Wie vieles im Leben ist auch die Untersuchung des Blutes eine Sache der Perspektive. Möchte ein Arzt beispielsweise untersuchen, ob ein Patient an einer hämatologischen, also einer das Blut betreffenden Krankheit wie der Sichelzellenanämie leidet, macht er oft einen Blutausstrich und betrachtet die die Blutzellen unter dem Mikroskop. Hier kann er erkennen, ob und wie viele rote Blutzellen atypisch deformiert sind; so kann er Rückschlüsse auf eine bestimmte Krankheit ziehen.
„Dabei gibt es aber ein Problem“, erklärt Greta Simionato, Biologin am Lehrstuhl von Physik-Professor Christian Wagner. „Schaue ich einen Blutausstrich an, sehe ich die Blutzellen ausschließlich aus einer Perspektive, nämlich von oben“, erklärt die Wissenschaftlerin. Diese einseitige Draufsicht kann in Wirklichkeit aber täuschen. Denn was ein Arzt beispielsweise als vollkommen runde Form erkennt, muss in Wirklichkeit gar keine runde, kugelförmige Gestalt haben. Die Zellen sehen im Profil dann zum Beispiel aus wie eine Schüssel: ein hoher Rand umschließt einen Krater in der Mitte des Blutplättchens. Von oben betrachtet sieht diese Schüssel aber eben rund aus.
Die Biologin hat als Erstautorin gemeinsam mit weiteren Forschern der Universität des Saarlandes, aus Frankreich, den Niederlanden und Italien daher mit einer bestimmten Methode die roten Blutzellen von Patienten untersucht, die an hämatologischen Krankheiten leiden. „Wir haben die Zellen mit einem Konfokalmikroskop Schicht für Schicht aufgenommen und so ein dreidimensionales Bild erstellt“, erklärt Greta Simionato. Mithilfe leistungsfähiger künstlicher Intelligenz, die wie ein neuronales Netzwerk arbeitet, können auf diese Weise tausende Zellen einer Blutprobe in wenigen Sekunden dargestellt werden und insbesondere die Verteilung der einzelnen Formen im Blut gemessen werden.
Denn rote Blutzellen kommen auch bei gesunden Menschen in vielerlei Formen vor. Normal ist die bikonkav genannte Form, die einem in der Mitte leicht eingedrückten Pfannkuchen ähnelt. Daneben gibt es runde, stachelige, sichelförmige und vielerlei weitere Zwischenformen. „Dank der künstlichen Intelligenz können wir die Verteilung der Formen in einer Blutprobe nun sehr schnell und sehr genau messen. Weicht dann die Zusammensetzung der Blutprobe von der Normalverteilung in gesunden Blutproben ab, können Mediziner weiter untersuchen, um welche Krankheit es sich genau handelt“, erklärt Stephan Quint, der die Studie initiiert hat.
„Die Form der roten Blutzellen genau zu kennen, ist darüber hinaus auch sehr wichtig für die Kenntnis des Fließverhaltens des Blutes im Körper.“ Durch Verformungen der roten Blutzellen strömt das Blut mitunter anders als in gesunden Körpern, so dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Folge sein können. „Und die Methode ist sehr objektiv“, ergänzt Greta Simionato. Anders als beim etablierten Blutausstrich unterm Mikroskop hängt es hier nicht vom geschulten Blick des einzelnen Betrachters ab, ob eine Krankheit entdeckt wird. Die künstliche Intelligenz, die die einzelnen Blutzellen dreidimensional analysiert, misst die statistische Verteilung der Formen und kommt so immer zu einem objektiven Ergebnis.
„Mit unserer Methode können wir also sehr gut Therapieerfolge messen und überwachen und auch den Schweregrad einer Krankheit genau bestimmen“, erklärt Stephan Quint. Auch Blutbanken könnten so eine einfache Methode an die Hand bekommen, um die Qualität des bei ihnen gelagerten Blutes auch jenseits von Infektionskrankheiten, die standardmäßig getestet werden, zu untersuchen. Denn ob eine Blutkonserve durch eine Lagerung an Qualität verliert, ist bisher noch nicht eingehend untersucht. Mit der Methode der Saarbrücker Physiker könnte dies bald sehr einfach gelingen.
Bibliographische Angaben:
Simionato G, Hinkelmann K, Chachanidze R, Bianchi P, Fermo E, van Wijk R, et al. (2021) Red blood cell phenotyping from 3D confocal images using artificial neural networks. PLoS Comput Biol 17(5): e1008934. https://doi.org/10.1371/journal.pcbi.1008934
Weitere Informationen:
Dr. Greta Simionato
Tel.: (0681) 3023976
E-Mail: greta.simionato(at)uni-saarland.de
Dr. Stephan Quint
Tel.: (0681) 3023950
E-Mail: stephan.quint(at)uni-saarland.de