II. Der Kriegsausbruch und die konservativen katholischen Eliten

Das Gebot der Stunde: Eintreten für die Nation

Entgegen der in der älteren Forschung propagierten Demonstration eines ausufernden Hurrapatriotismus und der Vorstellung einer vom Taumel der Kriegsbegeisterung erfassten Bevölkerung, zeichnet sich in den ausgewählten Quellen für die konservativen bürgerlichen Eliten kein solcher Kriegstaumel ab. Auch wenn an einigen Stellen eine romantische Stilisierung des nun ausgebrochenen Weltkrieges betrieben wird – etwa wenn von der „einigenden und reinigenden Wirkung“ oder den „Freuden des Krieges“ gesprochen wird – und auch wenn der Krieg beispielsweise durch metaphorische Bezeichnungen wie die des „reinigende[n] Gewitter[s] in der Atmosphäre“ eine positive Konnotation erhält, so findet sich mehrheitlich innerhalb der Quellen die Darstellung des Weltkrieges als „große Monstrosität“ und das Warnen vor den „ungeheuerlichen Opfern an Gut und Blut“ und somit eine durchaus realistische Einschätzung des Krieges durch den Großteil der konservativen Eliten.[1]

Der Grundton der Artikel zu Beginn des Krieges wird des Weiteren bestimmt durch den Aufruf Kaiser Wilhelm II. an das deutsche Volk am 1. August 1914, in welchem er den nationalen Burgfrieden ausrief und betonte, dass er neben den Parteien „[…] auch keine Konfessionen mehr [kannte]“[2], sondern stattdessen die deutsche Bruderschaft als das einzig relevante und einende Element hervorhob. Dies zeigt sich insbesondere in der unkritischen Übernahme der von der Reichsleitung propagierten Darstellung des Krieges als legitimen und gerechten Verteidigungskrieg, sowie der besonders in den Historisch-politischen Blättern betriebenen scharfen Polemik gegen den Feind. Aus tiefster Überzeugung wird in diesen die für das eigene Land charakteristische Friedensliebe gelobt und sich gegen die „Barbarei des Ostens“ und die „verrottete Demokratie des Westens“ ereifert.[3] Durch die Übernahme der nationalen Deutungen und das zu Eigen machen ebenjener stellen sich die Zeitschriften zugleich ganz in den Dienst der deutschen Kriegspropaganda und befeuern so zusätzlich die nationale Stimmung im Innern des deutschen Kaiserreichs. Damit einhergehend treten mit fortschreitender Kriegsdauer die zuvor genuin katholischen Themen der Historisch-politischen Blätter in den Hintergrund, es dominieren nun nationale Inhalte. Diese Entwicklung gilt jedoch nicht für den Katholiken, hier finden sich weiterhin zahlreiche katholische Beiträge.

Auffällig ist zudem, dass – analog zur großen Mehrheit der deutschen Katholiken – im Milieu der katholisch-konservativen Eliten das Bekenntnis zur Nation und die selbstverständliche Beteiligung am Kriegsdienst als Chance angesehen wurden, den häufig öffentlich geäußerten Vorwurf der – aufgrund ihrem Bekenntnis zum übernational agierenden Papst – als undeutsch geltenden Katholiken zu widerlegen.[4] Zusätzlich wird vielfach an die Beteiligung der Katholiken, insbesondere der Geistlichen in der Seelsorge und dem Sanitätsdienst, im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 erinnert.[5]

Neben diesem Werben für den Krieg wird ebenjener von den katholisch-konservativen Autoren häufig als „gerechter“ oder auch „heiliger“ Krieg stilisiert und dessen eschatologische Züge hervorgehoben.[6] Gott wird als Schlachtenlenker dargestellt; der katholische Soldat wird zum miles Christi erhoben. Gleichzeitig wird die mit Kriegsausbruch neu entstandene Religiosität von Autoren aus dem katholisch-klerikalen Milieu in den Zeitschriften Der Katholik sowie den Historisch-politischen Blättern dazu genutzt, den Gläubigen ihre „Schuld“ vorzuhalten. Laut diesen sei der Weltkrieg das Strafgericht Gottes, eine Zeit der Buße, in welcher die Ausschweifungen des deutschen Volkes in der Vorkriegszeit ausgesühnt würden, um anschließend „[…] einer gründlichen religiösen Erneuerung“[7] entgegenzusehen, wie der Mainzer Domkapitular Josef Engelhardt 1915 im Katholiken formuliert. Zugleich werden diese Aussagen versucht zu relativieren, wenn im Geiste des Hiobs-Buches argumentiert wird, dass Gott niemandem mehr auferlegt als er tragen kann und die derzeitige Zeit somit „[…] würdig[er] und fähig[er] [ist], Starkes zu ertragen und Starkes zu leisten.“[8] Die einzige Möglichkeit der Sühne für die Entgleisungen der modernen, industriellen Welt sahen die Vertreter dieser den Krieg als Bußgang verklärenden Richtung in einem – durch das deutsche Kaiserreich errungenen – Siegfrieden, welcher nicht nur Garant für den irdischen Frieden sei, sondern auch das Gottesreich vorantreiben würde.[9]

 


[1] Zitate aus: O. A.: Kirchliche Zeitfragen, in: Der Katholik 9 (1914), S. 222-224.

[2] Zweite Balkonrede Kaiser Wilhelm II. am 01.08.2020, online unter: web.archive.org/web/20141208143428/http://www.fr-online.de/zeitgeschichte/im-wortlaut-die-balkonreden-wilhelms-ii-,1477344,2738694.html [eingesehen am 23.10.2020].

[3] O. A.: Die neueste Krisis, in: Historisch-politische Blätter 154 (1914), S. 239-243.

[4] Vgl.: O. A.: Kirchliche Zeitfragen, in: Der Katholik 11 (1914), S. 375-385, sowie: O. A.: Zur Psychologie des Krieges, in: Historisch-politische Blätter 154 (1914), S. 601-609.

[5] O. A.: Kirchliche Zeitfragen, in: Der Katholik 9 (1914), S. 223f.

[6] Ebd., S. 222-224.

[7] Josef Engelhardt: Krieg und Seelsorge, in: Der Katholik 3 (1915), S. 205.

[8] G. Grupp: Der Weltkrieg als Strafgericht, in: Historisch-politische Blätter 159 (1917), S. 737.

[9] Carsten Kretschmann: „Der Herr sei mit Euch, Ihr braven Krieger“. Sakralisierungsstrategien im Kontext des Ersten Weltkrieges, in: Kirche, Krieg und Katholiken. Geschichte und Gedächtnis im 20. Jahrhundert, hg. v. Karl-Joseph Hummel/Christoph Kösters, Freiburg i.Br. 2014, S. 59-61.

 

Quellen

Engelhardt, Josef: Krieg und Seelsorge, in: Der Katholik 3 (1915), S. 203-213.

Grupp, G.: Der Weltkrieg als Strafgericht, in: Historisch-politische Blätter 159 (1917), S. 736-741.

O. A.: Die neueste Krisis, in: Historisch-politische Blätter 154 (1914), S. 239-243.

O. A.: Kirchliche Zeitfragen, in: Der Katholik 9 (1914), S. 222-226.

O. A.: Kirchliche Zeitfragen, in: Der Katholik 11 (1914), S. 375-385.

O. A.: Zur Psychologie des Krieges, in: Historisch-politische Blätter 154 (1914), S. 601-609.

Zweite Balkonrede Kaiser Wilhelm II. am 01.08.2020, online unter: web.archive.org/web/20141208143428/http://www.fr-online.de/zeitgeschichte/im-wortlaut-die-balkonreden-wilhelms-ii-,1477344,2738694.html [eingesehen am 23.10.2020].

Literatur

Kretschmann, Carsten: „Der Herr sei mit Euch, Ihr braven Krieger“. Sakralisierungsstrategien im Kontext des Ersten Weltkrieges, in: Kirche, Krieg und Katholiken. Geschichte und Gedächtnis im 20. Jahrhundert, hg. v. Karl-Joseph Hummel/Christoph Kösters, Freiburg i.Br. 2014, S. 50-66.

Weiterführende Quellen

Audiodatei des Kriegsaufrufes Kaiser Wilhelm II. an das deutsche Volk, online unter: upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f0/AnDasDeutscheVolkWilhelm1914.ogg [eingesehen am 21.10.2020].