Ringvorlesung 2021/2022

1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Ringvorlesung: „Nebeneinander – gegeneinander – miteinander. Juden und Christen in Deutschland“

 

Am 11. Dezember 321 erlaubte der römische Kaiser Konstantin den Kölner Ratsherren durch ein Dekret, Juden in den Rat der Stadt zu berufen. Das Dekret gilt als Beleg dafür, dass seit mindestens 1700 Jahren Jüdinnen und Juden auf dem Territorium des heutigen Deutschlands leben. Um an diese lange Geschichte zu erinnern und sie zu reflektieren, gründete sich 2018 der Verein „321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, der Aktivitäten zu dem Jubiläum koordiniert.

Die Christlich-Jüdische Arbeitsgemeinschaft des Saarlandes und die Fachrichtung Evangelische Theologie beteiligen sich in Zusammenarbeit mit der Landeshauptstadt Saarbrücken an dem Festjahr mit einer Ringvorlesung, die verschiedene Seiten der jüdisch-christlichen Beziehungen in Deutschland beleuchten wird. Die Vorträge werden die jüdisch-christliche Konfliktgeschichte, aber auch gelungene Beispiele des Miteinanders als Vorbilder und Anknüpfungspunkte für eine gemeinsame Zukunft in den Blick nehmen. Es werden Entwicklungen in der christlichen Theologie vorgestellt, die jüdische Traditionen konstruktiv aufgreifen, und darauf reagierende jüdische Stimmen zu Wort kommen.

Finanziell unterstützt wird die Ringvorlesung vom Bundesministerium des Innern. Die Schirmherrschaft hat der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Saarbrücken Uwe Conradt übernommen.

Die Teilnahme an den Vorträgen ist nur nach vorheriger Anmeldung beim Sekretariat der Fachrichtung Evangelische Theologie möglich:
per E-Mail: ev.theol@mx.uni-saarland.de oder telefonisch: 0681 302-2349.

Es gilt die 3G-Regel. Im Veranstaltungsgebäude ist bis zur Einnahme des Sitzplatzes eine medizinische Mund-Nase-Bedeckung oder eine FFP2-Maske zu tragen.

 

Die Vorträge finden ab dem 27. Oktober immer mittwochs um 18.30 Uhr statt. Veranstaltungsort des Eröffnungsvortrags am 27. Oktober ist der Festsaal des Rathauses St. Johann, alle weiteren Veranstaltungen finden im Lesecafé der Stadtbibliothek Saarbrücken statt.

 

Programm:

Das allegorische Figurenpaar Ecclesia und Synagoga dokumentiert das von Anfang an schwierige Verhältnis der christlichen Kirche zu ihren jüdischen Wurzeln. Mit ihrer Typologisierung als gegensätzliches Frauenpaar zunächst in der theologischen Literatur, dann in der kirchlichen Kunst werden Ecclesia und Synagoga dominantes Motiv bei der Darstellung von Kirche und zeitgenössischem Judentum. Die Veränderungen der Synagoga-Figur spiegeln die unsichere Lebenssituation der Juden. Synagoga wird Indiz für die zunehmend verzerrte Wahrnehmung der Juden durch die Christen und gewinnt in der diskriminierenden Darstellung schließlich programmatischen Charakter für die spannungs- und konfliktreiche Geschichte der Ausgrenzung einer gesellschaftlichen Minderheit. Die Figur zeigt die letztendlich tödliche Wirkung antijüdischer Sprach- und Bildsymbolik und die gefährlichen und schließlich zerstörerischen Mechanismen der Macht.

HIER finden Sie die Video-Datei zum Vortrag: https://cloud.hiz-saarland.de/s/HJiNGZFnEfczzQD

 

Der fruchtbare Dialog zwischen Juden und Christen – Christen und Juden hat in den letzten Jahrzehnten mit dazu beigetragen, dass beide Seiten gelernt haben, sich besser zu verstehen und zu respektieren. Das hat in jüdischen und christlichen Erklärungen und Dokumenten Niederschlag gefunden. Noch gibt es viel zu tun, denn was auf der Ebene von Fachgelehrten, Leitungsorganen oder Arbeitskreisen gilt, trifft noch nicht für die Allgemeinheit bzw. die Situation in den Gemeinden zu. Antijüdische Stereotype und Vorurteile sind noch immer weit verbreitet. Das Jewish Annotated New Testament ist nicht nur selbst eine Frucht dieses Dialogs, sondern es liefert einen herausragenden jüdischen Beitrag zur Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses und bietet zahlreiche Impulse für die Weiterentwicklung einer neuen Bestimmung des christlich-jüdischen Gesprächs.

HIER finden Sie die Video-Datei zum Vortrag: https://cloud.hiz-saarland.de/s/sH2cy5cnwrkfktf

 

 

10.11. Dr. Norbert Reck (München): Der Jude Jesus und die Zukunft des Christentums

Dass Jesus Jude war, ist nichts Neues. Aber seine Treue zur Tora, die keine Abstriche am Judentum machte, war für die christliche Theologie immer ein Problem. Sie versuchte, Jesus aus dem Judentum herauszuheben, und schuf einen immer abstrakteren Christus, der mit dem irdischen Jesus kaum noch etwas zu tun hatte. Die spirituelle Kraft der Quellen, aus denen Jesus schöpfte, blieb dabei immer mehr auf der Strecke. Die Krise der christlichen Kirchen hängt damit zusammen, meint Norbert Reck, und sagt: Ohne ein neues Verhältnis zum Judentum gibt es keine Zukunft für das Christentum.

Biographisches
Norbert Reck, geb. 1961, Dr. theol., ist freier Publizist und Übersetzer. Bis Mitte 2016 war er verantwortlicher Redakteur für die deutschsprachige Ausgabe der internationalen theologischen Zeitschrift »concilium«. Er ist Mitglied im Gesprächskreis Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken sowie im wissenschaftlichen Beirat der Zeitschrift »theologie.geschichte«. Zahlreiche Rundfunk-, Buch- und Zeitschriftenbeiträge. Vortragstätigkeit in Europa und den USA.

HIER finden Sie die Video-Datei zum Vortrag: https://cloud.hiz-saarland.de/s/fxakE4zmPqCffQP

Da die Qualität des Videos nicht optimal ist, bieten wir Ihnen hier auch eine reine Audioaufnahme des Vortrags an: https://cloud.hiz-saarland.de/s/aysXx3gyMRztKPn

 

24.11. Dr. Christoph Cluse (Trier): Die jüdischen Gemeinden Speyer, Worms und Mainz als „Heilige Gemeinden“ im Mittelalter

Im Juli 2021 hat das Welterbe-Komitee der UNESCO beschlossen, die "SchUM-Stätten von Speyer, Worms und Mainz" in die Liste der Welterbestätten einzuschreiben. Dazu gehören die mittelalterlichen Synagogenbezirke von Speyer und Worms sowie die alten jüdischen Friedhöfe von Worms und Mainz. Der Vortrag gibt einen Überblick über diese Stätten und ihre Geschichte. Im Mittelpunkt steht die Frage, was sie über das jüdische Gemeindeleben in der christlichen Umwelt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit aussagen. Der Referent, Dr. Christoph Cluse, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arye Maimon-Institut für Geschichte der Juden der Universität Trier und war an der Ausarbeitung des Dossiers für den UNESCO-Antrag beteiligt.

 

01.12. PD Dr. Martin Vahrenhorst (Saarbrücken): Christliche Hebraisten

Als Juden vor 1700 Jahren in Deutschland heimisch wurden, brachten sie auch eine Sprache mit, das Hebräische. Sie beteten und
studierten die Tora in dieser Sprache. Im Zuge ihrer Bewegung „Zurück zu den Quellen“ begannen Humanisten Jahrhunderte später sich
fürs Hebräische zu interessieren. Sie lernten die Sprache bei Juden und hatten den Anspruch sie auch aktiv zu beherrschen. So sind im
16. Jahrhundert eine Reihe hebräische Texte aus christlicher Feder entstanden.
Dieser Abend beleuchtet dieses besondere Kapitel christlich-jüdischer Beziehungen anhand zweier Protagonisten,die  gar nicht so weit weg vom Saarland geboren wurden: Paul Fagius (Rheinzabern) und Sebastian Münster (Ingelheim).

 

08.12. Rabbinerin Prof. Dr. Birgit E. Klein (Heidelberg): Was bleibt? 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland im Streben nach Integration und widerfahrener Ausgrenzung

Das Jahr 2021 hat der Kölner Verein „#2021JLD–Jüdisches Leben in Deutschland“ zum Anlass genommen, an ein vor 1700 Jahren erlassenes allgemeines Reichsgesetz Kaiser Konstantins zu erinnern. Mit dem neuen Gesetz von 321, überliefert allein in der Abschrift seiner Ausfertigung an den Kölner Stadtrat, setzt eine Geschichte der Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden ein. Dagegen traf ihr Wunsch nach Teilhabe und Mitwirkung in den letzten 1700 Jahren eher auf Ablehnung denn auf Zustimmung. Dennoch waren und sind jüdische Menschen in vielen Bereichen der Gesellschaft aktiv. Ihr vielfältiges Wirken wird der Vortrag an einigen Beispielen illustrieren.

 

15.12. Prof. Dr. Martin Meiser (Saarbrücken): Felix Mendelssohn Bartholdy und sein Umfeld

Das Gegeneinander von Christen und Juden in ein Miteinander oder wenigstens ein friedvolles Nebeneinander zu verwandeln, war das Ziel einiger hervorragender Vertreter der europäischen Aufklärung, allen voran Moses Mendelssohn und Gotthold Ephraim Lessing. In der weitverzweigten Familie Mendelssohn ließ ein differierendes Verständnis von Aufklärung unterschiedliche Konsequenzen für die religiöse Selbstzuordnung erwachsen. Dem Weg der Assimilation war auf Dauer häufig kein Erfolg beschieden, wie sich an dem Verhältnis der Umwelt und der Nachwelt zu Felix Mendelssohn Bartholdy zeigt, der einem aufklärerischen Christentum verpflichtet war. Die Leitlinien der europäischen Aufklärung für ein tolerantes Miteinander verschiedener ethnischer und religiöser Gruppierungen bleiben auch heute verpflichtend.

 

05.01. Studienrat Mark Krasnov (Wiesbaden): Die „Kindertorah“ – Eine innovative Literaturgattung für den jüdischen Religionsunterricht

Da der Originaltext der Torah in sprachlicher und thematischer Hinsicht sehr komplex ist, war und ist er für Kinder schwer verständlich und kaum zugänglich. Vor diesem Hintergrund und da man zugleich dem innerjüdischen ideologischen Anspruch gerecht werden möchte, über fundierte Torahkenntnisse zu verfügen, entstand die Notwendigkeit für sog. Kindertoroth. Bei einer Kindertorah geht es jedoch nicht darum, die ursprüngliche Torahfassung auf einen unterhaltsamen Lesestoff zu reduzieren und dabei Passagen zu zensieren, die als unzeitgemäß oder politisch inkorrekt empfunden werden. Vielmehr soll der jungen Generation dieses inhaltsreiche Werk, das die jüdische und christlich-abendländische Kultur sowie die humanistische Entwicklung der heutigen Gesellschaft in verschiedenen Lebensbereichen entscheidend geprägt hat, in seiner Gesamtheit zugänglich gemacht werden. Ziel aus religionspädagogischer Sicht ist es, die Schülerinnen und Schüler mit der Denkweise der Torah vertraut zu machen und sie so ihren eigenen Weg in unserer pluralistisch - demokratischen Mehrheitsgesellschaft finden zu lassen.

 

12.01. PD Dr. Hans-Joachim Hahn (Basel): Die Alterität des Blicks. Deutschsprachig-jüdische Literatur der Moderne und Gegenwart

Die seit Aufklärung und Haskala von Jüdinnen und Juden in deutscher Sprache verfasste, äußerst vielgestaltige ‹schöne› Literatur, lässt sich vielleicht am ehesten anhand einiger paradigmatischer Konstellationen beschreiben. Die Transformation von Tradition und Glauben ins literarische Medium, die Wechselbeziehungen zwischen Juden und Jüdinnen und Nichtjuden, eingeschlossen die antisemitische Verfolgung, sowie die Entwicklung eigener kultureller Praktiken im Prozess der Modernisierung gehören zu den Entstehungsbedingungen. Während dieses minoritäre Schreiben innerhalb der christlichen Mehrheitsgesellschaften im deutschsprachigen Mitteleuropa von Beginn an unter Beobachtung steht, richtet es den Blick zugleich auf Innen und Außen. Im Vortrag wird dieser ‹andere› Schreibort anhand von deutschsprachig-jüdischen Texten vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart exemplarisch rekonstruiert.

 

19.01. PD Dr. Margit Ernst-Habib (Saarbrücken): „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte“ – Die jüdische Freude am Gesetz als Resonanzraum christlicher Theologie

Nicht nur der jüdische Feiertag/Simchat Tora/(Torafreude) bringt eine Einsicht zum Ausdruck, die in der christlichen Theologie und kirchlicher Frömmigkeit häufig genug ein Schattendasein fristet: Das Gebot Gottes überführt nicht nur die Sünder und Sünderinnen und klagt sie an, sondern es ist ebenso Grund und Anlass zur Freude. Wie kann die jüdische Freude an der Tora, an den guten Weisungen Gottes, zu einem Resonanzraum auch für christliche Theologie werden? Wie kann christliche Theologie und kirchliche Frömmigkeit mit dem Psalmbeter sprechen: „Ich habe Freude an Deinen Geboten“ (Psalm 119)? Christliche Theologie im Resonanzraum der jüdischen Freude soll so als/evangelische/Theologie entfaltet werden, als Theologie der Frohen Botschaft, die auch in gegenwärtigen Herausforderungen Impulse für ein christliches Leben zu geben vermag, indem sie die Gebote Gottes auch als Gnadengabe für ein gelingendes Zusammenleben zu verstehen versucht.

 

26.01. Karin Szech (Erfurt)  Mit dem jüdischen mittelalterlichen Erbe auf dem Weg zum UNESCO-Titel

In den letzten gut 20 Jahren gab es zum mittelalterlichen jüdischen Erfurt eine Fülle neuer Entdeckungen und wissenschaftlicher Forschungen: Die Synagoge wurde freigelegt und untersucht, die Mikwe ausgegraben, ein jüdisches Wohnhaus aus dem 13. Jh. dokumentiert, der große Schatz gefunden, der nach seiner Restaurierung auf Welttournee ging. All diese Entdeckungen hatten zur Folge, dass man sich auch intensiv mit der schriftlichen Überlieferung befasste, so dass inzwischen interdisziplinäre Studien vorliegen, welche die weltweit einzigartige Stellung der Objekte belegen und damit die Bewerbung als UNESCO-Stätte rechtfertigen. Die Entscheidung darüber wird im Sommer dieses Jahres getroffen.

Karin Sczech hat als Gebietsreferentin Stadt über 20 Jahre beim Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie gearbeitet und die dort durchgeführten Arbeiten zum jüdischen Erbe koordiniert. Unter ihrer Leitung wurde u. A. die Mikwe ausgegraben und sie war am Konzept der Dauerausstellung in der Alten Synagoge beteiligt. Seit 2020 ist sie bei der Stadt Erfurt angestellt, um gemeinsam mit Maria Stürzebecher die UNESCO-Bewerbung zu koordinieren.

 

02.02.  Rabbiner Dr. Jehoschua Ahrens (Darmstadt): Aktuelle Dialog-Entwicklungen im Spiegel neuer christlicher und jüdischer Dokumente

In den letzten 20 Jahren hat sich der Dialog zwischen Juden und Christen weiter vertieft. Ausgedrückt wird das unter anderem in christlichen und jüdischen Erklärungen, die um das Jubiläumsjahr der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (/Nostra aetate/) 2015 herum erschienen sind. Die erste Stellungnahme orthodoxer Rabbiner zu Christentum, /Den Willen unseres Vaters im Himmel tun: Hin zu einer Partnerschaft zwischen Juden und Christen/, beginnt: "Nach fast zwei Jahrtausenden der Feindseligkeit und Entfremdung erkennen wir, orthodoxe Rabbiner, [...] die sich uns darbietende historische Gelegenheit: Wir möchten den Willen unseres Vaters im Himmel tun, indem wir die uns angebotene Hand unserer christlichen Brüder und Schwestern ergreifen. Juden und Christen müssen als Partner zusammenarbeiten, um den moralischen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen." Es folgte dann 2017 die von internationalen orthodoxen Rabbinerverbänden und dem israelischen Oberrabinat herausgegebene Erklärung /Zwischen Jerusalem und Rom/.

Woher kommt dieses Engagement orthodoxer Rabbiner? Warum zu diesem Zeitpunkt? Bedeuten die orthodoxen Erklärungen einen Paradigmenwechsel im jüdisch-christlichen Verhältnis? Rabbiner Dr.  Jehoschua Ahrens ist einer der Initiatoren und Mitverfasser des Textes von 2015 und wird Kontext, Entstehung und die Absicht der Erklärungen erläutern.

 

 

Fragen beantworten:

Prof. Herbert Jochum
Christlich-jüdische Arbeitsgemeinschaft des Saarlandes
Tel.: +49 6897 7780677
E-Mail: Herbert.Jochum@gmx.de

Prof. Dr. Michael Hüttenhoff
Universität des Saarlandes
Fachrichtung Evangelische Theologie
Tel.: +49 681 302 3349
E-Mail: m.huettenhoff@mx.uni-saarland.de