Wie wäre es, wenn Großstadtkinder in einer virtuellen Welt durch einen Wald flanieren könnten, um bei Vogelgezwitscher und Blätterrauschen die verschiedenen Baumarten zu bestimmen und Waldtiere zu beobachten? Oder könnten sich Abiturienten ihren Lernstoff über das antike Rom oder Kunstwerke im Louvre nicht viel besser erarbeiten, wenn sie dafür durch dreidimensionale virtuelle Räume spazieren könnten? „Ideen für den Schulunterricht gibt es schon viele, bisher scheitert es aber oft an der Umsetzung, weil den Lehramtsstudierenden die dafür notwendigen Kenntnisse nicht vermittelt werden“, sagt Kristin Altmeyer, Doktorandin am Lehrstuhl für Empirische Bildungsforschung, die gemeinsam mit der promovierten Naturwissenschaftsdidaktikerin Luisa Lauer das neue Projekt „XRISE“ eingeworben hat.
Geplant ist nun eine interdisziplinäre Seminarreihe, die sich aus drei aufeinander aufbauenden Veranstaltungen zusammensetzt. Sie soll Lehramtsstudierende, die sich auf unterschiedliche Schulstufen und Fächerkombinationen vorbereiten, mit Psychologiestudierenden, Teilnehmern des Masterprogramms „Educational Technology“ und anderen Studiengängen wie der Medieninformatik zusammenführen. Zudem sollen für die Programmierung von einzelnen Anwendungen externe IT-Dienstleister hinzugezogen werden. „Wir wollen mit den Studierenden Ideen für virtuelle Lehrinhalte entwickeln, die im Klassenzimmer an Tablets oder mit Hilfe von VR-Brillen genutzt werden können“, erklärt Luisa Lauer.
Es soll aber nicht bei der Idee bleiben, sondern die Studierenden erarbeiten sich gemeinsam die Kenntnisse, um eine Anwendung daraus zu entwickeln. Diese soll im Idealfall in den Schülerlaboren der Saar-Universität oder im Schulunterricht zum Einsatz kommen. „Für den naturwissenschaftlichen Unterricht fehlen zum Beispiel Experimente, deren Ausführung im Chemielabor zu aufwändig oder zu gefährlich ist. Die Lehramtsstudierenden können dafür mit ihrem didaktischen Knowhow die einzelnen Schritte und Lerneinheiten konzipieren. Dann benötigen sie aber Unterstützung von IT-Experten bei der technologischen Umsetzung“, sagt die Didaktikerin.
Auch für den Geschichtsunterricht oder das Sprachenlernen gilt es neue Konzepte zu entwickeln, die zum Beispiel Klassenreisen oder den Schüleraustausch nicht ersetzen sollen, aber ähnliche Erfahrungen einer breiten Schülergruppe ermöglichen können. „Wer etwa auf eine virtuelle Abenteuerreise durch London geschickt wird und dabei Passanten nach dem Weg fragen oder in einem Kunstmuseum ein bestimmtes Gemälde finden muss, lernt spielerisch andere Sprachen und Kulturen kennen“, erklärt Luisa Lauer, die für solche Anwendungen auch Chatbots wie ChatGPT einsetzen will.
Neben dem schulischen Bereich werden auch die berufliche Weiterbildung und andere Lernkontexte berücksichtigt. Dabei geht es nicht nur um die Lerneffekte von XR, sondern auch um die Frage, welche Technologien in der Praxis tatsächlich akzeptiert und genutzt werden. Die Lehrveranstaltungen im Kontext von XRISE werden dem so genannten Translanguaging-Ansatz folgen, das heißt, Deutsch und Englisch werden flexibel genutzt. „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dürfen und sollen alle ihre sprachlichen Ressourcen einsetzen, um Inhalte zu verstehen, zu reflektieren und zu erarbeiten", unterstreicht Kristin Altmeyer.
Vorarbeiten für didaktische Projekte, bei denen AR-Technologien wie Smartglasses und Tablets eingesetzt werden, gab es an der Saar-Universität bereits im GeAR-Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde. Dabei ging es um Schülerexperimente im Sach- und Physikunterricht, bei denen zum Beispiel für elektrische Schaltungen zusätzliche Informationen wie Messwerte oder Graphiken eingeblendet wurden. Die neuen XR-Lernumgebungen, die nun im XRISE-Projekt entwickelt werden, sollen vor ihrem breiteren Einsatz wissenschaftlich evaluiert werden.
XRISE steht für “EXtending Reality in Interdisciplinary CourSEs” und wurde als eines von bundesweit 153 Projekten in diesem Jahr zur Förderung ausgewählt. Zuvor wurden bei der Freiraum-Initiative rund 6000 Projektideen eingereicht, von denen 500 per Losverfahren ausgewählt und genauer begutachtet wurden. Mit den rund 340.000 Euro für zwei Jahre Laufzeit werden die beiden Nachwuchswissenschaftlerinnen nicht nur Hardware für neue Technologien anschaffen, sondern auch den interdisziplinären Austausch auf Tagungen fördern. „Es werden auch Studierende zu Konferenzen reisen dürfen, um dort ihre Ideen und Anwendungen zu präsentieren“, sagt Kristin Altmeyer.
Weitere Informationen:
Geförderte Freiraum-Projekte der Stiftung Innovation in der Hochschullehre
Lehrangebot im Wintersemester 2025/26: "Lernen in Extended Reality (XR)" (LSF-Link).
Fragen beantworten:
Lehrstuhl für empirische Bildungsforschung
Kristin Altmeyer
Tel. 0681 302-2588
Mail: kristin.altmeyer(at)uni-saarland.de
Lehrstuhl für Didaktik im Sachunterricht
Dr. Luisa Lauer
Tel: 0681 302-71397
Mail: luisa.lauer(at)uni-saarland.de