand, Sur l’analyse differentielle des juriscultures, in: Revue internationale de droit comparé 1999, S. 1053 ff., insbesondere S. 1056, Stellung genommen. Siehe zusammenfassend zu dieser derzeitigen Diskussion in der rechtsvergleichenden Forschung Jaqueline Flauss-Diem, Querelles de famille(s) chez les comparatistes, in: Mélanges Jean-Pierre Sortais, Université de Lausanne Faculté de droit, Bruxelles 2002, S. 181 ff., insbesondere S. 197-199 mit weiteren Nachweisen. Gerade umgekehrt hat Reinhard Zimmermann seit etlichen Jahren in zahlreichen Beiträgen immer wieder auf die gemeinsame Verwurzelung der europäischen Rechtskultur in der gemeinrechtlichen Tradition hingewiesen. Anders als Legrand hat er immer wieder verdeutlicht, dass gerade ein Blick auf die historische Vergangenheit manche vermeintliche Gegensätze zwischen der kontinentalen Tradition des Civil Law und der englischen des Common Law wesentlich relativieren würde. Die hier anvisierte Fragestellung indiziert deshalb einen Problembereich an der Schnittstelle zwischen Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung von zentraler Bedeutung bei der derzeitigen Diskussion über die künftige Entwicklung eines gesamteuropäischen Rechtsverständnisses. Wie brisant diese Diskussion auch rechtspolitisch ist, wurde zuletzt bei den Feierlichkeiten anlässlich des zweihundertjährigen Jubiläums des französischen Code civil deutlich: Der Widerstand mancher französischer Zivilrechtskollegen gegen die derzeitigen Pläne einer europäischen Angleichung des Vertrags- und Schuldrechts wird in Frankreich bezeichnenderweise auch mit historischen Argumenten geführt: Die napoleonische Kodifikation von 2004 stelle ein wesentliches Element des historischen Selbstverständnisses des französischen Rechts dar und sei gerade deshalb nicht europäischen Rechtsangleichungsplänen zu opfern, da das französische Recht und die französische Gesellschaft sonst ihre konstitutive Identität verlieren würden. Erst kürzlich und vereinzelt, siehe etwa Philippe Remy, wird auch in Frankreich darauf aufmerksam gemacht, dass die historische Verankerung des Code civil in der Tradition des Ancien droit  und der Revolution von 1789 keinesfalls ein Hindernis für die europäische Rechtsangleichung darstellt, sondern eher eine Gelegenheit, um gemeinsame europäische Grundlagen einer einheitlichen Rechtstradition auch in dieser Hinsicht wieder zu entdecken. In diesen Zusammenhang gehört auch neuerdings das Projekt des „Historisch-Kritischen Kommentars zum BGB“, hrsg. v. M. Schmoeckel/J. Rückert/R. Zimmermann, Bd. I, Tübingen 2003 (dazu Ranieri, in: JZ 2004, S. 1170). Die jeweiligen Kommentarbeiträge verstehen sich als historisch, da die juristischen Sachfragen und Lösungen jeweils in ihrem historischen Kontext und zeitlichen Verlauf beschrieben werden. Die europäische Einbettung und Ausstrahlung der deutschen Zivilrechtskodifikation von 1900 bleibt allerdings auch hier im Hintergrund.


2.3  Eigene Vorarbeiten / Arbeitsbericht

Prof. Ranieri befasst sich seit etlichen Jahren mit der Geschichte und mit dem Strukturvergleich der europäischen Privatrechtsordnungen in der neueren Geschichte und in der Gegenwart. Gerade wegen dieses Arbeitsgebiets hat er immer wieder Gelegenheit gehabt, Teilaspekte der beschriebenen Fragestellung zu begegnen. Er verweist in diesem Zusammenhang auf seine Arbeiten zur Geschichte und zu den Gegenwartsproblemen der Juristenausbildung in Europa, zur Geschichte und zum Stil der Urteilsbegründung in der europäischen Geschichte und Gegenwart, zu den wissenschaftlichen Kontakten zwischen deutschen und französischen Juristen sowie zu den unterschiedlichen Rezeptionsvorgängen, welche die Entwicklung des kontinentalen Zivilrechts in den vergangenen zwei Jahrhunderten charakterisieren. Es sei insbesondere auf folgende Publikationen hingewiesen, die sich in thematischer Nähe zu der hier aufgeworfenen Fragestellung bewegen: Styles judiciaires dans l’histoire européenne: modèles divergents ou traditions communes?, in: Le juge et le jugement dans les Traditions juridiques européennes. Études d’histoire comparée (Droit Société vol. 17), ed. par Jacob, Paris 1996, S. 181-195; Juristenausbildung und Richterbild in der europäischen Union, in: DRiZ 1998, S. 285-294; Französisches Recht und französische Rechtskultur in der deutschen Zivilrechtswissenschaft heute: Eine unwiderrufliche Entfremdung?, in: Eine deutsch-französische Rechtswissenschaft? Kritische Bilanz und Perspektiven eines kulturellen Dialogs, hrsg. von Erk Volkmar Heyen und Olivier Beaud, Baden-Baden 1999, S. 183-196; Alle origini del diritto civile europeo. Alcune osservazioni sulle relazioni storiche tra pandettistica tedesca e civilistica italiana: la dottrina del negozio giuridico tra il XIX e il XX secolo, in: Europa e diritto privato 2000, S. 805-831; Einige Bemerkungen zu den historischen Beziehungen zwischen deutscher Pandektistik und italienischer Zivilrechtswissenschaft: Die Lehre des Rechtsgeschäfts in der italienischen Zivilrechtswissenschaft zwischen 19. und 20.Jahrhundert, in: Mélanges à mémoire du Prof. Alfred Rieg (Publications de la Faculté de droit à Strasbourg), Bruxelles 2001, S. 703-720; Die Rechtsvergleichung und das deutsche Zivilrecht im 20.Jahrhundert: Eine wissenschaftshistorische Skizze, in: Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, hrsg. von Hartmut Kaelble und Jürgen Schriewer, Frankfurt (Main) & New York 2003, S. 221-250, auch in: Friedrich Ebel u.a. (eds.), Ins Wasser geworfen und Ozeane durchquert. Festschrift für Knut Wolfgang Nörr, Köln/Wien 2003, S. 776-803; 200 Jahre Code civil. Die Rolle des französischen Rechts in der Geschichte des europäischen Zivilrechts oder zum Aufstieg und Niedergang eines europäischen Kodifikationsmodells, in: Akten des 35. deutschen Rechtshistorikertages, hrsg. v. M. Schmöckel/W. Schubert, Köln/Wien 2005 (im Druck).


 3.   Ziele

Prof. Ranieri will nun die eingangs aufgeworfene Frage insbesondere aus der Perspektive des deutschen Rechts im Einzelnen nachgehen. Beabsichtigt wird eine Studie anzufertigen, in welcher verdeutlicht werden soll, inwieweit die historische Verankerung von Prinzipien und Normen des deutschen Rechts, insbesondere des deutschen Privatrechts, konstitutiv ist zum Verständnis desselben und zugleich sich in einer gesamteuropäischen historischen Tradition einordnen lässt. Unterschiedliche Diskussionsstränge sollen in dieser Studie analysiert und zusammengefasst werden. Als primäres Ziel soll  diese Studie in einen deutschen Nationalbericht für den nächsten „17th International Congress of Comparative Law“ an der Universität Utrecht vom 16.-20. Juli 2006 eingebracht werden, zu welchem Prof. Ranieri eingeladen wurde. Die geplante Studie und sein nationales Referat ordnet sich ein in das Thema der Sektion Ia des Kongresses, „National Traditions and Historical Backgrounds“ (Generalberichterstatter: Patrick H. Glenn).