[Eine Bemerkung vorab: Ich schreibe in diesem Text von „Frauen“ und „Männern“, weil dies die Geschlechtszuordnung der weitaus meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschreibt. Unterschiede in der (wissenschaftlichen oder nicht-wissenschaftlichen) „Karrieresteilheit“ leiten sich – leider – auch von weiteren persönlichen Gegebenheiten ab wie etwa der sozialen und ethnischen Herkunft oder dem Einkommen des Elternhauses et cetera. Aber dies ist eine andere Geschichte, kommen wir zu dieser hier ...]
„Darf ich Ihnen weiterhelfen? Sie sind hier doch sicher falsch!“ So empfing mich ein Herr, als ich zum Vorstellungsvortrag im Fachbereich Physik der Universität des Saarlandes vor dem Aufzug stand und suchte, in welches Stockwerk ich muss. „Wieso, ist das hier nicht die Physik?“ fragte ich. Das war vor über zwanzig Jahren. Eine Situation wie diese war vor zwei und mehr Dekaden die Regel, denn als Professorin in den physikalischen Wissenschaften war ich vor zwanzig Jahren tatsächlich ein eher seltenes Exemplar.
In diesen zwei Dekaden hat sich eine Menge getan und ich bin froh, dass ich nun nicht mehr die einzige Professorin in vielen Gremien bin, dass die weibliche Sicht und weibliche Bedürfnisse Eingang in viele richtungsweisende Entscheidungen gefunden haben und dass viele früher „typisch weibliche“ Dinge wie Erziehungszeit, Pflege oder „dem Partner hinterherziehen“ nun für alle Geschlechter wichtig geworden sind.
Wo stehen wir heute?
Übrigens: Die Kritik an der heutigen Generation, die mehr Work-Life-Balance beansprucht, teile ich nicht, denn zur Gleichberechtigung gehört, dass Eltern eine planbare und ausreichende Familienzeit haben, gerade wenn beide Partner arbeiten. Das frühere Modell „Chefarzt/Manager arbeitet bis in die Puppen und seine Frau hält ihm den Rücken frei“ ist viel seltener geworden – und das ist eigentlich ein gutes Zeichen.
Wo stehen wir also heute? Frauen stellen mit 53 Prozent die Mehrheit bei den erfolgreich abgeschlossenen Hochschulstudiengängen dar [1]. Und bei den Professorinnen? Der Frauenanteil bei W2- und W3-Universitätsprofessuren in Deutschland beträgt etwa 28 Prozent (neueste Daten von 2022, [2]), im Jahr 2000 lag er nur bei 10,5 Prozent. Wobei sich die Bundesländer hierbei stark unterscheiden: Berlin kann 36 Prozent Professorinnenanteil vorweisen – Bayern, Sachsen-Anhalt und das Saarland liegen dagegen bei unter 25 Prozent.
Warum hat sich in den letzten zwanzig Jahren so viel getan? Für die Wissenschaft kann ich diesen Zeitraum gut nachvollziehen. Anfangs war ich beispielsweise eine von wenigen Frauen im Senatsausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für Sonderforschungsbereiche. Bei neuen Nominierungen für dieses Gremium, das die Auswahl zur Förderung der prestigeträchtigen Sonderforschungsbereiche trifft, versuchte die DFG Jahr für Jahr, den Frauenanteil zu erhöhen. Von anfangs unter 10 Prozent steht dieses Gremium nun bei 32 Prozent Frauenanteil und liegt damit zumindest oberhalb des Anteils von Professorinnen in unserem Land. Andere DFG-Gremien wie der Senat oder das Präsidium sind ausbalanciert.
Diese Entwicklung fand in den letzten zwei Dekaden in nahezu allen Gremien statt, die über wissenschaftliche Themen und Förderungen entscheiden. Früher haben sich nur wenige Männer für „Familienbelange“ und Gleichstellung stark gemacht, das ist heute ebenfalls ausbalanciert. Und Forschungskonsortien mit einem für ihr Fach unterdurchschnittlichen Frauenanteil – oder auch Männeranteil! – müssen bei der Beantragung von Geldern begründen, warum das so ist und was sie unternehmen, um dies zu ändern.
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Gibt es genug Role Models?
Diese positive Entwicklung in der Gremienzusammensetzung ist allerdings leider nicht „von alleine“ passiert – es haben sich nicht „von sich aus“ mehr Frauen für solche Gremien beworben. Es brauchte Leitlinien, beispielsweise die „Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards“ der DFG, die seit 2008 von den meisten Universitäten und Forschungseinrichtungen als Standard übernommen wurden. Zudem hat die wissenschaftliche Community selbst Druck ausgeübt, indem sie bei Begutachtungen im Rahmen von Sonderforschungsbereichen, Graduiertenkollegs und – ganz besonders – bei der Exzellenzstrategie darauf achtete, dass diesen Gleichstellungsstandards Rechnung getragen wurde – dass beispielsweise von Förderperiode zu Förderperiode der Anteil weiblicher Projektleitender zunahm. Das klappte aber nur, wenn Institute und Universitäten auch den Anteil von Professorinnen erhöhten …
Übrigens: Die Wahrscheinlichkeit, eine Förderung bei der DFG zu erhalten, ist im Rahmen der statistischen Schwankungen gleich für beide Geschlechter. Das ist doch schon einmal ziemlich beruhigend!
Dass diese Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards wirksam sind, kann man beim Chancengleichheits-Monitoring der DFG in vielen Statistiken nachlesen. Unterrepräsentiert sind Frauen beispielsweise noch als Sprecherinnen von großen Forschungsverbünden. Die Frage ist warum? Gibt es einfach zu wenige Role Models? Testweise stellt die DFG Sprecherinnen nun ein separates Budget von aktuell 80.000 Euro pro Jahr zur Verfügung, beispielsweise zur Einstellung von zusätzlichem Personal, das die Sprecherin anderweitig entlasten kann. Wir werden sehen, ob diese Maßnahme Wirkung zeigen wird. Im Moment bleibt erstmal die ketzerische Frage: Kann man Frauen mit Geld locken?
„Typische“ Erfolgstipps
Apropos Geld: Ich dachte immer, dass durch die W-Besoldung der Professuren keine geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Gehälter ausgezahlt werden. In der Realität jedoch unterscheiden sich die Gehälter durchaus, auch wenn Alter, Erfahrung oder Fachrichtung berücksichtigt werden [3]: Es sind die Zulagen, die den Unterschied ausmachen! Den größten Unterschied im Gehalt zwischen Universitätsprofessorinnen und -professoren, der weit über 1.000 Euro im Monat betragen kann, findet man in Fächern, die „typisch männlich“ konnotiert sind – in der Informatik beispielsweise. Aber auch in den Bildungswissenschaften, wo oft gleich viele Frauen und Männer Professuren besetzen, haben die Männer fast ohne Ausnahme eine höhere Zulage.
„Von Männern wird erwartet, dass sie gute Leistungen erbringen und Unterstützung erhalten, aber Frauen müssen sich auf ganze andere Weise aufopfern […] Ich denke, es ist sehr wichtig, dass andere Frauen sehen, dass ich erfolgreich bin.“ May-Britt Moser (Psychologin und Neurowissenschaftlerin) |
Warum? Der Gender-Pay-Gap-Report NRW aus 2019 analysiert viele verschiedene Parameter [3]. Demnach – und das entspricht auch meinen Beobachtungen und Ergebnissen aus Gesprächen mit Universitätsleitungen – werden die höchsten Zulagen erst bei Bleibebeziehungsweise Wegberufungsverhandlungen ausgehandelt, also bei den W3-Professuren. Frauen, speziell mit Familie, sind dabei eher ortsfest; Männer folgen eher einer Wegberufung, auch „trotz“ Familie. Das sollten Frauen also im Hinterkopf haben bei Verhandlungen! Und noch etwas: Professorinnen bekommen ihr erstes Kind einige Jahre später als Professoren und haben nur zu 58 Prozent ein oder mehrere Kinder – bei den Männern trifft das auf drei Viertel zu [3].
Was möchte ich jungen Frauen mitgeben, die „Karriere“ machen wollen? Was „Karrieremachen“ bedeutet, ist so individuell wie die Frau, die es betrifft. Ich versuche es mit Tipps, die „typischerweise“ zum Erfolg führen: Nach dem ersten Hochschulabschluss sollte man versuchen, eine ungefähre Ahnung zu erlangen, ob eine Karriere in der Wissenschaft vorstellbar ist. Die Crux zu diesem Zeitpunkt ist, dass man zwar das wissenschaftliche universitäre System kennt – vielleicht auch durch HiWi-Jobs –, nicht aber die Industrie. Schlau wäre es also, schon während des Studiums industrienahe Erfahrungen zu gewinnen, beispielsweise durch Praktika.
Nicht zu komplex
Für eine wissenschaftliche Karriere ist eine Promotion zwingend, ansonsten aber nicht unbedingt. Mit der ersten Anstellung in der freien Wirtschaft macht sich der Unterschied im Gehalt mit oder ohne Promotion noch stark bemerkbar, aber mit den Jahren verschwindet er – speziell wenn man bedenkt, dass eine experimentelle Promotion oft zwischen drei und fünf Jahren dauert und man in dieser Zeit nicht die Verdienstmöglichkeiten hat wie in der freien Wirtschaft.
Während der Promotion erhält man dann weitere Einblicke und sollte spätestens ein Jahr vor deren Ende überlegen, wie es danach weitergehen soll. Typischerweise folgt eine Postdoc-Position an einem renommierten Platz im Ausland – idealerweise mit eigenem Budget, beispielsweise über das Walter-Benjamin-Programm der DFG.
Da eine Juniorprofessur schon ab etwa zwei bis drei Jahren nach der Promotion in Reichweite ist, fördert es die Karriere enorm, wenn schon während oder kurz nach der Promotion und vor allem während der Postdoc-Zeit gute Veröffentlichungen geschrieben werden können. Kann man hierfür selbst Weichen stellen? Ja, durchaus! Eine „steilere Karriere“ erzielt eher diejenige, die ein überschaubares und nicht allzu komplexes Projekt zügig und gut voranbringt, Ergebnisse, die die Community gut brauchen kann, sichtbar publiziert und sich durch Vorträge darum kümmert, dass die eigenen Ergebnisse auch publik werden. Das ist sicher kritikwürdig, aber so ist die Realität: Komplexe, fordernde Forschungsfelder haben eine unsichere Zeitschiene, obwohl sie sehr wichtig und sehr spannend sein können. Wenn sie womöglich auch noch mit sehr teuren, nicht überall zugänglichen Techniken bearbeitet werden müssen, erschwert das die spätere Berufung, denn einer Juniorprofessur wird wohl eher selten eine Erstausstattung von einer Million Euro zur Verfügung gestellt.
Es hilft, wenn der oder die Lehrstuhlinhaberin junge Karrieren unterstützen, indem sie Konferenzbesuche ermöglichen – ebenso wie Erst- oder Letztautorschaften bei Publikationen. Ist man als Postdoc etwas weiter fortgeschritten, lohnt sich ein Gespräch mit dem oder der Lehrstuhlinhaberin, ob man eigene Ergebnisse auch selbstständig publizieren darf und ob man schon „reif“ ist, eigene Drittmittelanträge zu stellen. Berufungskommissionen können so leicht eine frühe Selbstständigkeit inklusive der Fähigkeit zur Drittmitteleinwerbung attestieren.
Sehr hilfreich ist weiterhin, wenn man sich für die Lehre begeistert und schon vor der ersten Juniorprofessur-Bewerbung einen kleinen Block Lehre halten durfte. Ich meine nicht als Tutorin, sondern als Dozentin. Vielleicht ein Thema in einer Wahlpflichtvorlesung? Gute Lehre zieht später gute Studierende in die Arbeitsgruppe – und diese haben einen maßgeblichen Anteil daran, wie erfolgreich ein Forschungsteam ist. Meine Erfahrung ist sowieso, dass sich an der Uni nur wohl fühlt, wer auch Spaß an der Lehre hat. Tatsächlich fließt ein großer Teil der wöchentlichen Arbeitszeit dort hinein – oder sollte zumindest hineinfließen.
Bis hierhin habe ich noch nicht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angesprochen. Allerspätestens mit der Juniorprofessur stellt sich jedoch die Kinderfrage bei uns Frauen. Während der Promotion oder des Postdocs ist das meist ein unglaublicher Kraftakt. Großen Respekt für diejenigen, die das wuppen! Da muss das Umfeld stimmen – und ich wünschte, dies wäre oft der Fall. Denn ohne ein solches Umfeld rückt die Karriere dann erstmal in den Hintergrund.
Mit der Annahme einer Juniorprofessur – mittlerweile meist ausgeschrieben mit Tenure Track, also der Aussicht auf Festanstellung nach maximal sechs Jahren – bietet sich für Frauen meistens eine erste „sichere“ Gelegenheit, um sich um die Familienplanung zu kümmern. Zwischenevaluationen können verschoben und Lehrverpflichtungen können an Elternzeiten angepasst werden – diese Sorge ist dann genommen. Fragen Sie die Berufungskommission ruhig auch nach Kita-Öffnungszeiten oder der Chance, einen Platz in einer Ganztagesschule fürs Kind zu bekommen. Diese Dinge sind entscheidend, wenn Kinder und Vollzeitberufstätigkeit unter einen Hut gebracht werden sollen.
Überdies wird es womöglich den Wunsch geben – ob mit oder ohne Kind –, dass der Partner oder die Partnerin ebenfalls vor Ort Arbeit findet. Manche Berufungskommissionen fragen nach dieser Thematik, andere nicht. Ich rate, es selbst anzusprechen. Auch Dual-Career-Wünsche sind nicht mehr exotisch. Die Spannweite dessen, was angeboten wird, ist jedoch riesig. Sie reicht von „Wir helfen Ihnen, die Adresse des Jobcenters herauszusuchen“ bis zu „Die Universität stellt Ihnen eine E13-Stelle für drei Jahre zur Verfügung, mit der Aussicht auf Verstetigung“.
Auch Glück gehört dazu
Nun sind Akademikerinnen häufig mit Akademikern verheiratet (umgekehrt ist das übrigens weniger häufig). Oft sind diese etwas älter, also zumeist eine Karrierestufe weiter – und dann wird es noch schwieriger, für den Partner eine adäquate Stelle zu finden, damit dieser nicht in das „alte Modell“ gedrängt wird, in dessen Rahmen nur eine Person „Karriere machen“ konnte. Hier sind Geduld, Kreativität, Beharrlichkeit, Anpassungsfähigkeit und auch ein Quäntchen Glück gefragt.
Es ist wichtig, all diese Dinge im Hinterkopf zu haben und sich nicht frühzeitig auf ein Szenario zu versteifen. Das hat sich in den letzten zwanzig Jahren leider nicht geändert – weder für Frauen noch für Männer. Und ich freue mich, dass ich heute sagen kann: Ja, ich bin hier richtig! In der Physik, in der Wissenschaft – und in den Gremien, in denen ich mich stark mache für gute Wissenschaft und für Chancengleichheit.
Referenzen
[1] Statistisches Bundesamt (Destatis), Pressemitteilung Nr. 481.
tinyurl.com/yj64bs6b
[2] Statistisches Bundesamt (Destatis): Sonderauswertung aus: Statistischer Bericht. Statistik des Hochschulpersonals. Berichtsjahr 2022. Berechnungen der DFG.
tinyurl.com/9ez8crxn
[3] Gender Pay Gap – Teil C des Gender-Reports 2019 an den Hochschulen in NRW.
tinyurl.com/y3syvhzh