10.09.2025

Netflix trifft Mathematik: Forscher aus Saarbrücken knacken Dreikörper-Berechnungen

Porträtfoto
© Thorsten MohrDr. Andreas Buchheit

Was hat der Netflix-Hit "3 Body Problem" mit Mathematik aus Saarbrücken zu tun? Während in der Serie das Wechselspiel dreier Sonnen für kosmisches Chaos sorgt, treiben in der Wissenschaft Dreikörper-Wechselwirkungen zwischen Teilchen Simulationszeiten in die Höhe. Ein Team aus Saarbrücken und Neuseeland hat nun einen Weg gefunden, diese komplizierten Berechnungen massiv zu beschleunigen und somit Materialien am Computer deutlich schneller und genauer zu simulieren.

 

Die Erkenntnisse wurden im AIP Journal of Chemical Physics veröffentlicht.

Wenn Mathematik es bis ins Netflix-Programm schafft, muss schon was dahinter sein: In der Serie „3 Body Problem“ entspinnt sich, auf Grundlage eines ebenfalls populären chinesischen Science-Fiction-Romans, die Geschichte einer außerirdischen Zivilisation, die auf der Suche nach einer sicheren Heimat ist, da ihre Heimatwelt um gleich drei Sonnen kreist und ihre Bewohner in arge Bedrängnis bringt. Genauer gesagt, schlingert ihre Planet chaotisch um die drei Sterne und gerät dadurch immer wieder in existenzielle Nöte. Denn eine genaue mathematische Vorhersage, wann ihr Heimatplanet in welchem Abstand um eine der drei Sonnen wandert, ist kaum möglich, sodass sich die Außerirdischen nicht auf die Auswirkungen von zu viel Nähe oder Entfernung einstellen können und ihr Heil in der Flucht Richtung Erde suchen.

Mathematisch gesprochen steckt dahinter ein sogenanntes „Dreikörperproblem“, womit auch der Titel erklärt wäre. Die Vorhersage, wie sich mehrere Körper zueinander verhalten, betrifft aber in der Natur natürlich mehr als drei in Wechselwirkung stehende Körper, und natürlich betrifft dies auch nicht nur Objekte auf astronomischer Größenskala, sondern auch mikroskopische Körper wie Atome und Moleküle. Dementsprechend sind solche „Vielkörper“-Probleme überall anzutreffen, zum Beispiel beim Design neuer Materialien und Chemikalien.

Möchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beispielsweise ergründen, warum sich Atome und Moleküle in einem Kristall auf eine ganz bestimmte Weise anordnen, müssen sie im Idealfall präzise verstehen und vorhersagen können, wie jedes einzelne Teilchen eines Kristallgitters mit allen anderen Teilchen in Wechselwirkung steht. Und das ist ein immens schwieriges Unterfangen. Denn eine Wechselwirkung von drei Teilchen (oder Körpern) untereinander ist mehr als die Summe der Wechselwirkung von zwei Teilchen plus eins. „Man kann es mit einem Gespräch vergleichen: Wenn sich zwei Menschen über etwas unterhalten und eine dritte Person kommt hinzu, geht das Gespräch nicht nahtlos weiter. Es entsteht eine ganz andere Konversation“, verbildlicht der Mathematiker Andreas Buchheit das Phänomen. Am Ende kann man bei einer solchen „Dreikörper-Wechselwirkung“ nicht mehr „auseinanderfriemeln“, wer wann wie auf welchen anderen Körper gewirkt hat, so Andreas Buchheit.

Soweit zur Beziehung dreier Teilchen untereinander. Richtig herausfordernd wird es, wenn die Beziehungen eines Objekts aus 1023 miteinander in Wechselwirkung stehender Teilchen vorauszusagen ist. Während bei der Berechnung der Energie pro Teilchen eine Summe mit 1023 Summanden auftaucht, quadriert sich die Anzahl der Summanden bei Dreikörperkräften zu 1046, was ungefähr der Anzahl an Atomen auf der Erde entspricht. „Bis jetzt konnten solche riesigen Gittersummen, wie sie entstehen, wenn man das Verhalten von Atomen in einem Körper beschreiben möchte, allenfalls näherungsweise berechnet werden. Ab einem bestimmten Detailgrad werden die Summen daher ‚abgeschnitten‘. Eine Berechnung entspricht also nicht vollkommen dem, was in der Natur tatsächlich passiert“, erklärt der Mathematiker, der sich an der Universität des Saarlandes auf die Lösung solcher Gittersummen-Probleme spezialisiert hat.

Ein Werkzeug im mathematischen Lösungskatalog kann die Epsteinsche Zeta-Funktion sein. Buchheit, Research Fellow an der Arbeitsgruppe von Mathematik-Professor Andreas Rupp, forscht seit einiger Zeit an Verallgemeinerungen dieser Funktion, die auf den deutschen Mathematiker Paul Epstein zurückgeht, der 1903 die Grundlage für die Berechnung solch riesiger Gittersummen gelegt hat.

Buchheits jüngst mit seinem Doktoranden Jonathan K. Busse sowie Kolleginnen und Kollegen aus Neuseeland veröffentlichte Arbeit im „AIP Journal of Chemical Physics“ legt dar, wie die Epsteinsche Zeta-Funktion mathematisch „umgebaut“ werden muss, um auch solche riesigen Summen zu berechnen, wenn man das Verhalten von 1023 Teilchen präzise modellieren möchte. Dafür haben sich die Mathematiker einen Trick einfallen lassen: „Wir müssen gar nicht die Summen selbst berechnen, die ja die Berechnung so schwierig machen. Stattdessen bilden wir Integrale verschiedener Zeta-Funktionen, so dass wir die Laufzeit der Berechnung exponentiell reduzieren können“, fasst Andreas Buchheit den Kern der Publikation zusammen.

Was für Nicht-Mathematiker trotzdem noch recht unverständlich klingt (und was auch vermutlich so bleiben wird), hat allerdings eine handfeste Folge, die dennoch jeder verstehen kann: „Am Ende brauchen wir dadurch für die Simulation von Materialien mit realistischen Dreikörper-Wechselwirkungen statt einen Monat Rechenzeit auf einem Supercomputer nur noch wenige Minuten auf einem handelsüblichen Büro-Laptop“, erklärt Andreas Buchheit.

In der Chemie haben diese Dreikörper-Kräfte wichtige Konsequenzen. Buchheit und Kollegen konnten zeigen, dass diese bei ausreichend großer Stärke zu Änderungen in der Struktur von Kristallen führen. Dies bildet nun die Grundlage für eine groß angelegte Untersuchung der Stabilität von Materie in einer Kooperation von Saarbrücken mit Kollegen aus Neuseeland und Norwegen.

Als Grundlage dieser und weiterer Arbeiten haben Andreas Buchheit und seine Kolleginnen und Kollegen die weltweit erste High-Performance-Bibliothek zur Berechnung der Epsteinschen Zeta-Funktion, „EpsteinLib“ genannt, veröffentlicht (https://github.com/epsteinlib/epsteinlib). Diese stellt der Wissenschaft weltweit die gewonnenen Erkenntnisse zur Verfügung, um sie in Folge auf ihre mathematischen und physikalischen Simulationen anzupassen. Diese wird von Physikern und Chemikern gleichermaßen bereits aktiv genutzt, um exotische Effekte in der Quantenphysik zu beschreiben.

Ob die Bibliothek so viele Zugriffe wie die Netflix-Serie haben wird, darf bezweifelt werden. Sollte aber jemals tatsächlich eine außerirdische Zivilisation auf die Idee kommen, zur Erde zu fliehen, weil ihre chaotisch umhertaumelnde Heimat von drei Sonnen malträtiert wird, wird sie aber zweifellos äußerst hilfreich sein. Allerspätestens. Vermutlich aber schon deutlich früher.

Originalpublikation:
Andres Robles-Navarro, Shaun Cooper, Andreas A. Buchheit, Jonathan K. Busse, Antony Burrows, Odile Smits, Peter Schwerdtfeger; Exact lattice summations for Lennard-Jones potentials coupled to a three-body Axilrod–Teller–Muto term applied to cuboidal phase transitions. J. Chem. Phys. 7 September 2025; 163 (9): 094104. https://doi.org/10.1063/5.0276677 

Weitere Informationen: 
Dr. Andreas A. Buchheit
E-Mail: andreas.buchheit(at)uni-saarland.de