Der historische Kontext der Jahre 1914 bis 1918

In den Jahren von 1914 bis 1918 bekämpften sich weltweit Armeen. Der Erste Weltkrieg, von George Kennan 1979 auf die Formel der „großen Urkatastrophe dieses Jahrhunderts“[1] gebracht, sollte in der Geschichte Europas zwar nicht die letzte und größte Katastrophe sein, doch fanden die noch folgenden Katastrophen ihre Wurzeln in ebendiesem.[2]

Gab es seit Kriegsende – sowohl innerhalb der Forschung als auch in der breiten Öffentlichkeit – immer wieder Kontroversen um die Schuldfrage am Ausbruch des Ersten Weltkrieges, so konnten Positionen wie die These Fritz Fischers, dass die Hauptschuld für den Ausbruch bei den Verantwortlichen des Deutschen Reiches zu suchen sei,[3] aber auch die These Christopher Clarks, nach dem die politischen Akteure der europäischen Mächte wie Schlafwandler in den Krieg gestolpert seien,[4] von der aktuellen Forschung widerlegt werden.[5] Vielmehr gilt zu konstatieren, dass Krieg weiterhin als ein legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele angesehen wurde und die europäischen Politiker aufgrund des Drucks ihrer militärischen Generalstäbe durch aktives Handeln versuchten, die Notlage zu bewältigen und so ihre nationale Ehre zu retten.[6] Schuld kam somit all jenen europäischen Mächten zu, die – aufgrund aggressiver nationalistischer und imperialistischer Bestrebungen – sehenden Auges dem Krieg entgegensteuerten.

Ursachen des Ersten Weltkrieges

Eine weitere Ursache neben dem imperialistischen Weltmachtstreben und der damit verbundenen Ausdehnung des vorhandenen Territoriums oder dem Erwerb neuer Gebiete – was zusätzlich durch die Expansionsbestrebungen kleinerer Staaten wie Italien oder den Balkanstaaten befeuert wurde – fand sich in dem Wettrüsten aller Großmächte, insbesondere in dem Flottenwettrüsten zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien.[7] Diese beiden waren jedoch nicht die einzigen europäischen Großmächte, welche aufrüsteten, verfolgten doch alle obersten Heeresleitungen das Ziel, im Falle eines Krieges durch einen schnellen Streich zu Beginn, den Krieg für sich zu entscheiden. Im Deutschen Reich war dies der sogenannte Schlieffen-Plan. Des Weiteren erstarkten überall in den Ländern Europas Strömungen, die sich mit ihrem Ruf nach Geltungsbedürfnis, Nationalismus und Chauvinismus eine immer breitere Anhängerschaft sicherten. Entscheidungen entgegen diesen Stimmungen waren schwer durchzusetzen. Erschwerend kam eine Blockbildung in die feindlichen Bündnissysteme der Triple Entente und der Mittelmächte hinzu. Durch diese Phänomene wurden die Spielräume der Diplomaten weitreichend eingeschränkt und es fehlte lediglich der Funke, der das ohnehin schon brodelnde Pulverfass zum Explodieren brachte.[8]

 

Anlass und Verlauf des Ersten Weltkrieges

Am 28. Juni 1914 wurde schließlich der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo durch einen serbischen Nationalisten ermordet. Österreich-Ungarn nahm dies zum Anlass, seinen Machtanspruch auf dem Balkan zu konsolidieren; Unterstützung erhielt die Habsburgermonarchie vom Deutschen Reich im sogenannten Blankoscheck zugesichert. Russland sah hierin wiederum eine Gefährdung des eigenen Machtanspruchs und ergriff für Serbien Partei. In der Julikrise griff der verhängnisvolle Automatismus der Bündnisverpflichtungen und Anfang August hatten die meisten involvierten Länder Europas eine Kriegserklärung verkündet. Nach dem Zusammenschluss der politischen Kräfte im Angesicht des Feindes – im Deutschen Reich als Burgfrieden, in Frankreich mit Union sacrée bezeichnet – bereiteten die europäischen Mächte die Mobilmachung vor; die Diplomatie hatte endgültig versagt.

Die völlige Fehleinschätzung der weltpolitischen Situation spiegelten die zuhauf auf den Truppenwaggons auffindbaren Aufschriften wie etwa Zum Frühstück auf nach Paris wider. Mit dem unerwartet großen Widerstand Belgiens, spätestens aber dem Wunder an der Marne, war der Nimbus von der Unbesiegbarkeit der Preußischen Armee gebrochen und der von Deutschland als Offensivkrieg geplante Angriff erstarrte im Westen bis 1915 in einem zermürbenden Stellungskrieg. Den Materialschlachten im Westen stand der mindestens genauso gefährliche Bewegungskrieg im Osten gegenüber. Das Deutsche Reich, dessen Wirtschaft von der bereits seit Kriegsbeginn von den Engländern verhängten Seeblockade stark betroffen war, wodurch Front und Heimat in den Kriegsanstrengungen miteinander verbunden waren, sah – nachdem das Landheer bisher in keiner Offensive die maßgebende Kriegswende brachte – im uneingeschränkten U-Boot-Krieg die entscheidende Lösung. Buhlte man zuvor noch um gute Beziehungen zu den USA als potenziellem Vermittler bei zukünftigen Friedensverhandlungen, so wurden diese Hoffnungen mit der Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges am 1. Februar 1917 nichtig. Aufgrund der fortdauernden Torpedierung amerikanischer Handels- und Passagierschiffe traten schließlich am 6. April 1917 die USA auf Seiten der Entente in den Krieg ein. Damit verschob sich innerhalb des folgenden Jahres das Kräfteverhältnis deutlich zu Gunsten der Alliierten, sodass die Oberste Heeresleitung sich aus der Verantwortung zurückzog und die neu gebildete Regierung unter Max von Baden im Oktober um einen Waffenstillstand bitten musste. Am 11. November 1918 wurde schließlich dieser Waffenstillstand und damit einhergehend die bedingungslose Kapitulation Deutschlands unterzeichnet. Damit fand die mehrjährige Orgie der Gewalt mit – bedingt durch die technischen Neuerungen und die ausblutenden Materialschlachten – weltweit 17 Millionen Toten ihr Ende.[9]

 

[1] Im Original findet sich der Ausdruck “the great seminal catastrophe of this century”, vgl. George Kennan: The Decline of Bismarck’s European Order. Franco-Russian Relations. 1875-1890, Princeton 1979, S. 3.

[2] David Fromkin: Europas letzter Sommer. Die scheinbar friedlichen Wochen vor dem Ersten Weltkrieg, München 2005, S. 16f.

[3] Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht, Düsseldorf 1961.

[4] Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013.

[5] Aufgrund der vielfältigen Publikationen in jüngster Zeit kann an dieser Stelle nur eine begrenzte Auswahl gegeben werden; vgl. Jörn Leonhard: Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkrieges, München 2014, sowie Wolfgang Kruse (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg. Neue Wege der Forschung, Darmstadt 2014.

[6] Zum Aspekt der Ehre im europäischen Staatengefüge vgl. Michael Salewski: Der Erste Weltkrieg, Paderborn u.a. 2003.

[7] Michael Epkenhans: Der Erste Weltkrieg. 1914-1918, Paderborn 2015, S. 11-17.

[8] Christoph Cornelißen: Schwerpunkt: Erster Weltkrieg, Seelze 2014, S. 53-64.

[9] Ian Kershaw: Höllensturz. Europa 1914 bis 1949, München 2016, S. 84-95.

Bildquellen

O. A.: Karikatur „Im Dreadnougth-Fieber“, in: Der wahre Jakob: Illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung 26 (1909), online abrufbar unter: digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/wj1909/0197 [eingesehen am 15.10.2020].

O. A.: Laterne [2019], pixabay.com/de/photos/lantern-lamp-monochrome-gothic-4601827/ (Pixabay) [eingesehen am 15.10.2020].

Quellen

Grey, Edward, zit. n. Ian Kershaw: Höllensturz. Europa 1914 bis 1949, München 2016, S. 23.

Kennan, George: The Decline of Bismarck’s European Order. Franco-Russian Relations. 1875-1890, Princeton 1979.

Literatur

Clark, Christopher: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013.

Cornelißen, Christoph: Schwerpunkt: Erster Weltkrieg, Seelze 2014.

Epkenhans, Michael: Der Erste Weltkrieg. 1914-1918, Paderborn 2015.

Fischer, Fritz: Griff nach der Weltmacht, Düsseldorf 1961.

Fromkin, David: Europas letzter Sommer. Die scheinbar friedlichen Wochen vor dem Ersten Weltkrieg, München 2005.

Kershaw, Ian: Höllensturz. Europa 1914 bis 1949, München 2016.

Kruse, Wolfgang (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg. Neue Wege der Forschung, Darmstadt 2014.

Leonhard, Jörn: Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkrieges, München 2014.

Salewski, Michael: Der Erste Weltkrieg, Paderborn u.a. 2003.

Weiterführende Literatur/Links

Asmuss, Burkhard/Wichmann, Manfred: Erster Weltkrieg. Kriegsverlauf [2011], www.dhm.de/lemo/kapitel/erster-weltkrieg/kriegsverlauf.html (LeMO: Lebendiges Museum Online) [eingesehen am 21.10.2020].

Angelow, Jürgen: Der Weg in die Urkatastrophe. Der Zerfall des alten Europa 1900-1914, Berlin 2010.

Chickering, Roger/Förster, Stig (Hrsg.): Great War, Total War. Combat and Mobilization on the Western Front 1914-1918, Cambridge 2000.

Ferguson, Niall: Der falsche Krieg. Der erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert, München 2013.

Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/ Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014.

Janz, Oliver: Der große Krieg, Frankfurt a.M. 2013.

Stone, Norman: World War One: A Short History, London u.a. 2007.