Schwerpunkte


1. Verfassungsgeschichte und Politische Geschichte des Frankenreichs


Das strukturbedingt schwierige Verhältnis zwischen König und Königssöhnen der fränkischen Dynastien der Merowinger und Karolinger wurde mit der neuentwickelten Methode, die Normen des Handelns zu analysieren, abseits der eher institutionengeprägten Ausrichtung der bisherigen Forschung untersucht. Diese führte zu neuen Erkenntnissen über die Funktionsweise der Königsherrschaft, über die Normen, die das politische Handeln innerhalb der Herrscherfamilien bestimmten, über die hervorgehobene Stellung des Erstgeborenen, über die sogenannte Institution des Unterkönigtums, das es allenfalls während des kurzen Zeitraums zwischen rund 790 und 830 gab, und zu einer Neubewertung der verfassungsmäßigen Bedeutung der Primogenitur und der Unteilbarkeit beim Wechsel von der karolingischen Dynastie zu den nachfolgenden Dynastien der Ottonen und Kapetinger.

Untersuchungen über urkundliche und erzählende Quellen zum Lehenswesen konnten dessen im allgemeinen weit überschätzte Bedeutung für den Aufbau und den Charakter der karolingischen Herrschaft in allseits anerkanntem Maße erheblich relativieren.


2. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie Klostergeschichte des Mittelalters; Prekarien (Leiheverträge)

Zu den das Mittelalter übergreifenden zentralen sozial- und wirtschaftshistorischen Themen der Grund- und der Landesherrschaft gehören die Studien zur Ökonomie des Klosters Corbie während der ‚klassischen’ Phase der Grundherrschaft (Statuten Adalhards von Corbie von 821 als Teil der Biographie über Adalhard), zur Organisation der adeligen, ‚privaten’ Grundherrschaft in der ‚nachklassischen’ Phase am Beispiel des burgundischen Domanialbesitzes des Grafen Heccard von 876, zur Transformation der Grundherrschaft zur Pacht- und Rentenwirtschaft im Hoch- und Spätmittelalter sowie zum Klosterhaushalt anhand der im rheinischen Raum bedeutenden Benediktinerabtei St. Vitus von Mönchengladbach, ferner zum fürstlichen Haushalt des jülich-klevisch-bergischen Herzogshofs im 15. und 16. Jahrhundert. Die Untersuchung von prekarischen Leiheverträgen von der Spätantike bis 1300 befindet sich in Bearbeitung.


3. Finanz- und Verwaltungsgeschichte des Mittelalters (und der beginnenden Frühen Neuzeit)

Der Forschungsschwerpunkt ist durch die Edition
"Die jülich-kleve-bergischen Hof-, Hofämter- und Regimentsordnungen 1456/1521 bis 1609" (Residenzenforschung 26), bearbeitet von Brigitte Kasten und Margarete Bruckhaus, Ostfildern 2015
abgeschlossen worden.

Die Edition beinhaltet 109 Ämter-, Hof- und Regimentsordnungen aus dem Zeitraum von 1456 bis 1603, die im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf erhalten sind. Der zeitliche Rahmen ergibt sich aus der Überlieferung der ersten relevanten Ämterordnung für die Herzogtümer Jülich und Berg von 1456 und durch das Aussterben der Herzogsdynastie im Jahre 1609. Ämterordnungen der Hofverwaltung (Pförtner, Türhüter, Kammermeister, Hofmeister, Bottelier, Spinder/Brotmeister, Küchenschreiber, Weinverwahrer, Kanzler, Registrator, Sekretär und viele mehr) wurden in die Edition aufgenommen, weil auch diese als Ordnungen des Hofes bezeichnet und aufgefasst wurden, ferner teilweise in die generellen Hofordnungen als deren Teilbestandteile eingefügt waren. Sie definierten die Amtsaufgaben des jeweiligen Amtsinhabers, regelten die Zusammenarbeit und die Befehlsgewalt bei Aufgabenüberschneidung zwischen mehreren Amtsträgern und zogen die Grenzen zwischen den Kompetenzbereichen. Die generellen, umfassenderen Hofordnungen regelten darüber hinaus das Verhältnis des Herzogs zu den Amtsträgern und Räten sowie die Erfordernisse der standesgemäßen Hofhaltung und deren Finanzierung. Sie beinhalten nicht selten allgemeine Anweisungen und grundsätzliche Erklärungen zur Regierungsführung, die sich auch in den Regimentsordnungen wiederfinden. Umgekehrt weisen die Regimentsordnungen, das heißt die schriftlichen Fixierungen der Regierungsführung, einem Staatsvertrag ähnelnd, in weiten Teilen Verfügungen zur Hofhaltung und deren Finanzierung auf. Daher wurden die Regimentsordnungen ebenfalls in die Edition aufgenommen. Die allermeisten Stücke, rund 95 % werden durch die Edition zum ersten Mal einem breiteren Kreis von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zugänglich gemacht. Sehr wenige Stücke liegen in einer älteren, allerdings oft den modernen Ansprüchen nicht genügenden Veröffentlichung vor; sie werden hier neuediert. Es ist wünschenswert, dass ein solches Grundlagenwerk in gedruckter Form vorliegt, um auch künftigen Generationen von Forschern den direkten Zugang und eine einfache Benutzung, unabhängig von sich rasch ändernden digitalen Speichermedien, zu gewährleisten.
Aus den Themenkreisen, die mit Hilfe dieser Quellenedition teils erstmalig, teils fundierter als je zuvor untersucht werden können, seien genannt: (1) die Verwaltungsorganisation eines durch Personalunion regierten spätmittelalterlich-frühzeitlichen Fürstentums mit erheblichem politischem Gewicht in der Geschichte Europas im 15. und 16. Jahrhundert, (2) die Finanzstruktur der Hofverwaltung, (3) die Kanzleigeschichte, (4) die Funktionsweise der Rechnungslegung, (5) das politische Zusammenwirken von Vorstand (Herzog) und erster Führungsschicht (Räte, Inhaber der hohen Ämter, die letzteren "Offiziere" von lat. officium, officiarius genannt) eines bedeutenden Teilstaates des Römischen Reiches Deutscher Nation, (6) das alltägliche Konfliktpotential bei Hof und die Maßnahmen zu seiner Entschärfung, (7) die Staatsfinanzierung und der Sparzwang in der frühen Neuzeit. Darüber hinaus bietet die Edition (8) wertvolles Namensmaterial für eine Prosopographie des niederen Hofpersonals, darunter auch Bürger, und vor allem der höheren Amtsträger, also des hofnahen Adels sowie (9) für die Flurnamenforschung. Damit öffnet sie sich vergleichenden Untersuchungen auch unter interdisziplinären Fragestellungen, z. B. der Sprachwissenschaft, der Krisenforschung, der Kommunikationsforschung.


4. Gesellschaftliche Konfliktaustragung und -bewältigung im Mittelalter

Das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft und die zeit- und sachadäquaten Möglichkeiten der Friedenssicherung stehen im Mittelpunkt von Forschungsbeiträgen und -interessen zu Ehe und Familie im Frühmittelalter (Ausgrenzung von Stiefmüttern, Marginalisierung von illegitimen Kindern), zu daheimgebliebenen Kreuzfahrern und ihren Familien am Anfang des 13. Jahrhunderts und zu politischen Prozessen Herzogs Wilhelms V. von Jülich-Kleve-Berg im Zusammenhang der Bewältigung seiner militärischen Niederlage gegen Kaiser Karl V. beim geldrischen Erbfolgekrieg im Jahre 1543. Eine derzeit laufende Untersuchung gilt der Analyse von Fehde, Vergleich und Schiedsgerichtsbarkeit im 15. Jahrhundert in der Grafschaft Nassau-Saarbrücken.


5. Testamenteforschung

Die hiesige Testamenteforschung ist auf die rechts- und wirtschaftsgeschichtliche Untersuchung von fränkischen Adelstestamenten aus der Karolingerzeit und auf die staatsgeschichtliche Bedeutung von früh- und hochmittelalterlichen Herrschertestamenten in Westeuropa fokussiert. Dabei werden auch die Testamente von nahen Verwandten (Väter, Mütter, Brüder, Schwestern, Söhne, Töchter) des amtierenden Königs- oder Kaiserpaares in den Blick genommen.


Header-Bild: Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse), https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg848/0018