Sinndeutungen des Ersten Weltkrieges im Milieu der katholisch-konservativen Eliten anhand der Zeitschriften Der Katholik und Historisch-politische Blätter

„Grauenhaft nutzlose Schlächterei“ oder „Heiliger Krieg“?

Mit Bezug auf den Ersten Weltkrieg bemerkte Kurt Tucholsky 1927: „Kein Mensch vermag eine ganze Epoche seines Daseins als sinnlos zu empfinden. Er muß sich einen Vers darauf machen. Er kann sein Leiden verfluchen oder loben, zu verdrängen suchen oder sie lebendig halten – aber daß sie sinnlos gewesen seien, das kann er nicht annehmen.[1] Und tatsächlich erwies sich – bereits seit dem Augusterlebnis – die Sinndeutung des einstweilen Sinnlosen, des industrialisierten Massenschlachtens, als existenzielle Pflicht, welcher sich insbesondere die traditionellen Institutionen der Sinndeutung, die Kirchen, verschrieben.[2] Mit Blick auf die katholische Kirche soll daher im Folgenden der Frage nachgegangen werden, welche Sinndeutung der Erste Weltkrieg – sowohl während ebendiesem als auch unmittelbar danach – in den Kreisen der katholischen Eliten des deutschen Kaiserreichs erfuhr. Dabei wird anhand der Quellen zu überprüfen sein, inwiefern sich die in der einschlägigen Fachliteratur propagierten polarisierenden Haltungen zum Krieg – einerseits die vor allem von Papst Benedikt XV. ausgehende Friedensinitiative und die Verteufelung des Krieges als „grauenhaft nutzlose Schlächterei“[3], andererseits die Verklärung des Massenschlachtens als Heiligen Krieg und die Umdeutung der Teilnahme an jenem als Teilhabe an einem sakralen Geschehen – in den herangezogenen Quellen wiederfinden, oder ob sich deren Darstellungen nicht zugunsten eines viel feiner differenzierten und sich mit laufender Kriegsdauer verschiebenden Bildes entwickeln.

 

Diese Untersuchung stützt sich dabei vorrangig auf die Ausgaben der Zeitschriften Der Katholik sowie Historisch-politische Blätter aus den Jahren 1914-1919. Die ursprünglich von Andreas Räß und Nikolaus Weis unter dem Namen religiöse Zeitschrift zur Belehrung und Warnung 1821 in Mainz gegründete, genuin katholische Zeitschrift Der Katholik veröffentlichte im Zeitraum von 1821 bis 1918 hauptsächlich wissenschaftliche, oftmals aber auch populärwissenschaftliche Beiträge.[4] Mit dem von 1907 bis 1918 als Herausgeber agierenden Joseph Selbst blieb die Zeitschrift auch weiterhin der Schule des Ultramontanismus, besonders dem Mainzer Kreis, verpflichtet und übte in ihren Publikationen insbesondere am liberalen Katholizismus und den Idealen der Aufklärung im Stile der Neuscholastik Kritik. Mit ihrem Themenschwerpunkt, welcher Veröffentlichungen zum politischen Katholizismus sowie Beiträge zu theologischen und kirchenpolitischen Themen bildeten, sprach Der Katholik vor allem die konservativen Bildungseliten im deutschen Kaiserreich an.[5]

 

Die Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland sind ebenso wie Der Katholik in das katholisch-konservative Pressespektrum des deutschen Kaiserreichs einzuordnen und galten als „Schlachtenturm und Feldherrnhügel der katholischen Elite Deutschlands.“[6] Gegründet wurde die in München ansässige und aufgrund ihrer Umschlagfarbe auch als Gelbe Hefte bezeichnete Zeitschrift 1838 durch Joseph Görres.[7] Hatte die Zeitschrift unter dem ab 1914 als alleinigem Herausgeber auftretenden Leiter des bayrischen Staatsarchivs Georg von Jochner zwar nur eine Auflagestärke von 1500 bis 2000 Exemplaren, so galt sie dennoch – da sie in fast allen katholischen Institutionen auslag – als die meinungsbildendste Zeitschrift der katholischen Bildungselite. Unter seiner Herausgeberschaft präsentierte sich die Zeitschrift vor allem national-monarchisch. Thematischer Schwerpunkt stellte die Auseinandersetzung mit historischen, politischen aber auch kulturellen Beiträgen dar.[8]

 

Zwecks übersichtlicher Darstellung orientiert sich die Darstellung der Ergebnisse an der Chronologie des Krieges. Zunächst muss jedoch ein Blick auf die Situation am Vorabend des Ersten Weltkrieges geworfen werden. Anschließend werden die unmittelbaren Reaktionen und Deutungen der deutschen Katholiken in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn analysiert, um darauffolgend beurteilen zu können, ob und inwiefern mit zunehmender Kriegsdauer ein Stimmungswandel stattfand. Um die Darstellung zu vervollständigen, soll in einem letzten Kapitel auch der Umgang der deutschen Katholiken mit der Kriegsniederlage untersucht werden, bevor die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst werden und ein abschließendes Urteil gefällt wird.


[1] Ignanz Wrobel [Kurt Tucholsky]: Über wirkungsvollen Pazifismus, in: Die Weltbühne 41 (1927), S. 555.

[2] Carsten Kretschmann: „Der Herr sei mit Euch, Ihr braven Krieger“. Sakralisierungsstrategien im Kontext des Ersten Weltkrieges, in: Kirche, Krieg und Katholiken. Geschichte und Gedächtnis im 20. Jahrhundert, hg. v. Karl-Joseph Hummel/Christoph Kösters, Freiburg i.Br. 2014, S. 50f.

[3] Das Mahnschreiben „Allorché fummo chiamati“, in: Die Kundgebungen Papst Benedikts XV. zum Weltfrieden. Im Urtext und in deutscher Übersetzung, hg. v. Arnold Struker, Freiburg i.Br. 1917, S. 50.

[4] Universitätsbibliothek Tübingen: Der Katholik [o. J.], idb.ub.uni-tuebingen.de/digitue/theo/kath.html (DigiTheo: Universitätsbibliothek Tübingen) [eingesehen am 13.10.2020].

[5] Herman Schwedt: [Art.] Katholik, Der K., in: Lexikon für Theologie und Kirche, hg. v. Walter Kasper, Bd. 5, Freiburg i.Br. u.a. 1996, Sp. 1338f.

[6] Josef Brunner, zit. n. Annekatrin Wacker: Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland (1838-1923), in: Deutsche Zeitschriften des 17. bis 20. Jahrhunderts, hg. v. Heinz-Dietrich Fischer, München 2017, S. 154.

[7] Bernhard Weber: Die Historisch-politischen Blätter als Forum für Kirchen- und Konfessionsfragen, München 1983, S. 200-214.

[8] Wacker: Historisch-Politische Blätter, S. 141-154.

Bildquellen

Titelblatt der Zeitschrift „Der Katholik“. Deutsches Digitales Zeitschriftenarchiv, online unter: www.digizeitschriften.de/dms/resolveppn/ (DigiZeitschriften) [eingesehen am 13.10.2020].

Titelblatt der Zeitschrift „Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland“, online unter: archive.org/details/historischpolitischeblaettervol154yr1914/page/n5/mod e/2up (INTERNET ARCHIVE) [eingesehen am 13.10.2020].

Feldpostkarte aus dem Ersten Weltkrieg: Darstellung der Feldmesse vor einer Schlacht. Archiv des Katholischen Militärbischofs, online unter: www.katholische-militaerseelsorge.de/geschichte/erster-weltkrieg/ (Katholische Militärseelsorge) [eingesehen am 13.10.2020].

Quellen

Das Mahnschreiben „Allorché fummo chiamati“, in: Die Kundgebungen Papst Benedikts XV. zum Weltfrieden. Im Urtext und in deutscher Übersetzung, hg. v. Arnold Struker, Freiburg i.Br. 1917, S. 49-54.

Wrobel, Ignanz [Kurt Tucholsky]: Über wirkungsvollen Pazifismus, in: Die Weltbühne 41 (1927), S. 555.

Literatur

Kretschmann, Carsten: „Der Herr sei mit Euch, Ihr braven Krieger“. Sakralisierungsstrategien im Kontext des Ersten Weltkrieges, in: Kirche, Krieg und Katholiken. Geschichte und Gedächtnis im 20. Jahrhundert, hg. v. Karl-Joseph Hummel/Christoph Kösters, Freiburg i.Br. 2014, S. 50-66.

Schwedt, Herman: [Art.] Katholik, Der K., in: Lexikon für Theologie und Kirche, hg. v. Walter Kasper, Bd. 5, Freiburg i.Br. u.a. 1996, Sp. 1338f.

Universitätsbibliothek Tübingen: Der Katholik [o. J.], idb.ub.uni-tuebingen.de/digitue/theo/kath.html (DigiTheo: Universitätsbibliothek Tübingen) [eingesehen am 13.10.2020].

Wacker, Annekatrin: Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland (1838-1923), in: Deutsche Zeitschriften des 17. bis 20. Jahrhunderts, hg. v. Heinz-Dietrich Fischer, München 2017, S. 141-154.

Weber, Bernhard: Die Historisch-politischen Blätter als Forum für Kirchen- und Konfessionsfragen, München 1983.