Solidarität

Zum Begriff

Bereits während der Vorträge der Konferenz wurde klar, dass Solidarität ein schwer definierbarer Begriff ist. Die meisten Vorträge wurden von Rechts- und Politikwissenschaftler*innen gehalten und beschäftigten sich nicht mit einer Definition, sondern mit der Umsetzung von Solidarität und den rechtlichen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten, in denen die Länder Europas solidarisch handeln können oder müssen. Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert Solidarität als "Zusammengehörigkeit" und fährt fort, dass im Zuge der Zusammengehörigkeit gegenseitige Hilfe selbstverständlich sein sollte. Akte der Zusammengehörigkeit, Nächstenliebe und damit Solidarität prägen die vielen Leben Adas und sollen nun genauer betrachtet werden.

Die erste Schleife 1459

Der Angriff

In ihrem ersten Leben hat Ada zunächst Eltern und einen Bruder und heißt noch nicht Ada. In der Nacht nachdem sie aufgrund ihrer ausbleibenden Periode zu einer Heilenden geht, wird ihr Dorf angegriffen. Sie und ihr Bruder Damfo überleben nur, weil die Heilende die beiden kurz vor dem Angriff in einem Baum verstecken kann (S. 114). Doch dies kann die Geschwister nicht retten, sie werden entdeckt und verschleppt, aber während Ada den Namen des Küstenortes, an dem sie zurückbleibt, erhält, wird ihr Bruder verkauft und in einem Boot fortgebracht. Ada muss in dieser Zeit an eine Palme festgebunden werden, da sie sonst in nicht endenden Rettungsversuchen im Meer ertrinken würde. In dieser Zeit ist Naa Lamiley bei ihr, die ihr Wasser bringt, mit ihr weint und ihr ihre Sprache beibringt (S. 116). Die Mädchen sollen lebenslange Freundinnen werden.

An dieser Stelle kann man drei Akte der Solidarität erkennen. Das erste Beispiel ist die Heilende, die die beiden Kinder aus ihrer Dorfgemeinschaft kennt und versucht, sie zu beschützen. Es ist unklar, warum sie sich nicht auch selbst rettet, sondern nur die Kinder versteckt, um dann zurück ins Dorf zu gehen. Der Versuch des Rettens des Bruders lässt sich auf Zusammengehörigkeit durch Familienbande zurückführen. Ada singt für ihren Bruder, um ihm den langen Fußmarsch erträglich zu machen, und versucht ohne Rücksicht auf ihr eigenes Wohlergehen, bei ihm zu bleiben. Naa Lamiley sieht das Leid einer Gleichaltrigen und leidet mit ihr, bietet ihr so eine Zugehörigkeit in der Fremde und hilft ihr sich in der neuen Umgebung zurecht zu finden. Ada wird in Ada Foah von den Müttern als eine der ihren aufgenommen und bleibt den Rest ihres Lebens dort.

Ada weiß nicht, dass ihre Mutter ebenfalls durch die Solidarität Fremder den Angriff überlebt. Auch sie wird von der Heilenden versteckt und einige Tage später von zwei Brüdern gefunden. Sie wird von ihnen gewaschen und in ihr Heimatdorf getragen, wo sie ebenfalls bleibt (S. 157f). Ada und ihre Mutter erleben beide Solidarität von zunächst fremden Gemeinschaften, die sie ohne weitere Bedenken aufnehmen.

Die Säuglingstode

Sowohl Ada als auch Naa Lamiley hatten Kinder, die das Säuglingsalter nicht überlebten. Naa Lamiley hat als erste der beiden einen kleinen Sohn namens Kofi, der neun Tage nach seiner Geburt erkrankt und schließlich stirbt. In diesem Moment ist Ada als einzige für ihre Freundin da. Selbst der Vater des Kindes gibt zunächst Naa Lamiley die Schuld an der Krankheit des Kindes und sucht sich danach eine neue Frau. Doch Ada bleibt an der Seite ihrer Freundin und bereitet ihr ein spezielles Gericht aus Yamswurzeln zu, um sie von ihrer Trauer zumindest etwas abzulenken (S.104ff.)

Ada verliert zwei Kinder und auch hier ist Naa Lamiley an ihrer Seite, um ihr Leid mit ihr zu tragen. Die Yamswurzeln werden zu einer traurigen Tradition, bieten den beiden aber eine Milderung der Trauer um das verlorene Kind (S.107+82). Naa Lamiley wacht mit Ada als ihr zweites Kind ebenfalls erkrankt, und als Ada sich nach dessen Tod nicht mehr rühren kann, übernimmt Naa Lamiley die Waschung und das Einwickeln des kleinen Leichnams (S.13f).

Die Mütter

Die Mütter des Küstenortes nehmen Ada ohne weitere Diskussion als eine der ihren auf. Sie wird von ihnen groß gezogen, lebt mit ihnen und sieht sie sehr bald als ihre Mütter an. Das heißt aber auch, dass die Mütter mit ihr genau so streng umgehen wie mit den anderen Kindern beziehungsweise bald auch jungen Erwachsenen, ihrer Gemeinschaft. In ihrer Grobheit sehen die Mütter einen schlichten Liebesbeweis (S. 33).

 

Die zweite Schleife 1848

In diesem Leben ist Ada eine Mathematikerin, die viel zu sehr mit Mathematik beschäftigt ist, um sich um andere zu kümmern. Ihre Zofe Lizzy opfert sich jedoch immer wieder für sie und ihren Bruder auf. Diese Zeit glänzt mit einer Abwesenheit von Solidarität des "höheren" Teils der Gesellschaft. Adas Liebhaber im Roman ist Charles Dickens. Hierbei handelt es sich um pure Fiktion der Autorin. Beide Figuren lebten tatsächlich, es ist jedoch historisch nicht bekannt, ob sich Ada Lovelace und Charles Dickens überhaupt kannten. Dickens sieht sich als einen der "Guten", weil er in seinen Geschichten die Leiden der Arbeiter und ihren Familien in den Vordergrund stellt (S. 21). Doch auch er fühlt sich in seiner "gottgegebenen Autorität" durch die Bewegungen von Frauen und Schwarzen angegriffen (S. 21).

Lizzy hingegen kümmert sich um ihren tauben Bruder und sorgt sich um Ada mehr, als es für eine Zofe angebracht wäre. Nachdem sowohl Ada als auch Lizzy Persönliches miteinander geteilt haben (Adas Spielschulden und das Sterben von Lizzys Eltern aufgrund der irischen Hungersnot), sieht Lizzy sich mit Ada verbunden und hat ein Gefühl der "Zusammengehörigkeit", worauf Solidarität basiert. Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit bleibt jedoch im Hinblick auf Taten einseitig. Ada sieht die Beziehung zu Lizzy als eine "besondere Freundschaft" an (S. 61), doch bleibt sie sich des Machtverhältnisses zwischen Dame und Zofe bewusst und weiß deswegen nicht, wie sie mit ihrem Mitgefühl gegenüber Lizzy umgehen soll. Diese Unsicherheit gipfelt in einem missglückten Witz über Kartoffeln (S. 62). Lizzy, deren Eltern in der Kartoffelfäule ums Leben kamen, versucht Ada jedoch trotz ihrer Enttäuschung über den, ihrer Meinung nach, Vertrauensbruch, zu helfen. Sie erfährt von ihrem Bruder Alfie, dass Adas Ehemann unangekündigt auf dem Weg nach Hause ist, während Ada Besuch von ihrem Liebhaber hat. Sie macht sich Sorgen und löchert ihren Bruder, wann und wo genau er Adas Mann gesehen hat, worauf dieser missmutig und gleichgültig reagiert (S. 69). Alfie sieht sich mehr den Arbeitern als seinen Arbeitgebern zugehörig und möchte seinen Beitrag zur Befreiung Irlands von der Hungernot leisten. Aufgrund seiner Taubheit kann er aber nicht an den Treffen teilnehmen und muss Lizzy um Hilfe bitten. Obwohl Lizzy zutiefst erschöpft ist, geht sie für ihren Bruder zu einer Sitzung des Chartistischen Frauenverbandes, auch wenn sie dort nichts erreichen kann (S.70ff.). Als das Wesen in Form eines Türklopfers Lizzy zurück zu Ada ruft, sieht diese bei ihrer Rückkehr, dass Adas Ehemann bereits vor ihr angekommen ist. Instinktiv ahnt sie, dass er nach dem Armband, einem Familienerbstück, fragen wird. Lizzy hatte dieses einige Wochen vorher versteckt, als Ada sie bat, mit diversen Schmuckstücken ihre Wettschulden zu begleichen. Doch Lizzy erreicht das streitende Ehepaar zu spät und sieht nur noch, wie Ada von ihrem Ehemann erschossen wird.

 

Die dritte Schleife 1945

Das Opfer der Mutter

Die Ada dieser Schleife wächst mit ihren Geschwistern und ihrer alleinerziehenden Mutter in einem polnischen Dorf kurz vor dem Zweiten Weltkrieg auf. Sie und ihre Geschwister sind im Dorf wegen ihres unkonventionellen Lebensstils nicht gern gesehen, und weil ihre Mutter nicht verheiratet ist und jedes Kind einen anderen Vater hat, wird die Familie als "asozial" eingestuft (S. 165). Als das Dorf von den Nazis auf "Asoziale und Kriminelle" durchsucht wird, opfert sich ihre Mutter, um ihre Kinder zu retten. Sie löst einen Angriff auf sich selbst aus und gibt so ihren Kindern die Möglichkeit, wegzurennen. Dies gelingt Adas Geschwistern, doch Ada dreht sich im Rennen um, um einen letzten Blick auf ihre Mutter zu werfen, und wird deswegen ein weiteres Mal in Gefangenschaft genommen (S. 168f.). Sie wird Zwangsprostituierte im Arbeitslager Dora.

Im Arbeitslager

In Bezug auf Adas Leben im Arbeitslager erwähnt die Erzählinstanz, das Wesen, zum ersten und letzten Mal ein Konzept, welches der Solidarität nahekommt. Es sagt: "Momente der Selbstlosigkeit gab es 1945 sogar hinter den Toren Doras." (S. 95) Im Rahmen dieser kurzen Ausführung ist es nicht möglich, die volle Weite der historischen Anspielungen, namentlich die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs, die in diesem kurzen Satz heraufbeschwört werden auszuführen, wir konzentrieren uns an dieser Stelle auf die Akte der Selbstlosigkeit oder Solidarität innerhalb Doras. Es besteht ein gewisser Zusammenhalt zwischen den Frauen, die ins Arbeitslager gezwungen wurden, doch sie können sich gegenseitig nicht helfen, da sie alle in der gleichen Situation gefangen und machtlos sind. Ada freundet sich besonders mit einer Zimmernachbarin mit dem Namen Linde an. Linde geht zu Beginn ihrer Zeit in Dora einen Deal mit einem Arbeiter im Krematorium des Lagers namens Waldemar ein, wofür er sexuelle Gefälligkeit von ihr und sie kleine Geschenke von ihm bekommt (S. 49). Zu Beginn der Schleife erhält sie von ihm ein Armband. Dieser Akt des Schenkens hat für sie eine tiefe Bedeutung, obwohl ihr nach Jahren der Misshandlung eigentlich klar sein sollte, dass Waldemar dies nicht aus Selbstlosigkeit tut (S. 50). Letzten Endes hilft er Linde aber doch. Einige Wochen nach Adas Erschießung während eines Fluchtversuchs wird er zu den Geschehnissen befragt und gibt vor, sich nicht mehr an Linde zu erinnern, was ihr das Leben rettet (S. 96).

 

Verfasserin: Sina M. Schuffert, Studentin im Master Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität des Saarlandes, 2022