Münster im Mittelpunkt des Geschehens

Die Entstehungsgeschichte des Kreises von Münster und allgemein der großen Bedeutung der Stadt nimmt ihren Anfang mehr oder minder bei Franz von Fürstenberg, 1729 in Herdringen im Herzogtum Westfalen geboren, als eine der entscheidenden Persönlichkeiten im Zuge von Reformen im Bildungs- und Pädagogiksektor des 18. Jahrhunderts. Er schuf in Münster eine Art Paradigma, das anschließend auf den Rest des Landes übertragen werden sollte. Diese Bildungsreform bestand vor allem darin, die besten Lehrer, Kleriker des Weltklerus oder verschiedener Ordensgemeinschaften, in dieser Schule zu vereinen, um aus ihre eine Art Musteranstalt zu formen.3
Während der Einfluss dieser Reformen eher gering war auf die Bildung des Münsteraner Kreises, so hatte die Gründung der Universität von Münster im Jahr 1773 einen entscheidend größeren Einfluss darauf.4 An der Universität sollten „alle die Disziplinen vertreten sein, die das Leben erfordert“5. Durch diesen Punkt hob sie sich früh von einer regulären Lehr-/Lernstätte ab, was auch den Kreis von Münster in gewisser Weise ausmachte. Er hob sich von der üblichen Gesellschaft ab, weil er eine Adelsgesellschaft war, zu der „ein Angehöriger des Bürgertums nur dann Zugang“ hatte, „wenn die ihm zugedachte oder die ihm zukommende Funktion nicht im eigenen Kreise ausgefüllt werden konnte“6. Ein großes Anliegen war „die karitative Beschäftigung mit den gesellschaftlich Schwachen“, was sich vor allem darin äußern sollte, dass die katholische Kirche eigenständig verschiedene soziale Einrichtungen für Arme und Kranke finanzieren sollte.7 Dies wurde vom Staat sowohl auf preußischer wie auch auf französischer Seite zunächst positiv aufgenommen, weil er nicht mehr die soziale Verantwortung hatte.8 Allerdings führte diese Thematik, die später als ‚soziale Frage‘ bekannt wurde, zu einem entscheidenden Konfliktpunkt „zwischen der katholischen Kirche und dem preußischen Staat“, was dann „während der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zu heftigen Auseinandersetzungen führte“9 (s. unten). Die Gründung jener Universität war jedoch nur Teil „eines groß angelegten Reformplans, der das Bildungswesen im Münsterland von Anfang an als Gesamtanlage im Blick hatte“10. So war vor allem auch die neue Schulordnung von 1776 für die Gymnasien elementar, durch die „die Mündigkeit, die Selbstständigkeit, die Kritikfähigkeit, der Wissensdurst, der Gemeinsinn und die Menschenfreundlichkeit der Schüler und Studenten stufenweise und aufeinander aufbauend befördert werden“11 sollte.
Neben Fürstenberg trat vornehmlich auch Amalie von Gallitzin in Erscheinung, die ebenso großen Einfluss auf den Kreis von Münster hatte. Bis zu dem Zeitpunkt, als die Fürstin nach Münster kam, war es Fürstenberg, dem die Vormachtstellung und der Einfluss auf den Kreis innewohnte.12 Außerdem war zuvor im Kreis von Münster kein maßgeblicher weiblicher Einfluss bekannt.13 Dies änderte sich jedoch entscheidend mit der Ankunft von Amalie von Gallitzin, was auch daran deutlich wird, dass man jenen Kreis im Nachhinein oft als Gallitzinkreis bezeichnet hat.14 Die Fürstin Gallitzin stammt aus der Ehe zwischen dem preußischen Generalfeldmarschall Samuel von Schmettau und Anna von Rüffer und wurde 1748 in Berlin geboren. Sie wurde zwar in Berlin reformiert getauft, allerdings von ihrer katholischen Mutter nach deren religiösen Vorstellungen und Bekenntnissen erzogen.15 Die schwierigen familiären Verhältnisse und mehrere Zerwürfnisse führten dazu, dass sie „die Ehe mit dem Fürsten Gallitzin als erstrebenswerten Ausweg aus allen Verstrickungen“16 erachtete. Die beiden heirateten 1768 und bekamen zwei Kinder, Marianne (*07.12.1769) und Dimitrji, genannt Mitri, (*22.12.1770). Glücklich war sie während dieser Ehe offenbar eher selten, jedoch konnte sie sich immer mehr für Bildung und die Wissenschaften begeistern. Sie war wissbegierig in Sprachen, Mathematik und auch Geschichte.17 Durch ihren Mann lernte sie den französischen Enzyklopädisten Denis Diderot kennen, mit dem sie sich in diversen Themen austauschte. Er sah, wie unglücklich sie in der Ehe und im Leben allgemein war, und ermöglichte ihr alleine zu verreisen. Die folgende Zeit war von Rastlosigkeit geprägt, die die Fürstin mit ihrem damaligen Lehrer und Philosophen Franz Hemsterhuis, als sie auf dem Weg in die Schweiz war, dann auch zum ersten Mal nach Münster brachte.18 Ihr Ziel war es, die Schulen, „die der Domherr und Minister Franz Friedrich Wilhelm von Fürstenberg im Hochstift Münster begründet“19 hatte, kennenzulernen. Sie hatte ursprünglich zwar nicht einmal geplant nach Münster zu kommen, geschweige denn dort zu bleiben.20 Dass sie letztendlich dort blieb, macht deutlich, dass Münster und auch der Kreis dort mehr war als nur ein Punkt auf der Landkarte oder eine Versammlung von Menschen. Zum Zeitpunkt des ersten Besuchs der Fürstin in Münster war Fürstenberg auf dem Höhepunkt seines Schaffens.21 Die Reformen, die er im Hochstift Münster während seiner siebzehnjährigen Amtszeit als Minister bewirkt hatte, waren bedeutend. Nach ihrem ersten Besuch in Münster war bereits klar, dass die Fürstin wiederkommen würde, und nicht nur wiederkommen, sondern auch bleiben, weil die Reformen Fürstenbergs großen Eindruck bei ihr hinterlassen hatten.22

 

3 Siegfried Sudhof: Von der Aufklärung zur Romantik. Die Geschichte des „Kreises von Münster“, Berlin 1973, S.79.
4 Sudhof, Von der Aufklärung zur Romantik, S.79.
5 Ebd., S.82.
6 Sudhof, Von der Aufklärung zur Romantik. Die Geschichte des „Kreises von Münster“, Berlin 1973, S.163.
7 www.gallitzin-stiftung.de/kreis/ [eingesehen am 28.10.2020].
8 Ebd.
9 Ebd.
10 Overhoff, Katholische Aufklärung in Europa und Nordamerika, S.101.
11 Ebd., S.101f.
12 Sudhof, Von der Aufklärung zur Romantik, S.122.
13 Ebd., S.122.
14 Sudhof: Von der Aufklärung zur Romantik, S.122.
15 Ebd., S.124.
16 Ebd., S.127.
17 Mathilde Köhler: Amalie von Gallitzin. Ein Leben zwischen Skandal und Legende, Paderborn 1993, S.26.
18 Ebd., S.42.
19 Ebd., S.42.
20 Sudhof, Von der Aufklärung zur Romantik, S.123.
21 Köhler, Amalie von Gallitzin, S.42.
22 Ebd., S.43.