Vom Nicht-anfangen- und Nicht-weiterschreiben-können

Kommt euch das bekannt vor? ‚Ich habe so viele gute Ideen und so viel gelesen, aber wo fange ich nur an, und wie?‘ Oder: ‚Ich fühle mich wie ausgesaugt, mir fällt einfach nichts mehr ein, ich hänge fest in meinem Text und habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll‘.

Routinen können hier helfen. Wenn man sich erst mal daran gewöhnt hat, jeden Tag an seinem Schreibprojekt zu arbeiten, wird es zur Routine und wie zum Zähneputzen müssen wir uns nicht mehr immer aufs Neue überwinden, sondern es wird zum Automatismus.

Wichtig ist, überhaupt etwas zu produzieren.

                               „Irgend etwas hinkriegen, verbessern lässt sich’s immer; nur das Nichts lässt sich nicht verbessern.“[1]

Eine vielfach bewährte Methode ist die 100-Wörter-Methode[2] (die natürlich auch auf 150, 200… Wörter ausgeweitet werden kann).  Man eröffnet sozusagen ein Konto, in das jeden Tag 100 Wörter ‚eingezahlt‘ werden müssen. Das klingt nach wenig und macht täglich tatsächlich auch nur einen Absatz, aber, konsequent durchgeführt, sind das pro Monat ca. 3.000, pro Jahr 36.500 Wörter.

Und das geht so:

Für jeweils 100 geschriebene Wörter malt man je 1 Kästchen. Das schriftlich geführte! Kontojournal hat nun den Vorteil, dass man auch Guthaben erwerben kann und mehrere Kästchen auf der Haben-Seite verbuchen darf, wenn es mal mehr als 100 sind. Ist dies der Fall, kann (muss man aber nicht) man auch mal einen Tag aussetzen und von dem aufgebauten Puffer-Kästchen zehren, z.B. wenn man sich nicht so fit fühlt oder andere wichtige Termine, wie den Gang zum Arzt oder die Geburtstagsfeier der besten Freundin, hat

 

Datum

daily rate

Reserve

Mo

☑︎

 

Di

☑︎

 

Mi

☑︎

☐☐☐

Do

 

 

Fr

 

 

Sa

☑︎

 

So

 

 

Mo

 

 

Schön und gut, aber was, wenn nach Tagen voller Begeisterung und Elan der Wörter-Sprudel versiegt und es plötzlich stockt? Wo sollen die nächsten 100 Wörter her? Den Kopf voller Ideen und Infos geht es trotzdem nicht vor und nicht zurück. Helfen kann hier die sog. künstliche Zeitverknappung, die Katja Günther in ihrem sehr lesenswerten Büchlein Selbstcoaching in der Wissenschaft[3] beschreibt. Man hört mitten im Flow auf und kann dadurch umso motivierter am nächsten Tag, im nächsten Zeitslot, mit den nächsten 100 Wörtern, fortfahren. Denn wir wissen zu diesem Zeitpunkt, was wir noch hätten aufschreiben können, um den Gedanken, die Argumentation, das Kapitel zu Ende zu bringen. 

 „Ich höre am Abend nicht nur mitten in einer Szene auf, von der ich weiß, wie sie weitergeht, und auch nicht in einem Absatz, sondern mitten in einem Wort. Dann gehe ich in der Früh an meinen Schreibtisch und schreibe das Wort zu Ende  und dann den Satz … und auf diese Weise gelingt es mir immer wieder, mich hineinzuschleichen.“[4]

Es fällt also leicht, beim nächsten Mal ganz genau dort einzusetzen und der Schwung ist sofort wieder da. Und wer Sorge hat, das, was er noch schreiben wollte, zu vergessen, hält den Gedanken abschließend noch in ein paar Stichworten fest, so geht nichts verloren.

Der 100-Wörter-Schreibraum sollte übrigens wirklich fürs Schreiben reserviert sein und nicht dafür, neue Ideen zu generieren, sich Strukturen zu erdenken. Denn das wiederum lässt sich zwischen den Slots gut machen, denn Ideen kann man überall haben, und meist sogar eher als vor einem weißen Blatt Papier: beim Duschen, beim Joggen, bei der Heimfahrt im Bus.

 

Marianne, eine Doktorandin der Uni Trier, nutzt übrigens gern die Minus-50-Wörter-Methode. Sie ist umgekehrt gerade eine Vielschreiberin. Sie schreibt seitenlang neuen Text, aber auch Versionen von schon Fertigem, immer mit dem Ehrgeiz, einen noch schöneren und besseren, einen noch stringenteren und konziseren Text zu erschaffen. Schön, wenn es so fließt und keine Blockierung zu fürchten ist, aber am Ende muss sie den oft schmerzhaften Prozess des Loslassens durchlaufen, Versionen wegwerfen, Texte rigoros kürzen. Sie gebraucht die 100-Wörter-Methode also, indem sie sie auf den Kopf stellt (auch hier lässt sich die Anzahl der Wörter natürlich beliebig nach oben oder nach unten anpassen). Ihr könnt euch sicher schon denken, wie das geht: Sie zählt die Wörter, die sie erfolgreich gestrichen hat, und darf für jede daily rate ein Kästchen abhaken. So schlägt sie aus dem gedanklichen Steinmassiv den Kern der Argumentation frei und kommt Schritt für Schritt zu einem glatteren, luzideren Text.

 

Datum

daily rate

Reserve

Mo

 

Di

 

Mi

☐☐☐

Do

 

 

Fr

 

 

Sa

 

So

 

 

Mo

 

 


[1] Frederick Wyatt, in: Esselborn-Krumbiegel, Helga (22021): Tipps und Tricks bei Schreibblockaden. Paderborn, 105.

[2] Vgl. z.B. www.in-bielefeld-studieren.de/themen/peerlearning/studierende/StuFuKa_Schreiben_100-Worter-Methode.pdf.

[3] Günther, Katja (2020): Selbstmanagement in der Wissenschaft. Wie das Schreiben gelingt. Opladen/Toronto.

[4] Johannes Mario Simmel, in: Esselborn-Krumbiegel, Helga (22021): Tipps und Tricks bei Schreibblockaden. Paderborn, 135.

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