Die Regionalpolitik der Europäischen Union (EU), die so genannte Kohäsionspolitik (Cohesion Policy, CP), ist einer der Eckpfeiler der Bemühungen der EU, das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen ihrer Bürger zu verbessern. Obwohl es immer mehr empirische Belege dafür gibt, dass sich die Zuweisung von CP-Geldern positiv auf das Wirtschaftswachstum in wirtschaftlich schwachen Regionen auswirkt und die regionalen Parteien dazu veranlasst, in ihren Wahlprogrammen mehr pro-europäische politische Positionen zu vertreten, ist der Anteil der EU-Themen in den Wahlprogrammen der subnationalen Parteien eher gering. Vor allem Regierungsparteien widmen EU-Themen in ihren regionalen Wahlprogrammen mehr Aufmerksamkeit, da diese Parteien die Zuteilung von CP-Geldern und die Durchführung von CP-finanzierten Projekten überwachen.
In den meisten Fällen regieren die Regionalparteien jedoch nicht allein, sondern müssen eine Koalitionsregierung bilden. Inwieweit Koalitionsregierungen EU-Themen in ihren Vereinbarungen betonen, wurde bisher jedoch nicht untersucht. Anhand eines neuartigen Datensatzes zur Betonung von EU-Themen in Koalitionsvereinbarungen von Regionalregierungen in Deutschland zwischen 2007 und 2016 wird argumentiert, dass sowohl strukturelle Faktoren als auch Merkmale auf Parteiebene die Strategien der Regierungen zur Betonung von EU-Themen beeinflussen. Die multivariaten Ergebnisse zeigen, dass Regierungen umso mehr pro-europäische Positionen einnehmen, je größer der Sitzanteil der pro-europäischen Koalitionspartner ist. Darüber hinaus widmen die Regierungen EU-Themen umso mehr Aufmerksamkeit, je mehr die Regierungsparteien diese Themen in ihren Wahlprogrammen hervorgehoben haben und je mehr eine Region von EU-Mitteln abhängig ist. Je pro-europäischer eine Regionalregierung ist, desto größer ist der Stellenwert von EU-Themen in Koalitionsvereinbarungen. Diese Ergebnisse haben weiterreichende Auswirkungen auf unser Verständnis des Zusammenspiels zwischen räumlichem und thematischem Wettbewerb, und sie unterstreichen die Bedeutung der Konzentration auf regionale Regierungen und ihre Parteien als entscheidende Akteure für die regionale Beteiligung an EU-Angelegenheiten.
Informationen zum Referenten:
PD Dr. Martin Gross ist Politikwissenschaftler und Akademischer Rat a. L. am Geschwister Scholl Institut der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er studierte zunächst Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz, dann einen Master in Geschichte und Politik des 20. Jahrhunderts an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Im Rahmen seiner Promotion, die er 2015 ebenfalls dort absolvierte, befasste er sich mit dem Thema der Koalitionsbildung auf kommunaler Ebene. Von November 2017 bis 2019 war er zudem External Fellow des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES).
Schwerpunkt seiner Habilitation, die er 2022 an der Ludwig-Maximilians-Universität München erlangte, war das Thema „Dynamischer Parteienwettbewerb in europäischen Mehrebenensystemen“. In dieser Zeit hatte er dort auch bereits verschiedene pro tempore Professuren inne. Die Schwerpunkte seiner Forschungsinteressen liegen in der Analyse des Parteienwettbewerbs und der Regierungsbildung in Mehrebenensystemen, der politischen Repräsentation und Responsivität in demokratischen Regimen, der EU-Kohäsionspolitik, der Kommunalpolitik und im Bereich der sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden. Sein neuester Forschungsschwerpunkt liegt auf der Verbindung von Sport und Politik.
Interessierte sind herzlich zur Teilnahme eingeladen. Um Voranmeldung an vinciane.pilz(at)uni-saarland.de wird gebeten.