Bislang machen allein Röntgen- und CT-Bilder als punktuelle Momentaufnahmen in zeitlichen Abständen einen Blick auf die Bruchstelle möglich. Das Team veröffentlicht seine Ergebnisse in den Fachzeitschriften „Biosensors and Bioelectronics“ und „Journal of Functional Biomaterials“.
Einfach ein handliches, kleines Messgerät aus der Tasche ziehen, es an der Bruchstelle auf die Haut legen. Bei einem Gips kann dafür eine Aussparung freibleiben. Und schon herrscht nach wenigen Sekunden Klarheit, ob ein Knochenbruch gut verheilt oder nicht. Das könnte schon bald weltweit Alltag sein. Denn auf diese Weise lassen sich Durchblutung und die Sauerstoffsättigung des Gewebes im Knochenbruch genau beobachten – ganz ohne schädliche Strahlung. „Die handelsüblichen Messgeräte, die eigentlich für Untersuchungen der Haut und Muskulatur auf dem Markt sind, verwenden ungefährliches LED- und Laser-Licht, das so hell ist, dass es in den Knochen hineinscheint“, erklärt die Expertin für Frakturheilung Bergita Ganse. Mit ihrem Team an der Universität des Saarlandes hat sie aufgedeckt, dass diese Methoden auch genutzt werden können, um den Heilungsverlauf bei Brüchen zu überwachen. Dies hat sie anhand von Schienbeinbrüchen belegen können.
„Unsere Methode soll das Röntgen nicht ersetzen. Sie komplettiert als zusätzliche, schnelle Kontrolle dort, wo heute im Heilungsverlauf große blinde Flecken sind“, erklärt Bergita Ganse, sie hat die Werner Siemens-Stiftungsprofessur für Innovative Implantatentwicklung auf dem Medizin-Campus in Homburg inne. Bisher werden Knochenbrüche allein mit Röntgen- oder CT-Geräten überwacht, wobei der Patient einer Strahlung ausgesetzt wird. Aufnahmen sind deshalb nur hin und wieder möglich. „Ein Nachteil der Röntgen- und CT-Aufnahmen ist, dass die Knochenheilung immer erst verzögert zu sehen ist. Auch wenn die Knochenenden schon zusammenwachsen, lagert der Körper erst spät Kalksalze ein, die mit der Röntgentechnik sichtbar werden“, sagt die Unfallchirurgin und Physiologin. Bis dahin läuft die Heilung wie in einer Blackbox im Verborgenen ab und es bleibt unbemerkt, ob der Bruch heilt oder nicht. „Wir sehen bei CT und Röntgen immer nur Momentaufnahmen. Was in der Zeit zwischen zwei Aufnahmen passiert, ist schlicht nicht bekannt“, sagt Bergita Ganse.
Mit der neuen Methode wird es möglich, die Knochenheilung beständig im Auge zu behalten, einfach von außen durch die Haut – auch die Patienten selbst bekommen damit Kontrolle über den Verlauf. Diese zusätzliche Überwachung könnte den Betroffenen viel ersparen. „Bei Unterschenkelfrakturen etwa gibt es in immerhin 14 von 100 Fällen Komplikationen, die heute erst spät entdeckt werden“, sagt die Professorin. Je früher man bemerkt, dass etwas schiefläuft, umso besser. „Wir könnten gezielt und frühzeitiger einer Fehlheilung entgegensteuern. Dazu haben wir viele Möglichkeiten wie Ultraschall-, Stoßwellen- oder Magnetfeldtherapie“, erklärt sie. In manchen Fällen ist auch einfach zu viel Bewegung im Knochenbruch und dieser muss besser ruhiggestellt werden.
Besonders wichtig ist ihr: „Die Überwachung von Knochenbrüchen mit kleinen und günstigen Geräten könnte auch dort eine bessere medizinische Versorgung möglich machen, wo große und teure Gerätschaften wie Röntgengeräte nicht vorhanden sind, also gerade auch in ärmeren Ländern und abgelegenen Regionen“, betont die Medizinerin.
Heilt ein Knochen, kommt an der Frakturstelle viel in Bewegung. „Es bilden sich eine Art dünner Fäden aus, die beginnen, die Bruchenden zu verbinden“, erläutert Bergita Ganse. Nach und nach entsteht so neues Knochengewebe, das mit Blut versorgt wird. Zusammen mit ihrem Team an der Universität des Saarlandes hat Bergita Ganse untersucht, wie diese Heilung an der Bruchstelle genau vonstattengeht und wie sich dabei der Blutfluss und die Sauerstoffsättigung verändern. Hierzu beobachtete sie gemeinsam mit ihren Medizin-Doktoranden Oana Scholz und Cedric Nowicki in zwei Studien über mehrere Monate hinweg den Heilungsverlauf von insgesamt 55 Patientinnen und Patienten mit Schienbeinbrüchen. In Kontrollgruppen wurden 51 Gesunde untersucht. Das Ergebnis: „Blutfluss und Sauerstoffsättigung verhalten sich im Verlauf der Knochenregeneration sehr charakteristisch“, fasst Bergita Ganse zusammen. Dies war noch nie zuvor direkt am Menschen näher erforscht worden.
„Der Blutfluss steigt zunächst an bis auf ein Maximum. Nach etwa zwei bis drei Wochen fallen die Messwerte wieder ab“, erklärt die Medizinerin. Auch die Sauerstoffsättigung im Gewebe um die Bruchstelle verhält sich typisch: Diese fällt zuerst charakteristisch ab bis auf ein Minimum und steigt nach zwei bis drei Wochen an, wenn sich neue Gefäße bilden. „Diese beiden Verläufe können wir durch die einfachen Messungen beobachten. Mit der Laser-Doppler-Spektroskopie und der Weißlicht-Spektroskopie lassen sich Blutfluss und Sauerstoffsättigung im Gewebe messen. Dafür gibt es im Handel Geräte, die auch wir bei unseren Messungen verwendet haben. Kehren die Werte nicht auf Normalniveau zurück, ist der Verdacht begründet, dass etwas nicht richtig läuft“, sagt Ganse.
„Es scheint je nach Grund für die Heilungsverzögerung offenbar Unterschiede in der Durchblutung und Sauerstoffsättigung zu geben. Da wir bisher erst wenige Fälle mit Fehlheilung hatten, müssen wir die Details zu diesen Abweichungen jedoch noch weiter erforschen“, ergänzt sie. Heilt ein Bruch nicht, kann dies viele Ursachen haben. „Der Patient hat sich vielleicht zu viel bewegt und Bein oder Arm nicht genug ruhiggestellt, auch bei Rauchern oder Krebspatienten kann es vorkommen, dass der Knochen nicht gut zusammenwächst. Dies lässt sich mit Röntgen erst spät vorhersagen, aber an den neuen Messwerten lässt es sich scheinbar früher erkennen“, sagt die Medizinerin. Sie arbeitet mit ihrem Team auch an anderen Methoden, den Heilungsverlauf an der Bruchstelle zu kontrollieren, etwa anhand von Messdaten aus Formgedächtnismaterialien, die Aufschluss geben, ob die Steifigkeit und Elastizität im Knochenbruch zunimmt.
Eine Begrenzung der Methode ist derzeit die Messtiefe der Geräte, die nicht tiefer als maximal fünf Zentimeter ins Gewebe messen können. „Dort, wo mehr Abstand zwischen Knochen und Haut ist, können wir derzeit noch nicht messen“, sagt Bergita Ganse.
Die Forschungen sind Teil des von der Werner Siemens-Stiftung mit acht Millionen Euro geförderten Projekts „Smarte Implantate“, das Bergita Ganse koordiniert: An der Universität des Saarlandes arbeiten dabei Forscherinnen und Forscher aus Medizin, Ingenieurwissenschaft und Informatik bereits seit über fünf Jahren zusammen. Mehrere Demonstratoren und Patente für intelligente Frakturplatten sind so bereits entstanden. Die maßgeschneiderten Implantate sollen ab der Operation im Körper kontrollieren, wie gut oder schlecht ein Bruch verheilt und sogar die Knochenheilung aktiv fördern durch Mikromassagen am Frakturspalt oder Änderung der Steifigkeit. Die Ergebnisse zur permanenten Kontrolle der Bruchstelle fließen in die smarten Implantate ein. Inzwischen arbeiten die Forschungsteams daran, die Ergebnisse zu miniaturisieren und auch in Marknägeln unterzubringen. Dieses Vorhaben wird auch von der EU im Programm Horizon Europe im Rahmen des Forschungsprojekts Smile (Smart implants for life enrichment) gefördert.
Bergita Ganse arbeitet mit ihrem Team inzwischen auch daran, die für Schienbeinbrüche entwickelte Messmethode auch bei anderen Knochenbrüchen und bei Knochendefekten einzusetzen. „Ich bin gespannt, wie schnell sich die Methode in der Forschung und im klinischen Alltag etabliert“, sagt Bergita Ganse, die Erfahrung als Weltraummedizinerin mitbringt. Sie arbeitet in ihren Projekten auch mit der europäischen Weltraumorganisation ESA, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR und auch der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA zusammen – unter anderem daran, wie sich Knochen und Muskeln im All abbauen. Sie hat etwa dazu beigetragen, für Astronautinnen und Astronauten Trainingsmethoden zu erforschen, um dies zu verhindern.
Aktuelle Veröffentlichungen:
Biosensors and Bioelectronics
"New sensor options for smart fracture implants and wearable devices: Laser-Doppler and white-light spectroscopy allow monitoring of bone regeneration via perfusion measurement", Oana Scholz, Cedric Nowicki, Elke Warmerdam, Sandra Rother, Bergita Ganse. DOI: 10.1016/j.bios.2025.117442;
https://doi.org/10.1016/j.bios.2025.117442
Journal of Functional Biomaterials
„Near-Infrared Spectroscopy Allows for Monitoring of Bone Fracture Healing via Changes in Oxygenation“, Cedric Nowicki und Bergita Ganse. DOI: 10.3390/jfb15120384
https://doi.org/10.3390/jfb15120384
Fragen beantwortet:
Prof. Dr. med. Bergita Ganse (WSS Stiftungsprofessur für Innovative Implantatentwicklung - Frakturheilung):
Tel.: +49 – (0) 6841 – 16 – 31570; E-Mail: Bergita.Ganse(at)uks.eu
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