16.11.2023

EU-Forschungsprojekt: Wie beeinflussen Emotionen die politischen Entscheidungen?

Portrait von Georg Wenzelburger
© Thorsten MohrProf. Dr. Georg Wenzelburger

Wenn schwere Verbrechen die Öffentlichkeit aufrütteln, wird schnell der Ruf laut, das Strafrecht zu verschärfen. Doch wie gehen politische Akteure mit solchen Situationen um, bei denen sich die Bevölkerung verunsichert fühlt? Wie werden Entscheidungen gefällt, wenn auf allen Seiten die Emotionen hochkochen? Diesen Fragen will ein europäisches Forscherkonsortium unter Leitung des Politikwissenschaftlers Georg Wenzelburger von der Universität des Saarlandes nachgehen.

Im Rahmen des europäischen Horizon-Programms wird das dreijährige Forschungsprojekt mit 2,8 Millionen Euro gefördert, davon fließen rund 700.000 Euro an die Saar-Universität.

Im letzten Jahrzehnt haben sich die politischen Debatten in den europäischen Ländern verändert. Sie drehen sich nicht mehr nur um die materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung, also etwa um Fragen, wie hoch die Sozialhilfe ausfallen soll oder wie Jugendliche über kostenlose Bildung gleiche Chancen bekommen. Häufig werden Themen diskutiert, bei denen negative Stimmungen im Hintergrund mitschwingen, die nicht unbedingt mit den Problemen im Zusammenhang stehen „In Zeiten, in denen eine Krise auf die nächste folgt, fühlen sich viele Bürgerinnen und Bürger verunsichert. Es entstehen Ängste, die zum Teil über die sozialen Medien getriggert und von bestimmten politischen Gruppierungen geschickt genutzt werden, um Stimmung zu machen“, sagt Georg Wenzelburger, Professor für Politikwissenschaft der Saar-Universität.

Auf diese Emotionen müssen die verschiedenen politischen Akteure reagieren und sich dabei bewusst sein, dass ihre Entscheidungen wiederum Emotionen hervorrufen können. „Manchmal führen neue Gesetze und Maßnahmen dazu, dass eine schon aufgeheizte Stimmung weiter angestachelt wird. Oftmals werden aber auch Beschlüsse gefasst, mit denen die Bevölkerung beruhigt werden soll“, erklärt Georg Wenzelburger. Welche Mechanismen dabei greifen und wie sich solche emotionalen Dynamiken entwickeln können, ist Thema eines neuen europäischen Forschungsprojekts, an dem sieben Universitäten und Forschungsinstitute in sechs Ländern beteiligt sind. Darin werden verschiedene politikwissenschaftliche Methoden zum Einsatz kommen. „Hier in Saarbrücken werden wir uns etwa Parlamentsreden und Pressetexte anschauen und analysieren, wie emotional Bundestagsabgeordnete ihre Politik begründen. Wir werden zudem Interviews mit einzelnen Abgeordneten führen und diejenigen Akteure befragen, die in den Ministerien die Gesetzestexte vorbereitet oder bei der Polizeigewerkschaft Stellung genommen haben“, erklärt Wenzelburger. Dabei will sein Team verschiedene Beispiele wie die Strafrechtsreformen zu Gewaltverbrechen und Sexualstraftaten zum Anlass nehmen, um zu analysieren, inwieweit Emotionen die politischen Entscheidungen beeinflusst haben.

Die Sozialpsychologen der beteiligten Universitäten in Polen und Großbritannien wollen in Experimenten mit Versuchspersonen herauszufinden, wie diese reagieren, wenn sie Nachrichten rund um das Thema innere Sicherheit hören. „Zudem haben wir ethnografische Fallstudien geplant, bei denen alltägliche Erfahrungen einzelner Bevölkerungsgruppe detailliert untersucht werden, etwa mit Interviews und Beobachtungen“, erläutert Georg Wenzelburger. Hier kommt eine Forschergruppe aus Dänemark ins Spiel, die sich mit dem dänischen „Ghetto-Gesetz“ befassen wird. Darin wurde unter anderem festgelegt, dass Kinder von Migranten verpflichtend Kindertagesstätten besuchen müssen, um die dänische Sprache und Kultur kennenzulernen. Zudem sollten Bewohner umgesiedelt werden und Sozialwohnungen abgerissen werden, wenn sich die Lage in den „Ghetto“-Vierteln der dänischen Großstädte nicht verbessere. „Hier wollen wir untersuchen, ob sich die Menschen in den Vierteln tatsächlich sicherer fühlen. Und wir wollen genauer hinschauen, wie diese Politik bei den Betroffenen in den als problematisch betrachteten Stadtvierteln ankommt“, sagt der Politologe.

Ob es bei der Thematik Unterschiede im europäischen Vergleich gibt, wollen die Forscherinnen und Forscher außerdem durch eine breit angelegte Umfrage in den am Projekt beteiligten Ländern herausfinden. Dabei wird es darum gehen, wie Menschen auf emotionale Aspekte in der politischen Kommunikation reagieren und wie sie politisches Handeln beurteilen, das darauf zielt, die Bevölkerung zu beschützen, was im Englischen als „protective policies“ bezeichnet wird.

Das Forschungsprojekt PROTEMO (“Emotional dynamics of protective policies in an age of insecurity”) wird mit 2,8 Millionen Euro aus Mitteln des Horizon Europe Programms finanziert. Das Projekt wird von Georg Wenzelburger gemeinsam mit der promovierten Politologin Beatriz Carbone koordiniert, deren Schwerpunkt an der Universität des Saarlandes auf der komparativen Europaforschung liegt. Partneruniversitäten sind in Portugal, Dänemark, England und Warschau sowie in Israel. Vom 11. bis 13. Juni 2024 wird zudem an der Universität des Saarlandes eine europäische Konferenz zum Thema “Emotional Dynamics of (In)security and Politics” stattfinden, bei der unter anderem die Vorarbeiten dieses Forschungsprojekts diskutiert werden.

Weitere Informationen:  https://www.uni-saarland.de/lehrstuhl/wenzelburger.html

Fragen beantwortet:

Prof. Dr. Georg Wenzelburger
Lehrstuhl für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt komparative Europaforschung
Tel.: +49 681 302-71222
Mail: georg.wenzelburger(at)uni-saarland.de

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