Ungleiche Zwillinge lernen voneinander

Ungleiche Zwillinge lernen voneinander


Wissenschaftler der Saar-Uni untersuchen Entwicklung von Zwillingsgeschwistern, von denen eines mit Down-Syndrom zur Welt kam


Wie formt Behinderung das Umfeld? Mit dieser Frage befassen sich seit Oktober 2009 der Humangenetiker Professor Wolfram Henn und die Professorin für Entwicklungspsychologie, Gisa Aschersleben. Die Wissenschaftler untersuchen die sozialen und medizinischen Besonderheiten von Familien mit Zwillingen, von denen eines der Kinder Down-Syndrom hat und das andere nicht. Die Studie ist weltweit einzigartig.

von Irina Urig
 
Aus Legosteinen ein Haus bauen, Versteck spielen – das hat der fünfjährige Tim seiner behinderten Zwillingsschwester Lisa beigebracht. Mit den Nachbarskindern spielt Tim nicht mehr so oft, sie hänseln Lisa. Solche Szenarien könnten sich zwischen Zwillingsgeschwistern abspielen, von denen eines das Down-Syndrom hat und das andere nicht. „Es besteht die Annahme, dass bei solchen Zwillingen die Kinder voneinander profitieren: Das behinderte Kind zieht Gewinn aus den kognitiven Fähigkeiten des gesunden Bruders oder der Schwester. Das gesunde Kind lernt soziale und emotionale Kompetenz“, sagt Entwicklungspsychologin Gisa Aschersleben.

Ob das wirklich so ist, will sie gemeinsam mit dem Leiter der genetischen Beratungsstelle am Uniklinikum in Homburg, Wolfram Henn, herausfinden. „Die Geburt eines behinderten Kindes ist für viele Eltern eine schwierige Situation“, so Henn. In früheren Studien hatte er herausgefunden, dass Kontakte zu den nicht-behinderten Geschwistern besonders wichtig waren. Der Weg zur Entwicklungspsychologie war kurz, und so wandte er sich an Gisa Aschersleben in Saarbrücken.

Die Studie baut auf dem Down-Syndrom auf, weil es sich um eine häufige genetisch bedingte Behinderung handelt, die auf einen Chromosomen-Fehler zurückzuführen ist. Das 21. Chromosom liegt statt doppelt dreifach vor, deshalb nennt man die Behinderung auch Trisomie 21. Etwa eines von 700 Kindern kommt mit Trisomie 21 zur Welt. Die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes ist beeinträchtigt, aber oft nicht so schwer, wie viele annehmen. „Die betroffenen Kinder können wir im Rahmen der Studie auch selbst befragen“, erklärt Wolfram Henn.

Das Projekt wird drei Jahre lang mit 160 000 Euro von der Volkswagen-Stiftung gefördert. 60 Familien untersuchen die Wissenschaftler in Deutschland und Österreich – die weltweit größte Gruppe solcher Zwillingspaare. Es sind Kinder aller Altersstufen dabei, vom Säuglingsalter bis zum jungen Erwachsenen. Zunächst erhalten die Familien Fragebögen, in denen ihnen unter anderem Fragen zur Schwangerschaft und zur Erziehung ihrer Kinder gestellt werden. Zurzeit bereitet Nicole Schenkelberger, eine Doktorandin von Gisa Aschersleben, persönliche Besuche bei den Familien vor. „Einen halben Tag lang befragen wir alle Familienmitglieder unabhängig voneinander und machen Videoaufnahmen und Intelligenztests mit den Kindern. Dabei wollen wir vor allem sehen, wie die Zwillinge miteinander umgehen“, erläutert Gisa Aschersleben.

Die Wissenschaftler erhoffen sich Aufschlüsse darüber, wie sich die Kinder entwickeln, ob die Eltern genügend Zeit für beide Kinder haben und wie die Gesellschaft auf das ungleiche Zwillingspaar reagiert. Als Arzt ist Wolfram Henn natürlich auch an medizinischen Ergebnissen interessiert: „In der genetischen Beratungsstelle wollen wir Eltern in der gleichen Situation kompetent beraten und Hilfsangebote für betroffene Familien entwickeln.“

Die Wissenschaftler planen außerdem ein großes Treffen aller Teilnehmer der Studie. „Das ist eine besondere Freude für die Familien, die bisher dachten, sie seien allein in der Situation“, sagt Henn. Eine Erfahrung hat er im Laufe seiner Arbeit gemacht: „Eltern mit behinderten Kindern sind genauso glücklich wie andere Familien auch, sie brauchen nur mehr Zeit für Betreuung und Arztbesuche.“

Hintergrund
 
Eltern, die Zwillinge haben, von denen eines der Kinder an Down-Syndrom leidet und das andere nicht, können sich noch bis Frühjahr melden: Professor Wolfram Henn: Tel. (0 68 41) 1 62 66 14, E-Mail: wolfram.henn(at)uks.eu.
Professor Gisa Aschersleben: Tel. (06 81) 3 02 38 39, E-Mail: aschersleben(at)mx.uni-saarland.de.

www.downsyndrom-zwillinge.de

 

Kontakt

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Campus Saarbrücken
Gebäude A2 3, Raum 2.01
66123 Saarbrücken
Tel.: 0681 302-2601
presse(at)uni-saarland.de

Web-Magazin "campus"

Reportagen, Interviews und Servicethemen rund um die Universität