25.10.2022

Internationale Tagung befasst sich mit Europadiskursen in der Gegenwartsliteratur

Europa – seine Mentalitäten, Grenzen und Probleme – spiegelt sich in zeitgenössischen literarischen Texten wider. Dabei kann der Europadiskurs auf ganz unterschiedliche Weise literarisch behandelt werden. Diesen Diskurs und seine Möglichkeiten und Bedingungen will die Tagung „Europadiskurse in der Gegenwartsliteratur des vergangenen Jahrzehnts“ erkunden.

Die Veranstaltung wird vom Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass der Universität am 3. und 4. November auf dem Saarbrücker Campus organisiert (im Graduate Center, Gebäude C9 3). Die Tagung ist öffentlich, der Eintritt ist frei. 

Die Idee der europäischen Integration war in der vergangenen Dekade zunehmender Kritik ausgesetzt. Nationalistische Bestrebungen haben in den meisten Ländern der Europäischen Union an Akzeptanz gewonnen, was sich schließlich im Austritt eines der großen Staaten, dem Vereinigten Königreich (2016/20), manifestierte. Innerhalb der Staaten der Gemeinschaft gehen die Ansichten auseinander, ob es sich bei der Europäischen Union um eine Zweckgemeinschaft zur Stärkung der eigenen nationalen beziehungsweise wirtschaftspolitischen Interessen handelt oder um einen Staatenbund, der die politische Einigung anstrebt. Auch sind Kompetenzen und Funktion europäischer Einrichtungen wie des Parlaments in Straßburg oder des europäischen Gerichtshofes in Luxemburg zwischen nord- und süd-, west- und osteuropäischen Staaten umstritten.

Die Covid 19-Pandemie hat die Probleme sichtbar vor Augen geführt. Auch wenn die Grenzschließungen lediglich pragmatisch im Hinblick auf eine Begrenzung des Infektionsgeschehens gedacht waren, haben sie dennoch gezeigt, wie fragil jahrelange Selbstverständlichkeiten (wie die Personenfreizügigkeit) sein können. Der Umgang mit der Infektionskrankheit hat deutlich gemacht, wie schwierig Organisation und gemeinsames Handeln im konkreten Fall angesichts divergenter politischer Grundeinstellungen sind. Dagegen hat der Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Ukraine zu Beginn dieses Jahres die Bedeutung jener Werte wieder in den Vordergrund treten lassen, auf denen die Europäische Union gründet, wie ihre geostrategische Funktion.

Dass die gleichwohl prekäre Lage des europäischen Gedankens im Diskurs der Gegenwartsliteratur exponiert Eingang findet, hat sich bereits 2017 deutlich gezeigt, als mit Robert Menasses Brüssel-Roman „Die Hauptstadt“ ein Text mit expliziter politischer Europa-Thematik den Deutschen Buchpreis gewann. Im von der Pandemie gezeichneten Jahr 2021 hat mit Antje Rávik Strubels „Blaue Frau“ wiederum ein Erzählwerk diesen Preis erhalten, das Europa, seine Mentalitäten, Grenzen und Probleme, in den Fokus rückt. Schon diese beiden durch ihre Publizität hervorstechenden Texte zeigen, auf welch unterschiedliche Weise der Europadiskurs literarisch behandelt werden kann.

Die Tagung möchte Möglichkeiten und Bedingungen dieses Diskurses in der Gegenwartsliteratur der letzten Jahre erkunden. Ein Augenmerk liegt dabei auf den divergenten Perspektiven: Literarische Texte spiegeln unterschiedliche Europa-Erfahrungen. So werden die unmittelbaren Erlebnisse von Menschen verarbeitet, die aus Grenzregionen stammen und deren tägliches Leben von der europäischen Politik maßgeblich bestimmt ist. Auf einer anderen Ebene thematisieren Texte zunehmend Migrationserfahrungen von Menschen, die innerhalb Europas ihre Lebensorte wechseln oder aus anderen Regionen der Welt nach Europa flüchten.

Programm:
Donnerstag, 3. November 2022
12.30 bis 13.00 Uhr: Begrüßung
13.00 bis 13.30 Uhr: Professor Dr. Alexis Radisoglou (Durham): Europa kontrapunktisch lesen: Beobachtungen zu einer Poetik des EU-Romans
13.30 bis 14.00 Uhr: Caren Bea Henze (Freiburg im Breisgau): Gegenwärtige literarische Aushandlungsversuche in Kontroversen um das erinnerungskulturelle Erbe Europas
14.45 bis 15.15 Uhr: Annabelle Jänchen M. A. (Ústí nad Labem / Bayreuth): Europa-Entwürfe in interkulturellen Familienromanen der Gegenwart
15.15 bis 15.45 Uhr: Dr. Paola Quadrelli (Mailand): Von Brandenburg nach Brüssel: Gedanken über die Europäische Union anhand von Juli Zehs Roman „Unterleuten“
16.30 bis 17.00 Uhr: Dr. Hermann Gätje (Saarbrücken): „Die Hölle hat in Europa eine Pause gemacht“: Perspektiven auf die Friedensjahre im Europa der Nachkriegszeit in Emine Sevgi Özdamars Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“
17.00 bis 17.30 Uhr: Dr. Corina Erk (Bamberg): Von literarischen Europa-Figurationen aus der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft lernen? 

Freitag, 4. November 2022
9.00 bis 9.30 Uhr: Professor Dr. Sikander Singh (Saarbrücken): Zu Ende gedacht. Die Zukunft Europas in Christoph Ransmayrs Roman „Der Fallmeister“
9.30 bis 10.00 Uhr: Professorin Dr. Anne-Rose Meyer (Wuppertal): „Europa“ in Romanen Yoko Tawadas
10.45 bis 11.15 Uhr: Professor Dr. Ewout van der Knaap (Utrecht): Mnemotopisches Schreiben. Zu Robert Menasses Roman „Die Erweiterung“
11.15 bis 11.45 Uhr: Marco Maffeis M. A. (Wuppertal): Das Europa der zwei Geschwindigkeiten in Nina Yargekovs Roman „Double nationalité“
11.45 bis 12.15 Uhr: Dr. Sofie Friederike Mevissen (Wuppertal): Die Show muss weitergehen. Narrative Inszenierung postsowjetischer Zugehörigkeit und Metadiskursivität in Nino Haratischwilis Prosa
12.15 bis 12.45 Uhr: Abschlussdiskussion

Alle Infos und Programm zum Download unter: https://www.uni-saarland.de/forschen/literaturarchiv/veranstaltungen/tagungen.html

Fragen beantwortet:
Dr. Hermann Gätje
Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass
Universität des Saarlandes
Saarländische Universitäts- und Landesbibliothek
Tel.: 0681 302-3794
E-Mail: h.gaetje@sulb.uni-saarland.de 
www.uni-saarland.de/literaturarchiv