Frankreichstrategie

Charakteristisch für die Fachrichtung Germanistik an der Universität des Saarlandes ist, dass sie seit Jahrzehnten intensive Kontakte mit Frankreich pflegt und transdisziplinäre, grenzüberschreitende Forschung initiiert:

Die (in Deutschland einzigartige) Professur für Frankophone Germanistik wurde im Jahr 2014 wiederbesetzt. Sie kooperiert in den Bereichen Lehre, Forschung und Kultur mit verschiedenen Universitäten und sonstigen Bildungs- und Kulturinstituten der Großregion. Sie bietet außerdem spezifische Studienangebote – insbesondere den trinationalen Master-Studiengang "Literatur-, Kultur- und Sprachgeschichte des deutschsprachigen Raums", der gemeinsam mit den Universitäten Metz und Luxemburg ausgerichtet wird.

In der Fachrichtung Germanistik sind seit 2002 erfolgreich intensive Bemühungen um die Literatur Lothringens und des Saar-Mosel-Raums betrieben worden. Diese betrafen insbesondere Wirken, Umwelt und europäische Bedeutung der aus dem lothringischen Herzogshause stammenden Gräfin Elisabeth von Nassau-Saarbrücken (gest. 1456, begraben mit großartigem Grabmal in SB-St. Arnual), die französische Heldenepik (Chansons de geste) ins Deutsche übersetzte und damit entscheidende Impulse für den deutschsprachigen Prosaroman gab. Es erschienen aufgrund von DFG-geförderten Kolloquien zwei in dieser Form initiale Bände.

Darüber hinaus entstanden DFG-geförderte Projekte zu einer weiteren moselländischen Übersetzung, die in der Umgebung der Tochter Elisabeths, Margarethe von Rodemacher/Rodemack (bei Thionville) und Boulay entstand: die berühmte 'Pélerinage de vie humaine' des Guillaume de Digulleville, deren Prosaversionen demnächst in Saarbrücken ediert werden.

Von der Fachrichtung Germanistik entscheidend mitgetragen wurde seit 1980 bis in die letzten Jahre der Forschungsschwerpunkt der Philosophischen Fakultäten Grenzregionen und Interferenzräume, in dem unter Beteiligung vieler Fachrichtungen auch Verbindungen zu Frankreich in Geschichte und Gegenwart eine dominante Rolle spielten. Aus diesem Schwerpunkt entstanden mehrere DFG-Forschungsprojekte.

Organisiert von der Fachrichtung Germanistik sind jedes Jahr seit 1980 interdisziplinäre Kolloquien zuSiedlungsnamen und Siedlungsgeschichte in Regionen von Belgien, Rheinland, Moselland, Luxemburg, Elsass, Lothringen und Burgund samt Suisse Romande abgehalten worden – unter Beteiligung von Geographen (Kubiniok), Archäologen (Stein), Romanisten (Pfister), Historikern (Herrmann, Kasten) und Germanisten (Haubrichs). Aus diesen Kolloquien entstanden DFG-Forschungsprojekte und bestens rezipierte Dissertationen.

Aus der Fachrichtung Germanistik heraus entstand eine große, so nirgendwo existierende Datenbank (über 600.000 Einträge) der Flurnamen und Siedlungsnamen Lothringens und des Saarlandes, anfangs von VW finanziert, dann von der DFG – mit mehreren DFG-Nachfolgeprojekten – ein sprachwissenschaftliches, onomastisches und dialektologisches Forschungsinstrumentarium ersten Ranges für Deutschland und Frankreich.

Aus der Erweiterung der Gustav-Regler-Forschungsstelle der Universität des Saarlandes zu einem Archiv für die Literaturen der Grenzregionen Saar-Lor-Lux-Elsass ging 1985 das Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass hervor. Es sammelt Handschriften, Bücher, Bilder, Filme, Tonaufnahmen und Textdokumente von und über Autorinnen und Autoren, die in der Grenzregion Saar-Lor-Lux-Elsass gelebt oder geschrieben haben. Es erfasst entsprechende Vor- und Nachlässe, fördert die inhaltlich-wissenschaftliche Auseinandersetzung und bietet eine umfangreiche Sammlung zur Literatur im Saarland, in Luxemburg, in Lothringen und im Elsass. Das Archiv nimmt eine zentrale Rolle bei der Erforschung des deutsch-französischen Kulturaustausches in der Grenzregion ein, die sich in Ausstellungen, Lesungen und Publikationen ebenso wie in der Zusammenarbeit mit Kulturinstituten der Großregion (z.B. Centre national de littérature in Metz, Luxemburg) oder in den regelmäßig vom Archiv organisierten Übersetzungsgesprächen zeigt. Die Forschung des Archivs wirkt zugleich über die vom Leiter des Archivs, PD Dr. Sikander Singh, und seinen Mitarbeitern regelmäßig in der Germanistik angebotenen Lehrveranstaltungen zurück in die universitäte Lehre.

Im Rahmen des Forschungsprojektes Zwischen Transfer und Vergleich. Theorien und Methoden der Literatur‐ und Kulturbeziehungen aus deutsch‐französischer Perspektive fand vom 9.-11. Februar 2012 in Saarbrücken eine internationale und interdisziplinäre Tagung statt, organisiert von Prof. Dr. Christiane Solte-Gresser (Vergleichende Literaturwissenschaft), Prof. Dr. Hans-Jürgen Lüsebrink (Interkulturelle Kommunikation), Prof. Dr. Manfred Schmeling (Vergleichende Literaturwissenschaft) und dem Frankreichzentrum der Universität des Saarlandes.

Das Projekt geht von der Beobachtung aus, dass sich die Literatur‐ und Kulturbeziehungen während der letzten Jahre im Zuge von Globalisierung, Kulturwandel und Medienrevolution radikal verändert haben. Diese Veränderungen schlagen sich direkt in neueren und neuesten theoretischen sowie methodischen Reflexionen nieder. Auf fruchtbare, aber auch auf besonders kontroverse Weise werden sie im deutsch‐französischen Kontext diskutiert. Während die aktuellen Ansätze angloamerikanischer Provenienz als relativ gut erforscht gelten können, steht allerdings eine systematische Ausschreitung des gegenwärtigen, sich ausgesprochen dynamisch entwickelnden deutsch‐französischen Theorie‐Feldes der Literatur‐ und Kulturbeziehungen noch weitgehend aus.

Mit dem Saarbrücker Kolloquium wurde erstmals ein kritischer Dialog eröffnet zwischen neuesten, zumeist durch junge Nachwuchswissenschaftler/-innen vertretenen literatur- bzw. kulturtheoretischen Zugängen und etablierten Experten-Ansätzen zu Fragen des Transfers und des Vergleichs. Die Beiträge sind erschienen in der Schriftenreihe des Frankreichzentrums Vice Versa. Finanziert wurden Tagung und Publikation großzügig durch die Volkswagen Stiftung.