Periodisierung

Als zeitliche Klammer des Gesamtprojekts wie der Teilvorhaben dient das lange 20. Jahrhundert, das von den Anfängen des modernen Sports im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und seiner rasanten Entwicklung hin zu einem konstitutiven Moment der heraufziehenden Industrie- und Massengesellschaft bis in das frühe 21. Jahrhundert mit seinem neuerlichen Schub an Professionalisierung, Kommerzialisierung und Medialisierung reicht. Vier Zeitabschnitte der Sport-Arenen-Geschichte stehen dabei besonders im Fokus:

(Neu)Erfindung eines Sport-Raums in Europa (bis in den Ersten Weltkrieg)

Diese erste Phase war geprägt von der Erfindung einer Architektur und Kultur im Gefolge der bereits Anfang des 19. Jahrhunderts entstandenen Turnhallen und Hippodrome. In Deutschland und Frankreich war die überdachte oder offene Radrennbahn der Ort, an dem seit den späten 1860er-Jahren ein Sport-Event entstand, das Rennen, Tanz, Alkohol- und Lebensmittelkonsum umfasste und das vor allem bunt gemischt und volksfestartig war. Nachdem die Velodrome den Fußball- und Rugbyspielern eine erste Bühne geboten hatten, begannen diese, eigene Arenen zu errichten und läuteten damit einen Ausdifferenzierungsprozess von Stadionbauten ein. In der Belle Époque trugen Presse und besonders die umfangreichen Sportseiten dazu bei, eine Kultur des Wettkampfs und des sportlichen Körpers aufzubauen, als deren erste Helden Boxer, Radfahrer und Leichtathleten gelten konnten. Auch die mechanischen Sportarten hatten an dieser Bewegung teil, gerade die Luftfahrt und der Automobilsport, die Anleihen bei Tribünen und Pisten der Pferderennbahn machten.

Ästhetik und Politisierung (vom Ersten Weltkrieg bis in die 1950er-Jahre)

Die Politisierung des Sports setzte bereits in der ersten Phase ein, verstärkte sich aber massiv im Zeitraum zwischen dem Ersten Weltkrieg und den 1950er-Jahren. Die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs waren mehrdeutig: Einerseits galten Stadien vielfach als Utopie, als Friedensraum, in dem sportliche Wettkämpf als Alternative zum Krieg zur Austragung kamen. Andererseits trug das Aufkommen totalitärer und autoritärer Regime, die den Neuen Menschen durch Sport erschaffen wollten, dazu bei, Stadien zu einem Ort politischer und ideologischer Kämpfe zu machen. Das Olympiastadion, dessen erstes Modell 1912 in Stockholm entstand, entwickelte sich zum Symbol für die Politisierung des Sports: Deutsche Sportler wurden 1924 nicht eingeladen, die Laufbahn und den Rasen des Stadions von Colombes zu betreten; zwölf Jahre später diente das Berliner Stadion als Feierstätte des Nazi-Regimes und seiner „arischen“ Athletinnen und Athleten. Die Globalisierung des Sports durch internationale Wettkämpfe förderte die Politisierung und Ideologisierung des Sports, dessen Gestus und Ästhetik Schriftstellerinnen und Schriftstellern sowie Filmemacherinnen und Filmemachern würdigten.

Freizeit und Konsum (von den 1950er- zu den 1980er-Jahren)

Ab Ende der 1950er-Jahre nahmen die lokalen und regionalen Verwaltungen den Bau von Sportanlagen wieder auf, den die deutschen und französischen Kommunen in den 1920er-Jahren begonnen hatten. In Städten und sogar Dörfern entstanden Sportstadien, Turnhallen, Schwimmbäder und Tennisplätze, die sich sowohl für den Schulsport als auch für Freizeitaktivitäten nutzen ließen. Aus Sportbegeisterten wurden Sportler und Sportlerinnen; sportliches Spektakel gab es auch bei Amateurwettkämpfen. Die Trente Glorieuses und andere europäische "Wirtschaftswunder" mündeten in eine Ära des intensivierten Sportkonsums. Mehr noch als zuvor wurden Stadien zu Werbeplätzen für Sportausrüster (Adidas, Le Coq Sportif), Softdrink- und Biermarken und Schokoladenprodukte. Die Karawane der Tour de France, deren Strecke in zu Stadien verwandelten Straßen endete, ließ die neue Konsumgesellschaft hochleben. Das Sportereignis bestand auch aus einer Feier des jungen Körpers, an der das zum Transistor- und Handfunkgerät gewordene Radio und das Fernsehen teilhatten. Die Arenen, die Fünf-Nationen-Turniere und Roland-Garros beherbergten, die Bundesliga seit 1963 und die Spiele in München (1972) waren die Höhepunkte dieser Demokratisierung des Sports sowohl in Bezug auf seine Ausübung, seinen Konsum als auch auf seine Aufführung in "versportlichten" Konsumgesellschaften.

Ökonomisierung und Globalisierung (seit den 1980er-Jahren)

Der amerikanische Einfluss auf den Sport und seine Arenen war nicht neu, potenzierte sich aber im Zeitalter der Globalisierung. Spätestens die Olympischen Spiele in Los Angeles (1984) zeigten, dass das Stadion sowohl ein Ort der nationalistischen Verherrlichung als auch des wirtschaftlichen Profits sein kann. Die Entwicklung eines privaten Fernsehsektors trug dazu bei, das Sport-Event zu kommerzialisieren und es zu einem Kult mit breitenwirksamer Strahlkraft zu machen. Die Darstellung der sportlichen Geste und des Körpers wurde und wird zusätzlich überhöht durch das Spiel der Kameras, an die sich die Sportlerin und der Sportler ebenso wenden wie an die Zuschauenden. Letztere standen dem in nichts nach, denn sie entwickelten sich zu Akteurinnen und Akteuren des Gesamtspektakels, das sich nunmehr vom Rasen bis zur Tribüne entfaltete. Der neuerliche Kommerzialisierungsschub betraf auch die Orte des Sports: Fitnessstudios oder Plätze für Fünf-gegen-fünf-Fußball etwa, die als Sportdienstleister auf den Markt kamen. Die Mega-Events globaler Wettbewerbe machten und machen die Renovierung oder den Neubau von Stadien nach dem Prinzip der öffentlich-privaten Partnerschaft notwendig. Die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland (2006) und die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich (2016) erneuerten das Angebot an Sportstätten im Zeichen des kommerziellen namings. Die Stadionkultur war jedoch nie nur ein Privileg des Massenkonsums, sondern ebenso von Skateparks und städtischen Spielplätzen wie von Schriftstellern und Schriftstellerinnen, Filmschaffenden sowie Musikerinnen und Musikern geprägt, die sie weiterhin darstellen.