12/01/2025

Neue Studie: Trotz der weltweiten Sprachenvielfalt hat die Grammatik oft ähnliche Strukturen

Porträtfoto
© UdS/Thorsten MohrAnnemarie Verkerk, Juniorprofessorin für Language Science an der Universität des Saarlandes

In rund 1.700 Sprachen hat ein Forscherteam aus Saarbrücken und Leipzig nach Strukturen gesucht, die darauf hindeuten, dass sie in allen Sprachen auftreten. Von 191 grammatikalischen Mustern, den sogenannten Sprachuniversalien, fand sich ein Drittel in den untersuchten Sprachen wieder. Das Team unter Leitung von Annemarie Verkerk von der Saar-Universität und Russell Gray vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie hat die Studie jetzt in „Nature Human Behaviour“ veröffentlicht.

Alle natürlichen Sprachen weltweit folgen bestimmten Mustern. Um diese besser analysieren und vergleichen zu können, hat das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig vor zwei Jahren die bisher größte Datenbank für grammatikalische Merkmale öffentlich zugänglich gemacht. An dieser „Grambank“ genannten Plattform hat ein Team von über hundert Sprachwissenschaftlern aus der ganzen Welt mitgewirkt. Sie ist die Grundlage für die aktuelle Studie zu den gemeinsamen Eigenschaften von Sprachen. „Wir haben mehrere sehr komplexe statistische Verfahren auf diese Datenbank angewendet, um herauszufinden, wo die vorher als Hypothese definierten, exakt 191 Sprachuniversalien als Muster zu erkennen sind“, sagt Annemarie Verkerk, Juniorprofessorin für Language Science an der Universität des Saarlandes. Durch unterschiedliche Methoden konnte das Forscherteam im Vergleich zu früheren Studien ein hohes Maß an statistischer Genauigkeit erreichen.

„Bisher haben Linguisten häufig Sprachen untersucht, die geografisch weit voneinander entfernt sind. Damit wollten sie zu große Ähnlichkeiten in der gleichen Sprachfamilie umgehen und zum Beispiel nicht nur Italienisch und Rumänisch mit den slawischen Sprachen vergleichen“, erklärt die Linguistin. Diese Beschränkung auf einzelne Stichproben verringerte aber die statistische Aussagekraft, zudem berücksichtigten frühere Studien nur wenig die Sprachgeschichte. „Wir konnten hingegen mit unseren Methoden nachverfolgen, wie sich eine Sprache historisch entwickelt hat und in welchem geographischen Zusammenhang sie mit anderen Sprachen steht. Dafür haben wir quasi einen Stammbaum für die einzelnen Sprachen gebraucht und konnten nutzen, wie diese miteinander verwandt sind, um abzuschätzen, wie Sprachuniversalien zustande kommen“, erläutert Annemarie Verkerk. 

Die verschiedenen Analysen bestätigten aus unterschiedlichen Blickwinkeln übereinstimmend das Ergebnis, dass etwa ein Drittel der 191 vorher definierten Universalien in allen Sprachen als wiederkehrende Muster zu finden ist. „Dies macht deutlich, dass die Evolution von Sprachen nicht zufällig verläuft. Wir sollten daher den Sprachwandel noch weiter analysieren, um besser zu verstehen, warum viele Sprachen auf einer ähnlichen Grammatik beruhen. Vermutlich gibt es fest verankerte Strukturen, nach denen Menschen ihre Kommunikation organisieren“, sagt die Saarbrücker Forscherin. 

Als Beispiel für die Universalien führt Annemarie Verkerk die Wortreihenfolge im Satz an, also etwa die Frage, ob Verben vor oder nach Objekten stehen und wie diese Wortreihenfolge sich mit anderen verhält. Im Deutschen stehen sie meist vor dem Verb, im Japanischen ist es umgekehrt. Eine Wortstellung, die damit korreliert, ist die Reihenfolge von Adposition und Nomen: Wo es im Deutschen Präpositionen gibt, folgt im Japanischen diese Wortart dem Nomen. Die Korrelation zwischen Objekt-Verb-Reihenfolge und Postpositionen wie im Japanischen ist eine der am stärksten unterstützten Sprachuniversalien in der Studie. „Bei diesen Sprachuniversalien konnten wir mithilfe der Bayes’sche Statistik herausfinden, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie als grammatikalische Muster in den verschiedenen Sprachen zu erkennen sind“, erklärt die Linguistin.

„Wir haben überlegt, ob wir die Ergebnisse der Studie als ‚halb leeres Glas‘ oder ‚halb volles Glas‘ formulieren sollten. Sollten wir den Fokus darauflegen, wie viele vorgeschlagene Universalien nicht statistisch belegbar sind, oder darauf, dass es solide statistische Belege für etwa ein Drittel von ihnen gibt“, sagt der leitende Autor Russell Gray vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Letztendlich haben wir uns dafür entschieden, die sich wiederholt entwickelnden Muster herauszustellen und zu zeigen, dass Sprachen aufgrund gemeinsamer kognitiver und kommunikativer Bedingungen zu einer begrenzten Anzahl bevorzugter grammatikalischer Lösungen tendieren.“ 

Für künftige Studien empfiehlt Annemarie Verkerk, weniger mit Stichproben aus einzelnen Sprachen zu arbeiten, sondern große sprachübergreifende Datensätze zu verwenden. Dabei sollten nicht nur die Abhängigkeiten zwischen einzelnen Merkmalen, die in mehreren Sprachsystemen auftauchen, analysiert werden. „Wir sollten auch berücksichtigen, wie sich die Sprachen im Laufe der Evolution verändert haben und welche sozialen, ökologischen und demografischen Ereignisse und Situationen sich auf die Sprachentwicklung auswirkten“, nennt Annemarie Verkerk als weiteres Forschungsziel.

Originalpublikation:

Annemarie Verkerk, Olena Shcherbakova, Hannah J. Haynie, Hedvig Skirgård, Christoph Rzymski, Quentin D. Atkinson, Simon J. Greenhill & Russell D. Gray: Enduring constraints on grammar revealed by Bayesian spatiophylogenetic analyses, erschienen in “Nature Human Behaviour”:  https://doi.org/10.1038/s41562-025-02325-z

Zusammenfassung als „Research Briefing“ von Nature Human Behaviour: https://www.nature.com/articles/s41562-025-02355-7

Fragen beantworten:

Jun.-Prof. Dr. Annemarie Verkerk
Fachrichtung Sprachwissenschaft und Sprachtechnologie 
Universität des Saarlandes
Tel.: 0681 302-2550
Mail: annemarie.verkerk(at)uni-saarland.de

Prof. Dr. D. Russell Gray 
Direktor der Abteilung für Sprach- und Kulturevolution 
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie 
Tel.: 0341 3550 259
Mail: russell_gray(at)eva.mpg.de
Web: https://www.eva.mpg.de/