Anwendung von Bildmustererkennungsverfahren zur Analyse karischer Stadtbefestigungen

Gegenstand dieses Dissertationsprojektes ist die Entwicklung computergestützter Verfahren zur Analyse antiker Befestigungsarchitektur. Durch die Integration von Deep-Learning-Methoden in die archäologische Bauforschung soll die Kluft zwischen hochauflösender 3D-Dokumentation und deren wissenschaftlicher Auswertung geschlossen werden.

Die Erforschung antiker Befestigungen hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich weiterentwickelt. Die Grundlage zur Erforschung von Befestigungsmauern bildeten Surveys der 1950er Jahre, welche die chronologischen Rahmenwerke für Wehrarchitektur im Mittelmeerraum etablierten. Während sich frühe Forschungen auf architektonische Beschreibung und historische Kontextualisierung fokussierten, beschäftigte sich die Forschung in den letzten Jahrzehnten mit differenzierten Fragestellungen zu sozialen, politischen und ökonomischen Funktionen von Befestigungsanlagen. Das Focus on Fortifications Project (Internationales DFG-Projekt, 2008–2011) exemplifizierte diesen Wandel mit umfassenden Studien von Spanien bis Zentralasien.

Methodische Herausforderung: Die gegenwärtige Herausforderung liegt nicht in der Dokumentation, sondern in der Interpretation. Moderne Photogrammetrie generiert routinemäßig große Mengen hochauflösender 3D-Daten von Befestigungssystemen, doch manuelle Analysemethoden bleiben weitgehend unverändert. Kilometerlange Mauern werden digital in außergewöhnlichem Detail erfasst, aber die Extraktion bedeutsamer Muster aus diesen Datenmengen – die zur Identifikation von Bauphasen, regionalen Bautraditionen oder Verteidigungsstrategien herangezogen werden können – beruht weiterhin auf zeitintensiver manueller Arbeit und Beobachtung.

Machine-Learning-Ansatz: Das vorliegende Projekt adressiert die analytische Lücke zwischen Datenerhebung und -interpretation durch die Implementierung von Deep-Learning-Methoden zur semantischen Segmentierung. Durch das Trainieren neuronaler Netze mit annotierten Datensätzen der karischen Befestigungen wurde ein System zur automatischen Identifikation und Klassifikation verschiedener Mauerwerkstypen entwickelt. Ein besonderer Schwerpunkt liegt hierbei auf der Extraktion von sowohl visuellen als auch geometrischen Informationen aus den 3D-Modellen.

Regionale Fokussierung: Das Projekt konzentriert sich auf Befestigungsanlagen der antiken Landschaft Karien im Südwesten der heutigen Türkei. Diese Region bietet ideale Voraussetzungen für die Methodenentwicklung: Die sogenannten “Geländemauern” in der Region sind oft mehrere Kilometer lang und weisen üblicherweise mehrere Bau- und Reparaturphasen auf, die sich über mehrere Jahrhunderte erstrecken, was zu einer außergewöhnlichen architektonischen Vielfalt führt. Die karischen Befestigungen erfüllen in diesem Projekt eine doppelte Funktion: Ausgewählte Mauerabschnitte bilden die Trainingsgrundlage für das Machine-Learning-Modell, während die verbleibenden Mauern als Testdatensatz für die entwickelte Pipeline dienen. Diese werden systematisch segmentiert und statistisch ausgewertet, wodurch die Methode gleichzeitig validiert und ihre Anwendbarkeit für archäologische Fragestellungen demonstriert werden soll.

Analytische Pipeline: Die entwickelte Methodik folgt einem strukturierten Verarbeitungsworkflow:

  1. 3D-Datenakquise: Photogrammetrische Dokumentation für hochauflösende Modelle der Befestigungsanlagen
  2. Datenaufbereitung: Transformation der 3D-Modelle in zweidimensionale Repräsentationen – Orthomosaike für visuelle Merkmale (Farbe, Textur) und Normal Maps für geometrische Oberflächeninformationen
  3. Modelltraining: Ein Convolutional Neural Network (CNN) verarbeitet beide Datenebenen, wodurch komplementäre Informationen für eine robustere Klassifikation zur Verfügung stehen
  4. Semantische Segmentierung: Automatische Klassifikation und Annotation der Blocktypen gesamter Befestigungssysteme
  5. Quantitative Analyse: Statistische Auswertung der Segmentierungsergebnisse zur Identifikation von Baumustern und chronologischen Zusammenhängen

Die Automatisierung ermöglicht die Verarbeitung kilometerlanger Befestigungsabschnitte in einem Bruchteil der für manuelle Annotation erforderlichen Zeit. Diese Effizienzsteigerung transformiert die Befestigungsanalyse von selektiver Stichprobennahme zu systematischer Gesamterfassung. Die generierten Datensätze erreichen erstmals Umfänge, die aussagekräftige statistische Analysen ermöglichen. Forschende können Bautechniken quantitativ zwischen Fundorten vergleichen, regionale Muster identifizieren und technologische Entwicklungen diachron nachverfolgen. Das laufende Dissertationsprojekt erweitert die reine Klassifikationsfunktion um statistische Analysewerkzeuge zur Untersuchung von Baumustern, chronologischen Beziehungen und kulturellen Verbindungen. Die vorläufigen Ergebnisse des Projektes sind öffentlich zugänglich, um auch anderen Projekten und Forschenden zur Verfügung zu stehen.

Dissertationsprojekt

Dieses Dissertationsprojekt wird von Nils Schnorr M.A. (Doktorand, Institut für Klassische Archäologie UdS) durchgeführt.

Betreuung:
Prof. Dr. Katharina Meinecke (Erstbetreuung, Institut für Klassische Archäologie UdS)
Dr. Thomas Leimkühler (Zweitbetreuung, Max-Planck-Institut für Informatik, Saarbrücken)

 

Publikationen zum Projekt

N. Schnorr – T. Leimkuehler, Appearance Meets Geometry: Deep Learning for Semantic Segmentation in Archaeological Fortification Studies, (November 18, 2025), doi: 10.5281/ZENODO.17011862 (PREPRINT)