Krisenfestigkeit grenzüberschreitender Regionen

Beyond Borders

Mehr als ein Drittel der Bürger:innen der Europäischen Union lebt und arbeitet in Grenzregionen. Neben Herausforderungen wie administrativen Hürden, divergierenden Zuständigkeiten, unterschiedlichen Sprachen oder juristischen und fiskalischen Fragen zeigen sich große Chancen in zusammenwachsenden Arbeitsmärkten, grenzüberschreitend ausgerichteten Infrastrukturen und engem nachbarschaftlichen Austausch von Bewohner:innen dies- und jenseits nationalstaatlicher Grenzen. Im grenzregionalen Kontext sind Tücken und Potenziale der besonderen Lage wohlbekannt. Spezifika von Grenzregionen standen jedoch weniger im allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Zentrum der Aufmerksamkeit – bis 2020: Denn die Covid-19-Pandemie wirkte auch in diesem Kontext als Zäsur und gleichzeitig Impulsgeber: Mit den verstärkten Grenzkontrollen und teilweisen Grenzschließungen zeigte sich eindrücklich, wie stark die EU offener Binnengrenzen zum Bestandteil heutiger grenzüberschreitender Lebenswirklichkeiten geworden ist. Gleichzeitig wurde so manifest, wie wenig auf größere krisenhafte Umbrüche mit einem abgestimmten Handeln reagiert werden konnte, inwieweit bestehende Zuständigkeiten nicht mehr adäquat erscheinen und wo entsprechend weitergehende Handlungs- und Abstimmungsbedarfe opportun oder geradezu unumgänglich erscheinen. Die Covid-19-Pandemie wird damit zum Ausgangspunkt, um vor dem Hintergrund der Frage nach einer stärkeren Krisenfestigkeit Perspektiven für die künftige Entwicklung grenzüberschreitender Verflechtungsräume herauszuarbeiten.

Dies geschieht in der Arbeitsgruppe Europastudien seit Beginn der Pandemie in Eigenforschung und wird ab 2022 unter anderem in einer Arbeitsgruppe innerhalb der Landesarbeitsgemeinschaft Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft im grenzüberschreitenden Brückenschlag mit der LAG Baden-Württemberg fortgeführt. Die Arbeitsgruppe zum Themenfeld "Beyond borders – zur Krisenfestigkeit grenzüberschreitender Verflechtungsräume" rückt in besonderer Weise Aspekte grenzüberschreitender Mehrebenen-Governance, Raumplaung, Raumentwicklung und Lebenswirklichkeiten in den Fokus.
 

Leitungsteam:

Resilienz grenzüberschreitender Kooperation in Europa – eine vergleichende Analyse deutsch-polnischer und deutsch-französischer Grenzräume

Die deutsch-französische Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg, die die europäische Integration forcierte, wurde seit den 1990er Jahren immer wieder herangezogen, wenn es um die Gestaltung der bilateralen Beziehungen Deutschlands und Polens sowie die EU-Osterweiterung geht. Aufgrund spezifischer historischer Entwicklungen und weiterer Faktoren, die bis heute politisch nachwirken, ist auf nationaler Ebene allerdings von einer einfachen Übertragbarkeit Abstand zu nehmen. Auf lokaler Ebene wiederum entstanden grenzüberschreitende Kooperationen, die vor dem Hintergrund unterschiedlicher Traditionen und verschieden weitreichender Formen der Institutionalisierung übergreifend als Laboratorien für die europäische Integration und so zugunsten einer „Europäisierung von unten“ fungieren. Die Covid-19-Pandemie ab dem Frühjahr 2020 stellte für Grenzregionen in der EU eine weitreichende Zäsur dar, indem verstärkte Grenzkontrollen und in Teilen Grenzschließungen drastische und nicht mehr für möglich geglaubte negative Auswirkungen entfalteten: Grenzpendler:innen wurden eingeschränkt, ein Einkaufen im Nachbarland wurde zeitweise unterbunden, Familien und Freunde wurden getrennt. So zeigte sich gleichzeitig wie im Brennglas, wie eng Grenzregionen bereits verbunden und so als grenzregionale Verflechtungsräume zu betrachten sind. Vor diesem Hintergrund zielt das Forschungsvorhaben darauf ab, eine vergleichende Analyse eines deutsch-polnischen und eines deutsch-französischen Grenzraums vorzunehmen, um so im Lichte unterschiedlicher europäischer Entwicklungspfade Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Damit ist das Projekt dem thematischen Schwerpunkt „Europäisierungsprozesse“ zuzuordnen. Die Coronakrise fungiert als Ausgangspunkt der Untersuchung, um im Kern danach zu fragen, wie die Grenzregionen auf dieses Schockereignis reagierten, welche Konsequenzen regional gezogen wurden und welche Anpassungsstrategien entwickelt werden. Das Vorhaben schreibt sich damit in die wissenschaftliche Analyse um Resilienz ein, gleichzeitig ist es innerhalb der Grenzraumforschung und der grenzüberschreitenden Mehrebenen-Governance zu verorten. Denn lokale und regionale Umbrüche sind in den nationalen und europäischen Kontext eingebettet. In den Mittelpunkt rückt die Euroregion Pro Europa Viadrina (Grenzregion Brandenburg-Lubuskie) im Vergleich mit dem Eurodistrikt SaarMoselle (Grenzregion Saarland-Département Moselle), um in ähnlich bevölkerten Verflechtungsräumen mit einer vergleichbar langen Zeit seit den Gründungen (Euroregion bzw. Eurodistrikt) in den 1990er Jahren ad-hoc-Krisenreaktionen und Faktoren zugunsten einer künftigen „Krisenfestigkeit“ abzugleichen. Die Grundlage hierzu bildet ein Methodenmix aus einer Dokumentenanalyse ab März 2020 (Willensbekundungen, Petitionen, Resolutionen etc. im regionalen Kontext) und der inhaltsanalytischen Auswertung leitfadengestützter Expert:innen-Interviews mit Akteuren der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Mehrebenen-Geflecht politischer Steuerung. Neben wissenschaftlichen Publikationen soll ein Policy Paper als Handreichung für regionale Akteure der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit entwickelt werden. Das Vorhaben will so – ausgehend vom polnisch-deutsch-französischen Vergleich – einen analytischen und gleichzeitig praktischen Beitrag zur künftigen Resilienz von Grenzregionen, in denen europäische Integration tagtäglich mit Leben gefüllt wird, leisten.

Leitungsteam:

  • Leitung: Jun.-Prof. Dr. Florian Weber (Universität des Saarlandes) und Prof. Dr. Elżbieta Opiłowska (Universität Wrocław, Polen)
  • Projektkoordination und Projektumsetzung an der Universität des Saarlandes: M.A. Julia Dittel
  • Laufzeit: 01. Juli 2022-31. Dezember 2023
  • Gefördert aus Mitteln der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung - Projektnummer: 2022-05