Rainer Luthe wurde 1932 im damaligen Saargebiet (Hüttig-Rassweiler, heute Illingen) geboren. Nach dem Abitur am Staatlichen Ludwigsgymnasium Saarbrücken studierte er an der Universität des Saarlandes Naturwissenschaften und Medizin. Zum Sommersemester 1957 wechselte er an die Sorbonne nach Paris und die Medizinische Akademie in Montpellier und kehrte zum Wintersemester 1958/59 an die Saar zurück. Dem medizinischen Staatsexamen im November 1960 folgte im Dezember 1961 die Homburger Promotion mit der Untersuchung „Die psychiatrische Beurteilung des Eifersuchtswahns im Rahmen des § 44 Ehegesetz“. Der Medizinalassistenten-Zeit in Saarbrücken, St. Ingbert und Landstuhl schlossen sich die Bestallung als Arzt 1963 und die Anerkennung als „Facharzt für Nerven- und Gemütskrankheiten“ 1967 an.
Seit 1963 wirkte der Jubilar als Assistenzarzt an der von Prof. Dr. Hans-Hermann Meyer geleiteten Homburger Universitäts-Nervenklinik und wechselte im Januar 1968 als wissenschaftlicher Assistent an den Lehrstuhl für forensische Psychiatrie von Prof. Dr. Hermann Witter. In diesem Jahr gründete Witter das „Institut für Gerichtliche Psychologie und Psychiatrie“, dem seinerzeit institutionengeschichtlich eine Pionierrolle in der Bundesrepublik zukam. Sein Profil ist überregional und international geprägt durch enge Zusammenarbeit mit verschiedenen Justizbehörden, eine intensive forensische Praxis und – insbesondere unter den Nachfolgern Prof. Dr. Michael Rösler und Prof. Dr. Wolfgang Retz – durch Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen für Juristen, Ärzte und Mediziner.
Aufgrund der Habilitationsschrift „Persönlichkeit und Erleben – Strukturpsychopathologie von Abbau und Zerfall“ erhielt Rainer Luthe im Juli 1969 die Venia legendi für „Psychiatrie und Neurologie“. Anschließend wurde er am Witter’schen Institut zum Oberarzt und Ende 1971 zum Professor und Wissenschaftlichen Rat ernannt. Nach der Emeritierung Hermann Witters übernahm er im Herbst 1982 die Leitung des Homburger Instituts und lehnte 1983 einen ehrenvollen Ruf auf die C4-Professur „Forensische Psychiatrie“ an die Universität – Gesamthochschule Essen ab. Seit 1985 übte er bis zu seinem Ruhestand einen Lehrauftrag an der Universität Trier über „Forensische Psychiatrie und Psychologie“ aus und baute die Kooperation des Homburger Instituts mit der Universität Trier aus, deren Rechtswissenschaftliche Fakultät ihm 1993 die Würde eines Ehrendoktors verlieh. Nach 35-jähriger Tätigkeit auf dem Homburger Campus trat er zum Ende des Wintersemesters 1997/98 in den Ruhestand.
In der Reihe „Beiträge zur Psychopathologie“ des Springer-Verlags erschienen die drei Studien „Verantwortlichkeit, Persönlichkeit und Erleben – eine psychiatrische Untersuchung“ (1981), „Das strukturale System der Psychopathologie“ (1982) und „Die strukturale Psychopathologie in der Praxis der Gerichtspsychiatrie“ (1985) sowie ebenfalls bei Springer das Lehrbuch „Forensische Psychopathologie“ (1988) und – als „methodische Anleitung zur Erfassung psychopathologischer Erscheinungsbilder“ – die Monographie „Der psychische Befund“ (1989). Die interdisziplinär angelegte Veröffentlichung „Die zweifelhafte Schuldfähigkeit“, eine „Einführung in Theorie und Praxis der Begutachtung für Beteiligte am Gerichtsverfahren“ wurde 1996 vom Verlag Peter Lang (Bern – Frankfurt am Main) publiziert. Stets stand das Interesse an der wissenschaftlichen Kommunikation und Kompetenzen-Trennung im Problemfeld von Medizin-Recht-Psychologie und damit verbunden die erkenntnistheoretischen Grundlagen menschlicher Verantwortung im Vordergrund der wissenschaftlichen Forschung von Rainer Luthe. In seinen Veröffentlichungen spielte in Fortsetzung der von Hermann Witter geknüpften Verbindung zur französischsprachigen Psychiatrie die geistige Brückenfunktion des Saarlandes eine wichtige Rolle.
Der Niederschlag von Luthes jahrzehntelangen Erfahrungen in der forensischen Praxis kam belletristisch zum Ausdruck in mehreren Texten wie „Nachspielzeit“ (2009) oder „Der Fall des Zirkus Reinhardt“ (2009) oder seine autobiographischen Aufzeichnungen mit speziell saarländischem Bezug „Der Stuhl im Birnbaum – Leben zwischen zwei Grenzen“ (2014). Nach „Vom Mythos der Geistesstörung“ (2018) sind zuletzt 2020 die Studien „Die Geburt der Intelligenz aus dem Geist der Mythen“ (Band 1 „Das Erwachen des männlichen Geistes Dianoia / Verstand“, Band 2 „Die natürliche Klugheit der Frau Episteme / Vernunft“) erschienen. Die psychopathologischen Querverbindungen zu den Kulturwissenschaften und schönen Künsten stehen nach wie vor im Zentrum der Aufmerksamkeit des Jubilars, der gegenwärtig die Publikation seiner beiden neuesten, demnächst erscheinenden Bände „Elementardreieck und Molekularbewegung“ zum geisteswissenschaftlichen Hintergrund seiner universitären Tätigkeit abschließt.
Dr. Wolfgang Müller – Archiv der Universität des Saarlandes