Leser*innenorientierung im Text

Wissenschaftliche Texte schreiben wir selten für uns selbst, im Gegenteil: Oft spüren wir beim Schreiben geradezu den Blick der Professorin* oder des Dozenten über der Schulter. Hält sie die Fragestellung für relevant? Ist diese Argumentation gut nachvollziehbar? Ist der lange Satz überhaupt verständlich?

Du hast gefühlt alles zu deinem Thema gelesen, was es auf dem Globus dazu gibt, du kennst die innere Logik deiner Argumente ganz genau, dein zukünftiger Leser jedoch kann nicht in deinen Kopf schauen und hat sich vielleicht auch nicht so intensiv wie du mit der speziellen Thematik deiner Schreibarbeit beschäftigt.

Um eine Leserin trotzdem für den eigenen Text zu gewinnen und damit sie Zusammenhänge nicht alleine herausfinden muss, sondern sozusagen an der Hand genommen wird, muss ihr Orientierung gegeben werden. Dies gelingt durch eine klare Leserführung und dafür gibt es eine ganze Reihe sprachlicher Mittel.

 


*Um einem gendersensiblen Sprachgebrauch gerecht zu werden, wurden im Text verschiedene Formen abwechselnd verwendet, manchmal auch nur die maskuline oder nur die feminine Form.

Argumentativ-orientierende Elemente

Um die Logik deiner Argumentation deutlich zu machen, kannst du Konnektoren verwenden. Konnektoren sind Elemente, die Sätze oder Satzteile durch ihre spezielle Semantik miteinander verbinden.

Je nach Grammatikkonzept zählen verschiedene Wortarten dazu: Konjunktionen, (z.B. denn, zwar… aber), Subjunktionen (z.B. weil, nachdem, als), Adverbien (z.B. jedoch, folglich, deshalb, wodurch), Präpositionen (z.B. wegen, trotz, infolge).

Die Konnektoren haben einen weiten semantischen Spielraum. Sie können einen Grund (z.B. aufgrund, zumal, deswegen), eine Folge (sodass, infolgedessen), einen Zweck (um…zu, zwecks) oder einen Gegensatz (dagegen, während) ausdrücken; mit ihrer Hilfe lassen sich Einschränkungen machen (obwohl, allerdings), Bedingungen stellen (vorausgesetzt, dass, sonst), die Art und Weise, wie Sachverhalte zusammenhängen, klären (indem, dadurch, mittels, je…desto) oder die Wiedergabe von Aussagen anderer signalisieren (laut, gemäß).

Dazu kommt noch eine große Anzahl an argumentativen Verben (gegenüberstellen, hervorrufen) und Ausdrücken (eine Schlussfolgerung ziehen, die Bedingung sein für etw.), die für diese Sprechhandlungen verwendbar sind.

Wenn sie fehlen, lastet die Dekodierung des Texts auf dem/der Leser*in, wie das folgende Beispiel[1] illustriert:

Ohne Dekodierungshilfe

Mit Dekodierungshilfe

Die Industriestaaten lassen Mikrochips in Ostasien fertigen. Sie wollen die Produktionskosten reduzieren. Sie exportieren die Konstruktionsteile. Sie wollen sie in anderen Ländern verarbeiten lassen.  Die Lohnkosten sind in Ostasien niedrig. Der weite Transport lohnt sich. Die fertigen Chips werden in die Industriestaaten reimportiert. Die Mikrochip-Revolution wird allgemein bewundert. Für den Alltag der in dieser Industrie arbeitenden Menschen interessiert sich kaum jemand.

Die Industriestaaten lassen Mikrochips in Ostasien fertigen, um die Produktionskosten zu reduzieren. Zunächst exportieren sie die Konstruktionsteile zur  Verarbeitung in andere Länder.  Da die Lohnkosten in Ostasien niedrig sind, lohnt sich der weite Transport. Später  werden die fertigen Chips in die Industriestaaten reimportiert. Trotz der allgemeinen Bewunderung für die Mikrochip-Revolution interessiert sich für den Alltag der in dieser Industrie arbeitenden Menschen kaum jemand.

Der Einsatz leserorientierender Elemente schafft aber nicht nur argumentative Klarheit, sondern ermöglicht es auch, den (grammatikalischen) Wortschatz zu variieren und syntaktisch  abwechslungsreicher zu schreiben. So lässt sich der logische Zusammenhang zwischen Es regnet seit Tagen heftig und Vielerorts sind die Flüsse über das Ufer getreten ganz unterschiedlich ausdrücken, z.B.:

Weil es seit Tagen heftig regnet, sind vielerorts die Flüsse über das Ufer getreten.

Vielerorts sind die Flüsse über das Ufer getreten, da es seit Tagen heftig regnet.

Wegen/aufgrund des heftigen Regens seit Tagen sind vielerorts die Flüsse über das Ufer getreten.

Seit Tagen regnet es heftig, deswegen/aus diesem Grund sind vielerorts die Flüsse über das Ufer getreten.

Der tagelange heftige Regen hat dazu  geführt, dass die Flüsse über das Ufer getreten sind.

Dass die Flüsse über das Ufer getreten sind, war das Ergebnis des tagelangen heftigen Regens.

 


[1] (Text aus Hall/Scheiner 2001, 201, gekürzt und abgewandelt).

 

Textverknüpfende Elemente

Als Wegweiser und Orientierungshilfen dienen außerdem textstrukturierende und textverknüpfende Formulierungen.

Manche können nach vorne verweisen (Im Folgenden soll dargestellt werden, warum…/ Die Analyse erfolgt im Anschluss an … ), andere verweisen zurück (Wie eingangs beschrieben,  … / Die vorgenannten Charakteristika haben gezeigt, dass…) oder sie markieren Überleitungen (Nach der Auswertung von X soll als nächstes Y analysiert werden).

Auch eine Abfolge von Schritten (z.B. in einem ersten Schritt, anschließend, danach, abschließend) und eine abschließende Beobachtung (z.B. zusammenfassend, insgesamt, festzuhalten ist…) können durch entsprechende Ausdrücke transparent gemacht werden.

Manche Konnektoren wiederum können eine lokale (hier, dort) oder temporale  Orientierung schaffen (nun, noch, endlich). Zu den objekt- oder sachverhaltsbezogenen Elementen zählen die Proformen, z.B. Personalpronomen (z.B. die Autorin… > sie…), Demonstrativpronomen (z.B. Im Gegensatz zu den Ausführungen davor, bringt der letzte Satz keine neuen Informationen. Man könnte diesen also weglassen) oder Possessivpronomen (z.B. das Werk des Autors… > sein Werk). Sie fungieren als Stellvertreter. Mit ihrer Hilfe man langweilige Wiederholungen vermeiden, aber gleichzeitig den Bezug zu etwas vorher Genanntem aufrechterhalten.

Vielfältige Kombinationen bieten auch Präpositionaladverbien, v.a. solche aus hier/da + Präposition: (z.B. hierdurch, hiermit, hierzu, hierbei, davon, darauf, daneben). Als Linkelement können sie kompakt das zuvor Geschriebene zusammenfassen, z.B. in diesem Text:

Dissertationen, Monographien, Forschungsberichte etc. „richten sich an Fachleute, und darin werden Fachbegriffe ohne weitere Erläuterungen benutzt. Erläutern muß man sie nur, wenn in unterschiedlichen Theorien unterschiedliche Begriffsinhalte damit verbunden sind […].“[1]

Aber aufgepasst: Die Bezüge sollten immer klar sein, sonst herrscht schnell Verwirrung beim Lesen. Im folgenden Text ist nicht ganz klar, worauf sich das Wörtchen hierzu  bezieht:

Zur „Aufnahme neuen Wissens und damit dem erfolgreichen selbstregulierten Lernen sind bestimmte Strategien notwendig. Hierzu fokussiert diese Arbeit auf dem Prozessmodell der Selbstregulation nach Schmitz (2001), welches die Abfolge der einzelnen Lernschritte und -strategien beleuchtet.“[2]  

Der Bezug von hierzu ist unklar, wahrscheinlich soll das Adverb die Strategien für selbstreguliertes Lernen wieder aufgreifen.[3]

 


[1] Bünting, Karl-Dieter / Bitterlich, Axel / Pospiech, Ulrike (1996): Schreiben im Studium. Ein Trainingsprogramm. Berlin, 158.

[2] Franck, Norbert ( 2022): Wissenschaftsdeutsch. Gute Texte schreiben. Ein Übungsbuch. Paderborn, 65.

[3] Vgl. ders., 93.

Insgesamt verhilft die richtige Verwendung solcher Sprachmittel zu logisch strukturierten,  abwechslungsreichen und leserfreundlichen Texten – und damit überzeugst du dann auch ganz bestimmt deine/n Leser*in.

Zum Nachschlagen und Üben: Literaturtipps

Eine gute Zusammenstellung der Konnektoren findet sich z.B. bei

  • Hall, Karin / Scheiner, Barbara (2001): Übungsgrammatik für Fortgeschrittene. Deutsch als Fremdsprache. Ismaning: Hueber Verlag, 193 (aktualisiert, optisch frischer: Hall, Karin / Scheiner, Barbara (2023): Deutsch Übungsgrammatik für die Oberstufe aktuell: buch mit Online-Tests und Lösungsschlüssel online. München: Hueber Verlag).

Zu vielen weiteren sprachlichen Mitteln der Leserorientierung siehe:

  • Moll, Melanie / Thielmann, Winfried (2017): Wissenschaftliches Deutsch. Konstanz: utb, Kap. 6 und 9.

Zum Üben eignen sich besonders gut:

  • Graefen, Gabriele / Moll, Melanie (2011): Wissenschaftssprache Deutsch: lesen – verstehen – schreiben. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Frankfurt am Main,
  • Franck, Norbert (2022): Wissenschaftsdeutsch. Gute Texte schreiben. Ein Übungsbuch. Paderborn.