09/15/2025

Auch lange nach der römischen Eroberung lebte die keltische Kultur im Nordsaarland weiter

Zwei hohe Grabhügel, jeweils eingefriedet von einer hohen Mauer
© Foto: Klaus-Peter KappestDie Monumentalgrabhügel von Oberlöstern

In den 1990er Jahren wurde in Oberlöstern, einem Ortsteil der Stadt Wadern, ein römisches Gräberfeld mit zwei Grabhügeln entdeckt, die wieder aufgebaut wurden. Die Archäologin Sabine Hornung von der Universität des Saarlandes erforscht mit ihrem Team seit 2010 die antike Kulturlandschaft im Umfeld dieser markanten Monumente. Ihre Erkenntnisse geben Einblick in das Leben der einfachen Menschen auf dem Land in keltisch-römischer Zeit und den Wandel ihrer Kultur nach der römischen Eroberung.

Die Stadt Wadern wertet mit diesen Informationen das Gebiet touristisch auf. Die Bedeutung der Erkenntnisse aber geht weit darüber hinaus.

Die beiden monumentalen Erdhügel mit je einem markanten steinernen Pinienzapfen obenauf sind weithin sichtbare Zeugnisse der Vergangenheit. Nach früheren Ausgrabungen waren die Grabanlagen bereits vor 25 Jahren in Oberlöstern rekonstruiert und teils mit originalen Steinen wieder erbaut worden. Die Hügelgräber stehen jedoch nicht für sich allein. Sie sind Teil einer antiken Siedlungslandschaft – und als solche erstaunlich beredte Zeugen ihrer Zeit.

Bereits seit 2006 sammelt die Archäologin Sabine Hornung durch Geländeforschungen im Hochwald Erkenntnisse, die nach und nach die Entwicklung von Mensch und Umwelt dieser Region zurück ans Licht bringen. Dabei entdeckte sie Weltgeschichtliches wie nahe Hermeskeil: 2010 konnte sie dort ein römisches Militärlager als solches identifizieren und in langjähriger Forschung auch zu seinem Umfeld Neues über Cäsars Gallischen Krieg und dessen Folgen für die einheimische Bevölkerung zu Tage fördern. Mit den Befunden aus Oberlöstern und seiner weiteren Umgebung fügt die Professorin für Vor- und Frühgeschichte der Universität des Saarlandes ein weiteres Puzzleteil hinzu: zur ländlichen Besiedlung von der keltischen und römischen Zeit bis hin ins Früh- und Hochmittelalter, welches künftig im Fokus der Forschungen stehen soll. „Unsere Ergebnisse liefern Einblicke in das Leben der einfachen Menschen auf dem Land, also jenseits dessen, was wir aus den Geschichtsbüchern kennen“, sagt Sabine Hornung, die Studierende und Doktorandinnen und Doktoranden früh in ihre Forschungen einbindet.

Von den einstigen Siedlungen um Oberlöstern hat sich zwar oberhalb der Erdoberfläche so gut wie nichts erhalten. „2000 Jahre Ackerbau haben ihren Tribut gefordert“, sagt die Archäologin. Mit ihrem Forschungsteam konnte sie jedoch den Grundriss einer für die Gegend überraschend prachtvollen römischen Villa rekonstruieren, deren Existenz bereits bekannt war. Sie entdeckten darüber hinaus eine keltische Vorgängersiedlung: einen Weiler mit etwa fünf bis sechs Gebäudegruppen. Außerdem erforschten sie dort Mühl- und Bausteinbrüche. „Das Ensemble aus Grabfunden und verschiedenen archäologischen Denkmälern ist einzigartig im gesamten Westhunsrück“, erklärt die Expertin für Landschaftsarchäologie.

Bei ihren Forschungen in Oberlöstern steht die Frage nach der Kulturentwicklung ländlicher Gebiete des Römischen Reiches im Mittelpunkt. Auch die beiden Grabhügel aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts nach Christus geben viel über die Menschen damals und ihr Selbstverständnis preis – obwohl die Gräber schon vor langer Zeit durch Raubgräber und Landwirtschaft zerstört wurden. Die vormals keltische Region war zu der Zeit, als die Hügel errichtet wurden, politisch fest in römischer Hand und die Menschen standen kulturell stark unter diesem Einfluss. Man gab sich römisch – auch die Art und Weise, wie man die Toten bestattete, war eine römische. „Römische und keltische Begräbnisse folgen völlig unterschiedlichen Jenseitsvorstellungen“, erläutert Sabine Hornung.

Die Grabhügel standen mitten auf einem bestehenden römischen Gräberfeld mit ansonsten typisch römischen flachen Urnengräbern und einem römischen Pfeilergrabmal. „Die monumentalen Hügelgräber sind ein kultureller Hybrid. Als Erdhügel zeigen sie weithin sichtbar eine typisch keltische Grabarchitektur. Allerdings sind sie nach römischer Sitte mit massiven Quadermauern umfriedet. Auch die steinernen Pinienzapfen, mit denen sie bekrönt sind, sind typisch römische Symbole des ewigen Lebens“, sagt Sabine Hornung. „Ihre Erbauer betonen mit diesen Hügeln ihre keltischen Wurzeln, greifen zugleich aber auch auf repräsentative römische Architekturelemente zurück. In der Anspielung auf ihre keltische Abstammung manifestiert sich vermutlich auch ein ererbter Besitzanspruch auf das Land. Mentalitätsgeschichtlich lässt sich hieraus viel ablesen“, sagt die Archäologin. Indem sie die Funde in ihren Kontext einordnet, kann sie Rückschlüsse ziehen, wie die Menschen lebten, womit sie sich identifizierten und wem sie sich zugehörig fühlten. Dies macht es möglich, sich der vergangenen Alltagswelt anzunähern.

Die Gräber gehörten zu einer Siedlung, die etwa einen halben Kilometer in nordöstlicher Richtung lag. „Es handelt sich um eine ländliche Siedlungslandschaft mitsamt dem Gräberfeld, einem Tempelbezirk auf einer Anhöhe, der kultisch-religiöser Mittelpunkt der Gemeinschaft war, einem Gehöft der Großgrundbesitzer und weiteren Höfen abhängiger Kleinbauern“, sagt Hornung. Mit ihrer Forschung rekonstruiert sie die Entwicklung dieser Siedlungslandschaft über die Epochen hinweg. „Ursprünglich stand hier eine eisenzeitliche – also keltische – Vorgängersiedlung. Im ersten Jahrhundert vor Christus lebten die Menschen unweit des Rotbaches unten im Tal in hölzernen Pfostenbauten“, sagt die Archäologin. Anhand charakteristischer dunkler Verfärbungen im Boden konnten sie und ihr Team erkennen, wo die Holzpfähle einst in der Erde steckten. „In der späten Eisenzeit umfasste der Weiler wohl fünf bis sechs Häuser samt Wirtschaftsgebäuden. Hier wohnten mehrere Familien. Gesellschaftliche Unterschiede sind über die Architektur nicht ersichtlich“, erklärt sie.

Das blieb so bis zum Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus. „Dann begann eine grundbesitzende Oberschicht ihren gehobenen Status auch architektonisch hervorzuheben“, sagt die Archäologin. Mit geomagnetischen Bodenmessungen, sogenannter geophysikalischer Prospektion, die Anomalien im Erdmagnetfeld aufspüren und so archäologische Strukturen ausfindig machen, konnten sie und ihr Team die römische Villa rekonstruieren: den bislang größten römischen Gutshof im Hochwald. „Der Hausherr lebte im prunkvollen Hauptgebäude, nachgeordnete Familien in den kleineren Nebengebäuden des angrenzenden Wirtschaftshofes. Anhand unserer Befunde haben wir jetzt eine Vorstellung davon, wie dieses Landgut ausgesehen hat. Gesellschaftliche Unterschiede zu Familien in umliegenden Nebengebäuden zeigen sich hier nun deutlich“, sagt Sabine Hornung.

Das Gräberfeld mit den Hügelgräbern war der Bestattungsplatz dieser romanisierten Großgrundbesitzer, die im römischen Stil lebten, aber durchaus auch mit Stolz ihre keltischen Wurzeln zur Schau trugen. „Dies illustriert auch ein zwischen den beiden Hügelgräbern entdecktes römisches Grabdenkmal des mittleren zweiten Jahrhunderts nach Christus, auf dessen Bildfeld der Verstorbene und seine Frau in keltischer Tracht dargestellt sind. Für die Menschen damals war das eine klare Aussage“, sagt Sabine Hornung.

Auch wirtschaftlich zeigt sich eine fast schon trotzig anmutende Haltung der hier lebenden Menschen. „Wir haben in der Nähe Steinbrüche finden können, in denen schon in keltischer Zeit Reib- und Mühlsteine hergestellt wurden“, sagt die Archäologin. Dies sei ungewöhnlich: „Zum einen gab es damals Qualitätsprodukte aus basaltischer Lava, mit denen auf dem Flussweg gehandelt wurde. Zum anderen war das hiesige Gestein qualitativ minderwertig und eignete sich eigentlich nur sehr bedingt, um Mahlsteine zu produzieren, zumal es schwer zu bearbeiten war. Sogar für den Bau des römischen Grabdenkmals wurden Steine mit bis zu 15 Zentimeter dicken Kieseleinschlüssen verwendet“, erklärt sie. „Trotz der schlechten Qualität wurde das lokale Produkt sehr geschätzt und das, obwohl wir in den Steinbrüchen jede Menge Rohlinge finden, die bei der Bearbeitung zerbrochen sind.“

Nachdem sie die keltische Vorgängersiedlung ausgegraben haben, arbeiten die Archäologin und ihr Team nun an deren genauer Datierung. „Außerdem werden wir mit geophysikalischen Messungen den Spuren einer mittelalterlichen Motte bei Lockweiler nachgehen, also einer zunächst aus Holz errichteten Turmburg, die die älteste von mehreren Burgen in dieser Region ist“, erklärt Sabine Hornung. An der Stelle des ehemaligen Grabens wächst das Gras besser als im Umfeld, so ist die Motte schon im Luftbild gut zu erkennen. Im Laufe erster Forschungen konnte bereits nachgewiesen werden, dass die Anlage mehrere Bauphasen durchlaufen hat.

In Oberlöstern machen jetzt Informationstafeln und 3D-Rekonstruktionen die neuen Erkenntnisse der Saarbrücker Archäologen sichtbar und zeigen Interessierten, wie die Gegend vor rund 2000 Jahren ausgesehen hat und wie die Menschen hier lebten. Das Wirtschafts- und Umweltministerium des Saarlandes sowie die Kulturstiftung Merzig-Wadern förderten dieses Projekt der Stadt Wadern. „Die keltisch-römische Geschichte der Region kann auf diese Weise unmittelbar bei den archäologischen Denkmälern erlebt werden. Wenn man im Gelände steht und sich vorstellt, wie prächtig der römische Gutshof in Oberlöstern einst ausgesehen haben mag und wie sehr der römische Tempel von weither sichtbar das Alltagsleben überragte, dann kommt man den Menschen, die hier vor 2000 Jahren lebten, auf eine Art und Weise nahe, wie das nirgendwo sonst möglich ist“, sagt Sabine Hornung. Schon im vergangenen Jahr war in Hermeskeil eine Traumschleife mit Tafeln und Rekonstruktionen zum dortigen Militärlager eröffnet worden, die Sabine Hornungs Forschungsergebnisse hierzu zeigen.

Aber in ihrer Forschung liegen Potenziale, die weit über die Tourismusförderung hinaus gehen, wie Sabine Hornung betont: „Es geht hier um eine Zeit, in der die souveränen keltischen Stämme in das Römische Reich integriert wurden und auf diese Weise eine politische Einheit entstand – und damit um nicht weniger als um die historischen Wurzeln dessen, was wir heute Europa nennen.“ Unsere Gesellschaft könne viel aus der Geschichte lernen, auch über potenzielle Herausforderungen in der Zukunft. „Die Probleme, mit denen unsere Gesellschaft heute kämpft, sind mitnichten neu. Wir können zurückschauen, wie Ähnliches in der Vergangenheit bewältigt wurde, welche Strategien funktioniert haben und welche nicht“, erklärt Sabine Hornung.

Fragen beantwortet:
Prof. Dr. Sabine Hornung, Universität des Saarlandes
Tel.: 0681 302 3121, E-Mail: sabine.hornung@uni-saarland.de

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