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Reformkatholizismus

Was versteht man unter „Reformkatholizismus“?

Unter dem Begriff „Reformkatholizismus“ versteht man verschiedene Strömungen innerhalb des Katholizismus in Europa um das 19. und 20. Jahrhundert. Diese Strömungen setzten sich mit moderner Kultur und Wissenschaft auseinander und versuchten die römisch-katholische Kirche zu reformieren. Dies sollte jedoch in Abgrenzung zu reformatorischen und revolutionären Bestrebungen geschehen.

In der katholischen Theologie ist die reformkatholische Bewegung unter anderem um Franz Xaver Kraus bekannt. Zur Zeit des Antimodernismus wurde diese Strömung in der römisch-katholischen Kirche von Vertretern eines integralistischen Katholizismus als modernistisch ausgegrenzt.

Der deutsche Katholizismus um die Jahrhundertwende (19./20. Jahrhundert)

Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert setzte sich eine innerkirchliche Bewegung, der Reformkatholizismus, durch. Angeregt wurde diese Strömung zum einen durch die Fortschrittsideen der Zeit und zum andern auch durch die Behauptung der Kirchenfeinde, dass die Katholiken sowohl im geistigen als auch im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich unterlegen seien. Aus diesem Grund verfolgten die Anhänger des Reformkatholizismus das Ziel, das kirchliche Leben mit der modernen Kultur, Zivilisation und Gesellschaft zu versöhnen. Dabei sollte allerdings nicht auf das ursprüngliche Glaubensgut verzichtet werden. Von den integralistischen Kreisen, die gegenüber den Forderungen der Zeit nicht genügend aufgeschlossen waren, wurde den Anhängern dieser Strömung beim Verfolgen ihrer Ziele vorgeworfen, dass sie die orthodoxe Lehre preisgeben und der Kirchlichkeit nicht gerecht werden. Im Laufe der Zeit wurde von den beiden Kontrahenten keine akzeptable Lösung oder gar ein zufriedenstellender Kompromiss gefunden, sodass sich die Auseinandersetzungen immer weiter verschärften. Ausgetragen wurde der Streit unter anderem in Kulturzeitschriften.

Der Weg der Katholiken in die deutsche Nationalkultur

Kulturkampf = Bezeichnung für den Konflikt zwischen dem Deutschen Reich und der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert, bei dem die Verhältnisse zwischen Kirche und Staat neu geordnet werden sollten.

Das Wort „Kultur“ beherrschte in Deutschland um die Wende zum 20. Jahrhundert die Diskussion in den Bereichen Wissenschaft, Politik und Publizistik. Mit dem Kulturbegriff wurde die sogenannte „höhere Kultur“ bezeichnet, vor allem die Wissenschaft, Kunst und Literatur.

Der Kirchenhistoriker Albert Ehrhardt beschreibt den Kulturbegriff als das „Gesamtresultat jener Tätigkeit der menschlichen Gesellschaft, welche die Erkenntnis der Wahrheit, die Verwirklichung der Sittlichkeit, den Genuß der Schönheit, die Wahrung des Rechts und die Pflege der Religion zum Gegenstand hat“.

 

Katholizismus, Inferiorität und Moderne

Die deutsche Nation verstand sich als „Kulturnation“, die durch eine gemeinsame Sprache und Geschichte verbunden ist. Als Träger dieser Kulturnation galt das aufstrebende Bürgertum, das protestantisch nationalliberale Bildungsbürgertum. Die „deutsche Wissenschaft“ und die „deutsche Kultur“ wurden auch außerhalb Deutschlands modellhaft. Der Leitsatz dabei lautete: „Germania docet“ (= Deutschland lehrt). Die „deutsche Wissenschaft und Kultur“ wurde in Deutschland allerdings mit dem deutschen Protestantismus in Verbindung gebracht. Demnach wurde auch die Charakterisierung „wahrhaftig deutsch sein“ mit „protestantisch sein“ gleichgesetzt. Somit konnte eine wahrhafte deutsche Kultur auch nur eine protestantische Kultur sein. In zahlreichen theologischen Fakultäten sowie in den Versammlungen des Deutschen Bundes kam es zu Diskussionen. Diese Streitgespräche beinhalteten den Protestantismus als „Kulturfaktor“ in Deutschland.
Für die deutschen Katholiken war der Weg zur deutschen Kultur häufig nicht zugänglich. Viele glaubten, wie auch der Historiker Walter Goetz, dass es den Katholiken schwerer falle, einen Zugang zur deutschen Kultur zu finden, als den Protestanten.

So schrieb Goetz im Jahr 1900: „Der Katholik hat im Gegensatz zum Protestant einen weiten Weg, bis er die Kultur der Gegenwart verstehen, durchdringen kann. Der Protestant bringt das mit; er wächst aus der modernen Kultur hervor; deshalb sind alle Bahnbrecher und alle großen geistigen Talente Protestanten.“

Der Katholizismus wurde aufgrund seiner Antimodernität als Feind des Fortschritts angesehen und sollte daher bekämpft werden. Dieser Antimodernismus des Katholizismus wurde von dem protestantischen Gelehrten Paulsen folgendermaßen begründet.

Er ist der Auffassung, dass es daran liege, dass die „katholische Wissenschaft nur Ja sagen darf zu dem, was die Kirche lehrt“

Da der Katholizismus gegenüber der kirchlichen Autorität und ihren veralteten Auffassungen verpflichtet sei, wird er als Gegner des Fortschritts bezeichnet. Daher richtete sich der „Kulturkampf“, der von der „deutschen Kultur“ (liberales protestantisches Bürgertum und ein Teil der Professorenschaft) ausging, gegen den rückständigen und minderwertigen Katholizismus. Beispielsweise wurden die in Preußen dem Kleinbürgertum zugehörigen Katholiken als „Bürger zweiter Klasse“ betitelt. Sie erhielten somit keine staatlichen oder gesellschaftlichen Schlüsselpositionen mehr, auch nicht dann, wenn sie besonders qualifiziert waren. Dies führte schließlich dazu, dass einige (wissenschaftlich) Hochgebildete Deutschland verließen, da sie in einem anderen Land die Vorteile genießen konnten.

Die Wissenschaft

Wie auch der Historiker Walter Goetz sind auch heutige Katholizismus-Historiker der Meinung, dass sich der deutsche Katholizismus im 19. Jahrhundert nicht mit der modernen Kultur vereinen konnte. Dies liege an der antimodernen Einstellung des Katholizismus. Andere sind der Ansicht, dass die geistige Unterlegenheit (Inferiorität) der deutschen Katholiken dazu geführt habe, dass sie sich auf die ewig gültige „religiöse Wahrheit“ berufen haben. Diese Wahrheit, die eine heilsgeschichtliche Perspektive beinhaltet, ist sehr veraltet und widerspricht den Erkenntnissen der Zeit, vor allem im Bereich der Wissenschaften. Fälschlicherweise wurde daher oft behauptet, dass die deutschen Katholiken schlechtere Wissenschaftler seien als die Protestanten. Richtig war allerdings, dass es zu dieser Zeit nur wenige deutsche katholische Naturwissenschaftler gab. In den „Kulturwissenschaften“, besonders in der Philosophie, soll es hingegen viele katholische Wissenschaftler gegeben haben.  

Die Protestanten und Katholiken haben sich jedoch in diesem Gebiet voneinander unterschieden. Vor allem bezüglich des „Wissenschaftsbegriff“ vertraten sie verschiedene Auffassungen.

Jedoch soll es während der Aufklärung zu einer „Wesensumwandlung in der wissenschaftlichen Weltanschauung“ gekommen sein:

vor dem Wandel: Erkennen geleitet von der übernatürlichen Offenbarung

nach dem Wandel: gänzliche Freiheit in der Forschung und Voraussetzungslosigkeit

Im 19. Jahrhundert sollen allerdings einige Katholiken diesen Wandel nicht mitvollzogen haben, sodass für sie nach wie vor die ewig gültige religiöse Wahrheit und somit die Vorgaben und Ansichten der Kirche vor jedem Erkennen standen. Aus diesem Grund konnten sie nicht alle wissenschaftlichen Forschungsergebnisse annehmen, sondern nur solche, die mit den Lehren der Kirche übereinstimmten. Häufig stand das Ergebnis einer Forschung im Vorhinein fest, weil es von der Kirche gelehrt wurde. Die Forschung diente somit ausschließlich dazu, eine bestehende kirchliche Lehre zu bestätigen.

Hinzu kam, dass es Mitte des 19. Jahrhunderts zum „evolutionären Bruch“ im Denken kam, welcher aus der „Wesensumwandlung“ der Wissenschaft resultierte. Mit diesem kam es zu einigen Problemen:

1. Aus dem Positivismus als Methode entwickelte sich der Positivismus als Weltanschauung

2. Dieser Positivismus als Weltanschauung richtete sich gegen universale Welterklärungen und gegen das Christentum

Die katholischen Wissenschaftler konnten diesem revolutionären Bruch nicht standhalten und banden sich somit noch näher an die Kirche. Viele Katholiken wurden zu dieser Zeit in ihrem Glauben immer unsicherer, was sich unter anderem auf die neuen Dogmen des Positivismus und die neuen Lehren der Naturwissenschaften zurückführen lässt. Diese immer größer werdenden Unsicherheiten brachte sie schließlich dazu, dass sie immer mehr an der angeblich absoluten Sicherheit der Übernatur mit ihren ewig gültigen Wahrheiten festhielten. Außerdem befolgten sie vermeintliche Weisungen aus dem Jenseits, die sogenannte Seherinnen mitteilten. Nur sehr wenige deutsche Katholiken waren der Auffassung, dass sich das Wort Gottes verändern kann, das heißt, dass es sich einer bestimmten Kultur oder Zeit anpassen kann.

Die Literatur

In keinem andern Bereich wurde die kulturelle Unterlegenheit der Katholiken in der Jahrhundertwende so deutlich spürbar wie in der Literatur.

Als Gründe für den Niedergang der deutschen katholischen Literatur ist folgendes zu nennen:

Zum einen wurde seitens der Kirche darauf geachtet, dass die Lektüre nichts beinhaltet, was den katholischen Glauben oder die Sitten gefährden könnten. Es durften also nur solche Inhalte thematisiert werden, die sich mit den Glaubensansätzen der Kirche vereinen ließen. Aus diesem Grund galt die katholische Literatur gewissermaßen als zurückgeblieben. Seitens des Jesuit P. Wilhelm Kreiten (kein Modernist) kam der Vorwurf auf, dass die katholische Literatur nicht mit der Bildung und dem Interesse übereinstimmt, wie es eigentlich sein müsste.

Zum anderen lässt sich die Inferiorität im Bereich der Literatur auf den Mangel an katholischen Schriftsteller zurückführen. Auch katholische Leser soll es nicht genügend gegeben haben.

Seitens des Klerus soll es ein gewisses Misstrauen gegenüber den lesenden Katholiken gegeben haben. Sie wurden davor gewarnt Romane zu lesen. Auch wenn solche Bücher die christlichen Sittengesetze einhalten, bestehe dennoch die Gefahr, dass es zur Abnahme des Gebetseifers komme oder gar ein Schaden für die Seele entstehe. Vor diesen Folgen seien auch sehr fromme Personen nicht geschützt. Zu dieser Zeit galt die Regelung, dass für Katholiken nur katholische Literatur vorgesehen ist. Am Titel der Zeitschrift „Literarische Rundschau für das katholische Deutschland“ wird bereits deutlich, an wen diese adressiert ist.