Die Opern Antonio Caldaras für Salzburg: Eine wenig bekannte Epoche der Operngeschichte

Dr. Carlo Bosi (Universität Salzburg)

Salzburg war der erste Ort nördlich der Alpen, an dem ein vollständig vertonter dramatischer Text auf die Bühne gebracht wurde: Sehr wahrscheinlich war dies Monteverdis Orfeo, der 1614 am Hof des kunst- und musikbegeisterten Fürsterzbischofs Markus Sitticus von Hohenems (reg. 1612-1619) aufgeführt wurde, möglicherweise im Steintheater von Schloss Hellbrunn, nur wenige Kilometer außerhalb der heutigen Stadt. Nach diesem isolierten „Experiment“ sollten mehrere Jahrzehnte vergehen, bevor das nächste dramma per musica im Fürsterzbistum inszeniert wurde. Tatsächlich stammen die ersten dokumentierten drammi per musica, die nach dem hypothetischen Orfeo in Salzburg aufgeführt und produziert wurden, aus dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts, von denen nur eine einzige Partitur erhalten ist: Heinrich Bibers Chi la dura la vince (ca. 1690-92), auf ein Libretto des „mysteriösen“ Francesco Maria Raffaelini, dem Autor auch weiterer Libretti für Salzburg. Später, unter der Regentschaft von Fürsterzbischof Franz Anton von Harrach (reg. 1709-27), lieferte Antonio Caldara, stellvertretender Kapellmeister des Wiener Kaiserhofs, von 1717 bis 1727 fast jährlich Opern und Oratorien nach Salzburg, die meisten, wenn nicht alle, ursprünglich für Harrachs Hof konzipiert. Über die Aufführungsbedingungen von Caldaras Opern für die Salzburger Hofbühne ist nicht viel bekannt, und eine allgemeine Ausgabe von Caldaras Werken, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, steht noch aus. Ein neues Forschungsvorhaben zielt darauf ab, die ‚vergessenen‘ Salzburger Opern Caldaras, die bis auf eine Ausnahme alle bei der „Gesellschaft für Musikfreunde“ in Wien aufbewahrt werden, ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu holen, in der Hoffnung, damit ein neues Interesse an diesem vormetastasianischen Schlüsselkomponisten zu wecken. Nach einer Einführung in die Musikwelt Caldaras und des barocken Salzburg, werden ein paar exemplarische Beispiele präsentiert.

 

D.Phil. an der University of Oxford (2004) mit einer Dissertation über Modalität in den chansons von Du Fay und Binchois. 2004-2005 DAAD-Stipendiat an der Friedrich-Schiller-Universität Jena-Weimar und 2006-2007 Stipendiat des Norges Forskningsråd an der NTNU Trondheim mit einem Projekt über Choralgesang im mittelalterlichen Skandinavien. Von 2007 bis 2009 Research Fellow an der City University, London. Von 2010 bis 2017 Postdoc und Senior Postdoc in zwei FWF-Projekten zu Entlehnung und Zitat monophoner Melodien in polyphonen Sätzen (chansonmelodies.sbg.ac.at). Seit 2019 Senior Postdoc in einem Forschungsprojekt tätig, welches das Verhältnis von Literatur der Accademici Incogniti und Libretti der frühen venezianischen Oper untersucht (https://operaincogniti.org/). Er bereitet derzeit ein Forschungsprojekt zu Antonio Caldaras Opern für Salzburg vor.
Kürzlich erschienene Publikationen:
- „Les manuscrits BnF fr. 12744 (A) et 9346 (Manuscrit de Bayeux) (B) : deux chansonniers monodiques entre moyen âge et Renaissance“, in: Poésie et Musique au temps de Louis XII, hrsg. von Adéline Desbois-Ientile und Alice Tacaille (« Rencontres »),  Paris: Classiques Garnier (2023), S. 67-103;
- „Opere veneziane per scene non veneziane: tra censura e assimilazione“, in: Kreativität im Schnittpunkt der Observanzen / Creatività e osservanza. Italienische Literatur um 1600 zwischen Gegenreformation und Regelpoetik / Letteratura italiana del Seicento tra Controriforma e normatività poetica, hrsg. von Maddalena Fingerle und Florian Mehltretter (Vigilanzkulturen / Cultures of Vigilance, 7) Berlin: de Gruyter (2023), S. 207-35.
In Vorbereitung: Frühe venezianische Oper und Literatur der “Accademia degli Incogniti”: Thematische und strukturelle Überschneidungen im Schatten ‚libertinen‘ Denkens, für Peter Lang.