Die „Schwindsucht“, wie die Tuberkulose im Volksmund genannt wurde, war lange Zeit eine der tödlichsten Krankheiten. Erst nach der Entdeckung seines Erregers, des Mycobacteriums tuberculosis, durch Robert Koch 1882, konnte man die Erkrankung durch neue Antibiotika wirksam bekämpfen. In der westlichen Welt ist Tuberkulose heute kein großes Problem mehr, obwohl weltweit geschätzt 25 Prozent aller Menschen den Erreger in sich tragen. In den meisten Fällen bleibt er aber inaktiv, und entwickelt sich in seltenen Fällen dennoch eine aktive Tuberkulose, kann diese meist wirksam medikamentös bekämpft werden.
Problematisch hingegen kann eine Tuberkulose für immungeschwächte Menschen, zum Beispiel nach einer Organtransplantation oder bei HIV-Infizierten, werden. „Bei immungeschwächten Patienten kann sich das Bakterium sehr viel besser vermehren“, gibt Martina Sester zu bedenken. Für Menschen mit geschwächtem Immunsystem ist es daher besonders wichtig zu wissen, ob bei ihnen möglicherweise eine aktive Tuberkulose droht. Die Professorin für Immunologie hat daher gemeinsam mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen bei Menschen aus elf europäischen Ländern untersucht, wie aussagekräftig der heutige „Goldstandard“ der Tuberkulose-Tests speziell bei der Gruppe von Immungeschwächten ist.
Der so genannte „QuantiFERON-TB-Gold-Plus“-Test, kurz QFT+, ist heutzutage häufig das Mittel der Wahl, wenn Mediziner feststellen möchten, ob jemand den Erreger in sich trägt oder gar eine aktive Tuberkulose hat. „Dieser Test ist ein indirekter Test, das heißt, er misst, ob es im Körper bereits eine Immunantwort auf den Erreger gegeben hat oder nicht“, erklärt Martina Sester das Wirkprinzip. Er weist also nicht den Erreger selbst nach, sondern die Reaktion des Immunsystems auf diesen. Ist das Immunsystem nun geschwächt, sei es gezielt, um die Abstoßung eines Spenderorgans zu verhindern, oder durch einen das Immunsystem schwächenden Erreger wie HIV, fällt auch die Immunantwort auf den Tuberkulose-Erreger schwächer aus. „Der QFT+-Test kann dann also häufiger falsch negativ ausfallen“, schlussfolgert Martina Sester.
In ihrer groß angelegten Studie haben sie und ihre Kolleginnen und Kollegen von 2015 bis 2019 bei über 2600 Patientinnen und Patienten untersucht, wie aussagekräftig der QFT+-Test zum Nachweis einer Infektion mit Mycobakterien und einer Tuberkuloseerkrankung ist. Zudem wurde durch Nachbeobachtung verfolgt, wie gut der Test zur Beurteilung des Risikos, eine Tuberkulose zu entwickeln, geeignet ist. 1788 Menschen stammten dabei aus einer von fünf Gruppen, deren Immunsystem geschwächt war: Menschen mit Organtransplantation, mit Stammzelltransplantation, mit rheumatoider Arthritis, chronischer Niereninsuffizienz oder einer HIV-Infektion. 861 weitere, immungesunde Personen dienten als Kontrollgruppe. Die Patienten wurden an 21 medizinischen Zentren in elf europäischen Ländern behandelt. „Damit ist diese Studie die größte multizentrische Studie dieser Art, die bisher durchgeführt wurde“, so Martina Sester.
„Es hat sich gezeigt, dass der QFT+-Test nicht aussagekräftig genug ist, um ihn für die Diagnose der aktiven Erkrankung alleine einzusetzen. Außerdem ist die Vorhersagekraft des Tests für eine zukünftige Erkrankung sehr gering“, erklärt Martina Sester. Denn auch nach zwei Jahren gab es weder bei den positiv noch bei den negativ getesteten Personen eine aktive Tuberkulose-Erkrankung – selbst dann nicht, wenn der QFT+-Test positiv war und keine vorbeugende Therapie erfolgte. „Lediglich einige HIV-positive Personen entwickelten in Einzelfällen aktive Tuberkulose“, nennt Martina Sester die einzige Ausnahme von dieser Beobachtung.
„Für die Diagnose der Tuberkulose gibt es bessere Tests als den QFT+-Test. Dieser erfüllt nicht die Anforderungen, welche die Weltgesundheitsorganisation (WHO) an einen Tuberkulosetest stellt“, so das Fazit von Professor Christoph Lange vom Forschungszentrum Borstel, Seniorautor der Studie. „Der QFT+-Test reicht auch nicht aus, um das individuelle Risiko einer Tuberkulose in Niedriginzidenz-Ländern zuverlässig vorherzusagen. Künftig sollten zusätzliche Risikofaktoren – wie HIV-Status, Immunlage und Herkunft – stärker in die Entscheidung für eine präventive Behandlung einfließen.“
Die Studie ist im Rahmen des Forschungsnetzwerks zur Tuberkuloseforschung TBnet entstanden. Dabei handelt es sich um ein europaweites Netzwerk von Ärztinnen und Ärzten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, das sich der klinischen Forschung, Ausbildung und Vernetzung im Bereich Tuberkulose widmet. Gegründet 2006, umfasst TBnet mehr als 500 Mitglieder aus über 70 Ländern. Ziel ist die Verbesserung von Diagnostik, Therapie und Prävention der Tuberkulose, insbesondere bei multiresistenten Formen. TBnet organisiert multizentrische Studien, entwickelt konsensbasierte Leitlinien und fördert Nachwuchskräfte durch Kurse, Akademien und Stipendien. TBnet arbeitet eng mit europäischen und internationalen Partnern wie der WHO und dem DZIF zusammen. Neben wissenschaftlicher Arbeit legt TBnet großen Wert auf Wissenstransfer und regelmäßigen Austausch – etwa bei jährlichen Symposien oder Webinaren. Durch Forschung, Ausbildung und Vernetzung trägt TBnet wesentlich zur besseren Versorgung und Bekämpfung von Tuberkulose in Europa und darüber hinaus bei.
https://www.tbnet.eu/
Originalpublikation:
Sester, M., Altet-Gomez, N., Andersen, Å.B., Arias-Guillén, M., Avsar, K., Bakken Kran, A.-M., Bothamley, G., Nordholm Breschel, A.C., Brown, J., Chesov, D., Ciobanu, N., Cirillo, D.M., Crudu, V., de Souza Galvao, M., Dilektasli, A.G., Dominguez, J., Duarte, R., Dyrhol-Riise, A.M., Goletti, D., Hoffmann, H., Ibraim, E., Kalsdorf, B., Krawczyk, M., Kunst, H., Lange, B., Lipman, M., Matteelli, A., Milkiewicz, P., Neyer, D., Nitschke, M., Oral, H.B., Palacios-Gutiérrez, J.J., Petruccioli, E., Raszeja-Wyszomirska, J., Ravn, P., Rupp, J., Spohn, H.-E., Toader, C., Villar-Hernandez, R., Wagner, D., van Leth, F., Martinez, L., Pedersen, O.S., and Lange, C. Diagnostic accuracy and predictive value of the QuantiFERON-TB gold plus assay for tuberculosis in immunocompromised individuals: a prospective TBnet study. The Lancet Regional Health - Europe2025; 57:101416.
DOI: https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2025.101416
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Martina Sester
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