DissonantesKulturerbe

"Dissonantes Kunst- und Kulturerbe in Europa"

Wird die historische Vergangenheit durch die Geschichtswissenschaften (vor allem anhand materieller Relikte) aufgearbeitet, so rückten die Aushandlungen und Deutungen dieser (Re)Konstruktionen in den vergangenen Jahren mit dem kritischen Bewusstsein der Cultural Memory Studies verstärkt in den Fokus kulturwissenschaftlicher Forschungen: Was darf/muss/soll wie erinnert werden, wer sind die handelnden Akteur:innen und Institutionen, wie lassen sich einseitige Vereinnahmungen vermeiden, welche Folgen hat das Spannungsverhältnis zwischen einem institutionalisierten, staatlich subventionierten Kunst- und Kulturerbe-Diskurs einerseits und der wachsenden Diversität und Heterogenität kollektiver Erinnerungskulturen in post-migrantischen Gesellschaften andererseits?

Als Schwerpunkt der Fachrichtung Kunst- und Kulturwissenschaften wird das Thema "Dissonantes Kunst- und Kulturerbe" aus medienkulturwissenschaftlicher Perspektive in Lehrveranstaltungen, Projektseminaren und einer internationalen Summer School unterschiedlich beleuchtet. Ein dezidierter Fokus liegt dabei auf der besonderen Rolle von Grenzregionen in der europäischen Geschichte, sind doch trotz unterschiedlicher Sprachen und kultureller Traditionen alle Seiten der (historisch variablen) Grenzen eng miteinander verflochten.

"Difficult Pasts in a Cross-Border Perspective: Challenges and Responses"

Summer School an der Universität des Saarlandes, 31. Juli – 4. August 2023

In recent years, the concept of 'dissonant heritage' has gathered momentum in various areas of research to address material legacies charged with conflicting memories and discordant layers of meaning: From single objects in museums and collections to the built environment and canonized lieux de mémoire, we may encounter dissonant heritage which is at odds with streamlined historical narratives and current ways of marketing and 'consuming' the past. Border regions seem particularly apt to study sites of dissonant heritage given the spatial and cultural condensation of different (if not divergent) memory cultures and ways of managing a shared history of conflict, alienation and reconciliation.

Titled "Difficult Pasts in a Cross-Border Perspective: Challenges and Responses", the international Summer School brings together researchers and students from the "Transform4Europe" partners Saarland University (Saarbrücken) and Sofia University St. Kliment Ohridski as well as the Université de Lorraine (Metz).

 

This projected is kindly supported by the "Universität des Saarlandes Internationalisierungsfonds".

Organizers: Jun.-Prof. Dr. Jonas Nesselhauf, Prof. Dr. Joachim Rees

 

Program

Monday, 31 July

  • Welcome and Introduction
  • Cross-Cultural and Interdisciplinary Perspectives from Metz, Saarbrücken and Sofia
  • Lecture by Dr. Kristine Marschall (Landesdenkmalamt Saarland)
  • Projects in International Student Teams

Tuesday, 1 August

  • Hybrid Places of Memory and Remembrance in Saarbrücken (field trip)
  • Historisches Museum Saar
  • Gestapo-Lager "Neue Bremm"
  • "Ehrental", Deutsch-Französischer Garten

Wednesday, 2 August

  • Discovering Dissonant Heritage in Metz (field trip)
  • Metz and its German Architectural Heritage (Quartier Impérial, Gare de Metz-Ville)

Thursday, 3 August

  • Coming to terms with Röchling's Past: Industry under Dictatorship and the Fate of SaarLorLux Forced Laborers at the "Völklinger Hütte"
  • The forgotten hi/stories of women workers in the Völklingen ironworks

Friday, 4 August

  • Group Presentations
  • Closing Discussion
Researchers
  • Lucile Jean, Art History, Metz University
  • Slavka Karakusheva, History and Theory of Culture, Sofia University
  • Daniela Koleva, History and Theory of Culture, Sofia University
  • Susanne Müller, Art History, Metz University
  • Jonas Nesselhauf, Media Culture Studies, Saarland University
  • Joachim Rees, Art History, Saarland University
  • Ivo Strahilov, Cultural Studies, Sofia University
Contact and Registration

If you are interested in participating, please contact jonas.nesselhauf[at]uni-saarland.de

Review

"Dissonantes Kunst- und Kulturerbe in Europa / Dissonant Heritage and Divergent Cultural Memories"

Lehrveranstaltung im Sommersemester 2023

Bereits ein nur flüchtiger Blick in die europäische Geschichte zeigt eine teilweise sehr unterschiedliche Aufarbeitung und Ausdeutung von Revolutionen oder Kriegen, von Kolonialismus oder Shoah: Das (materielle) Kunst- und Kulturerbe scheint mehr als ein 'neutrales', 'lesbares' Erinnerungsobjekt zu sein und vielmehr (diachron wie synchron) nationalen wie auch paneuropäischen Aushandlungsprozessen unterworfen. So führen Debatten um den Erhalt und die zeitgemäße Vermittlung von 'schwierigem' Kulturerbe wie auch Diskussionen um den zivilgesellschaftlichen und institutionellen Umgang mit konfliktueller Vergangenheit/en bspw. dazu, dass sich ganze Bevölkerungsgruppen und nachwachsende Generationen von der erinnerungskulturellen Relevanz dieser Hinterlassenschaft nicht (mehr) angesprochen fühlen.

Dabei kann angenommen werden, dass besonders in Grenzregionen — bedingt durch gewaltsame territoriale Verschiebungen, nationalstaatliche Vereinnahmungen und politische Systemwechsel — ein materielles Erbe entstanden ist, das vielfach quersteht zu 'offiziellen' Geschichtspolitiken und den Strategien touristischer Inwertsetzung. So lohnt gerade ein vergleichender Blick auf Forschungsperspektiven zur kulturellen Identitätsstiftung und Erinnerungsorten in diesen hybriden Räumen vor dem Hintergrund sozialer Transformationsprozesse — etwa mit dem Beispiel der Großregion Saar-Lor-Lux oder der post-sowjetischen Gegenwart in der östlichen Balkan-Region.

Das Seminar möchte in einem ersten Schritt überblickend Theorien und Ansätze der Cultural Memory Studies erarbeiten und diese dann in einer internationalen Summer School (mit Forschenden und Studierenden der St. Kliment Orhidski-Universität Sofia/Bulgarien und der Université de Lorraine Metz/Frankreich) an konkreten Beispielen in der Großregion anwenden.

"Berliner Gedenkstätten als Medienensembles"

Projektseminar im Sommersemester 2023 mit 3-Tages-Exkursion nach Berlin

Gedenkstätten und Erinnerungskultur sowie museale Aufarbeitung und Vermittlung von zeithistorischen Ereignissen gehen in der heutigen Zeit häufig miteinander einher. Dabei müssen unterschiedlichste Bedürfnisse der Besucher:innen und Betroffenen sowie Absichten der dahinterstehenden Institutionen bedient und bedacht werden. Dies äußert sich bereits in baulichen Ensembles, die Museums- oder Informationstrakts mit möglichst "authentischen", historischen Überresten und Mahnmalen verbinden, zeigt sich aber auch in unterschiedlichen Darstellungs- und Vermittlungsmedien und -formaten, die teils überlagernd, teils nebeneinander für die Bereiche des oben genannten Spannungsfeldes eingesetzt werden und die Besuchenden auf einer möglichst umfassenden Art und Weise ­— sowohl kognitiv als auch emotional und körperlich — ansprechen sollen.

Das Projektseminar widmet sich diesen Aspekten innerhalb einer 3-Tages-Exkursion zu Berliner Gedenkstätten(-Ensembles): In vorbereitenden Sitzungen werden dazu gemeinsame theoretische Grundlagen zur Thematik und Betrachtungskriterien erarbeitet, und im Nachgang die Beobachtungen diskutiert. Lernziele der Veranstaltung sind es, neben Grundlagenwissenzu Erinnerungskultur, Gedenkstätten und medialen Präsentationsformaten auch eine fundierte, kritische Aufmerksamkeit für räumliche Medienensembles zu erlangen und die in der Berufspraxis häufig verlangte Textform der Ausstellungskritik einzuüben.

Exkursions-Tagebuch

Dienstag, 29. August 2023

Die Gruppe trifft sich in Berlin-Kreuzberg am Jüdischen Museum: Gemeinsame Führung und eigenständige Erkundung (ganzkörperlicher Nachvollzug bewusst eingesetzter Raumgestaltung in Libeskind-Bau und das Zusammenspiel der neuen Dauerausstellung mit dem vorgegebenen architektonischen Medium)

Mittwoch, 30. August 2023

Vormittags Besuch der Gedenkstätte Hohenschönhausen mit Zeitzeugenführung und anschließender individueller Erschließung der Ausstellungsanteile

Nachmittags Kuratorenführung zur Konzeption der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße sowie Besuch des zugehörigen Dokumentationszentrums

Die Studierenden kommen so in Kontakt mit zwei sehr unterschiedlichen Umgängen mit dem auratischen Ort und seinen Überresten: Während das Stasi-Gefängnis möglichst ‚authentisch‘ erhalten bleibt, in Gänze rekonstruiert wird und wie ein historischer Monolith im Stadtbild erscheint, wird bei der Gedenkstätte auf eine Rekonstruktion und großflächige Erhaltung des Mauerstreifens verzichtet. Stattdessen wird abseits des Denkmals Berliner Mauer primär auf eine Nachzeichnung der historischen Topografie gesetzt, die sich in das zeitgenössische Stadtbild einschmiegt

Donnerstag, 31. August 2023

Besuch der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz mit anschließendem Expertengespräch zur Konzeption der neuen Dauerausstellung. Die Idylle der Jahrhundertwende-Villa steht in starkem Kontrast zu den Inhalten und Anliegen der Ausstellung. Auf eine Nachstellung des Ambientes der Wannsee-Konferenz wird aktiv verzichtet, stattdessen wird den Besucher:innen die Deutung der starken Diskrepanz zwischen historischer Bausubstanz und der menschverachtenden Handlungen und Beschlüssen an diesem Ort selbst überlassen