Rainer Hudemann

Rainer Hudemann

 

Interkulturelle Felder unter Besatzungsbedingungen? Zu französisch-deutschen Kommunikations- und Konzeptionsstrukturen nach 1918 und 1945 (Abstract)

 

Im kollektiven Gedächtnis und sogar in der Wahrnehmung mancher Historiker erscheint die Zeit der französischen Besatzung in Deutschland nach 1945 als Epoche, in der die historischen Belastungen zweier Weltkriege jede konstruktive deutsch-französische Verständigung unmöglich gemacht haben und wo es nicht angebracht erscheint, von einem interkulturellen Feld zu sprechen. Dieser recht verbreiteten Sichtweise zufolge hätten Rachegelüste und Vormachtstreben die Deutschlandpolitik Frankreichs bis 1950 (Schuman-Plan) oder sogar 1963 (Elysée-Vertrag) bestimmt.

Die Realität erweist sich als sehr viel komplexer. Zwar hatte die traditionelle Hegemonialrhetorik, die man von 1919 kannte, in der öffentlichen Diskussion Frankreichs viele Anhänger. Aber unter der Oberfläche offizieller Diskurse gab es effiziente Wiederaufbaumaßnahmen mit insbesondere einer vorbildlichen Sozial- und Kulturpolitik. Sie boten sich nicht nur als pragmatische Lösung an, die auch den Interessen Frankreichs diente, sondern auch als Beitrag zu einer neuen Sicherheitspolitik, die auf die Demokratisierung Deutschlands setzte. So konnten sich verschiedene Kooperationsformen zwischen französischer und deutscher Verwaltung herausbilden und deutsch-französische Sozialisationsfelder entstehen. Trotzdem traten manche Verantwortlichen gegenüber der deutschen Verwaltung, die sie kontrollierten, recht herrisch und wenig kompromissbereit auf, auch wenn sie intern eine vernünftigere Politik vertraten und Missstände anprangerten. Auf lange Sicht hatte die Unterdrückung jeder Kritik an der Besatzungsmacht fatale Konsequenzen: Sie verstärkte die Neigung der Deutschen, sich als Opfer zu sehen und die Verantwortung für die Folgen der nationalsozialistischen Politik den Alliierten zuzuschreiben. Zunehmend wurde so in der kollektiven Erinnerung die reale Komplexität der deutsch-französischen Interaktionen dieser Epoche durch eine allzu einfache und abwertende Sichtweise ersetzt.

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