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Mit leichten Silikonfolien verleiht das Forschungsteam von Professor Stefan Seelecke an der Universität des Saarlandes Oberflächen neuartige Fähigkeiten. Sie lassen auf Touchscreens aus dem Nichts heraus Tasten oder Schieberegler spürbar werden und bringen so Leben auf das glatte Glas: Bei Bedarf drückt die Folie das Display blitzschnell dem Finger seines Nutzers entgegen, vermittelt ihm so den Eindruck von Tasten, die bei der Eingabe oder Seitennavigation helfen, um dann wieder zu verschwinden. „Bei Smartphones, Info-Monitoren oder Haushaltsgeräten könnten Bedienoberflächen auf diese Weise nutzerfreundlicher werden“, sagt Stefan Seelecke, Professor für intelligente Materialsysteme. Durch Klopfen oder Vibrieren an den Fingerspitzen könnten sie spürbar machen: Hier muss man drücken. Das Erlebnis eines leichten Widerstands wie bei „echten“ Knöpfen und Schaltern würde signalisieren: Eingabe erfolgreich – nicht nur für Blinde und schlecht sehende Menschen wäre dies weit mehr als Spielerei.
Auch als „High-Tech-Innenfutter“ in Kleidungsstücken eingearbeitet, werden die Folien zur Schnittstelle zwischen Mensch und Technik: Sie lassen als vollflächiger, dehnbarer und anschmiegsamer Sensor etwa in Arbeitshandschuhen das Computersystem wissen, wie der Industriemonteur Hand und Finger bewegt. „Auf diese Weise bringen wir Intelligenz und eine Sensorik in den Arbeitshandschuh, die der Monteur ohnehin trägt“, sagt Seelecke. Die Folien sind mit etwa 50 Mikrometern sehr dünn, vergleichbar einer Frischhaltefolie. Also stören sie nicht. Eine Industrie 4.0-Umgebung aber könnte durch den Handschuh erkennen, was sein Träger machen will.
„Der Monteur könnte etwa durch Bewegungen seiner Hand Prozesse steuern. Bei komplizierten Anlagen könnte das System ihn unterstützen, Fehler zu vermeiden und ihm spürbare Rückmeldung geben, etwa mit Klopfzeichen, Druck oder Vibration an Hand und Fingern“, erläutert Seelecke das Potenzial der Technologie, an der er mit seinem Team an der Universität des Saarlandes und am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema) forscht.
Die Prototypen von Arbeitshandschuh und haptischem Display zeigt das Forschungsteam auf der diesjährigen Hannover Messe. Die Folientechnologie könnte aber auch etwa bei Computerspielen das Spielerlebnis intensiver machen.
Bei den Folien handelt sich um intelligente Materialsysteme. Sie funktionieren mit elektrischem Strom. „Die Ober- und Unterseite der Silikon-Folien sind mit einer leitfähigen, hochdehnbaren Elektrodenschicht bedruckt. Wenn wir an dieses sogenannte ‚dielektrische Elastomer‘ eine elektrische Spannung anlegen, ziehen sich die Elektroden an und stauchen die Folie, die zur Seite ausweicht und dabei ihre Fläche vergrößert“, erklärt Paul Motzki, der in Seeleckes Team forscht. Damit ändert sich auch die elektrische Kapazität der Folie.
Krümmt also beispielsweise beim Arbeitshandschuh der Monteur den Finger, dehnt er die Folie wie eine zweite Haut mit, dadurch ändert sich die elektrische Kapazität. Jeder Stellung der Folie – ganz so, wie der Finger sie gerade verformt – lässt sich ein exakter Messwert der elektrischen Kapazität zuordnen: Also beschreibt ein Messwert eine ganz bestimmte Stellung des Fingers und eine Abfolge dieser Messwerte einen Bewegungsablauf. Die Folie ist damit dehnbarer Sensor, sie wird zum Sinnesorgan der Technik: Der Handschuh erkennt, wie sich die Hand bewegt. Und das Display weiß, ob ein Nutzer auf einen virtuellen Knopf drückt.
Mithilfe der Messwerte und intelligenten Algorithmen lassen sich in einer Regelungseinheit Bewegungsabläufe vorausberechnen, programmieren und die Folie entsprechend ansteuern: „Wir setzen die Eigenschaften der Elastomere dabei als Antriebe ein, also wie künstliche Muskeln“, erklärt Sophie Nalbach, die Ingenieurin ist Gruppenleiterin für Elektroaktive Polymere an Seeleckes Lehrstuhl. Verändern die Forscher das elektrische Feld, lassen sie die Folie klopfen, stufenlos bestimmte Stellungen einnehmen und halten oder mit beliebiger Frequenz und Schwingung vibrieren. So können Handschuh und Display ihren Nutzern Zeichen geben. „Befestigen wir das Display eines Tablets auf der Folie, erweckt es etwa mit schnellen Hub-Bewegungen gegen den Finger des Benutzers den Eindruck von Knopfkanten“, erklärt die Forscherin.
Derzeit arbeitet das Team in mehreren Forschungsprojekten und weiteren Doktorarbeiten daran, die Folien-Antriebe untereinander zu vernetzen, so dass sie wie ein Schwarm untereinander kommunizieren und kooperieren können. Hierzu wollen sie die Technik weiter miniaturisieren, um Oberflächen mit neuen Fähigkeiten auszustatten.
Die Technologie ist günstig in der Herstellung, leicht, flexibel, leise und energieeffizient. Noch handelt es sich um Ergebnisse der anwendungsorientierten Forschung. Die Forscher wollen diese und andere intelligenten Materialsysteme in die Industriepraxis bringen, hierzu haben sie aus dem Lehrstuhl heraus die Firma mateligent GmbH gegründet.
Hannover Messe, 30. Mai bis 2. Juni, Halle 2, Stand B28
Fragen beantworten:
Prof. Dr. Stefan Seelecke, Lehrstuhl für intelligente Materialsysteme:
Tel. 0681 302-71341; E-Mail: stefan.seelecke(at)imsl.uni-saarland.de
Dr. Paul Motzki, Tel.: 0681/85787-545; E-Mail: p.motzki(at)zema.de
Lehrstuhl für intelligente Materialsysteme:https://imsl.de
Spin off mateligent GmbH: https://mateligent.de
Am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema) in Saarbrücken arbeiten Universität des Saarlandes, Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes und Industriepartner zusammen: https://zema.de/
Videos, weitere Bilder und Informationen zu den Projekten und Prototypen des Lehrstuhls für intelligente Materialsysteme auf der Hannover Messe finden Sie auf der Seite des Lehrstuhls: https://imsl.de
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